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Kosmologie: Euclids neue Blicke in den Kosmos

Die Europäische Weltraumorganisation ESA hat im Rahmen ihrer Mission Euclid neue aufregende Bilder des Universums im Mai 2024 präsentiert. Sie gehören zu den frühen Veröffentlichungen und liefern die ersten wissenschaftlichen Daten.
Das Weltraumteleskop Euclid ist auf den Himmel gerichtet und hat Himmelsfelder im Blick.
Rund ein Drittel des gesamten Sternenhimmels soll das europäische Weltraumteleskop Euclid im Rahmen seiner sechsjährigen Missionsdauer durchmustern.

Die Möglichkeiten des Weltraumteleskops Euclid sind bahnbrechend: So können beispielsweise die größten Galaxienhaufen und weit entfernte, vagabundierende Planeten ohne Mutterstern gleichzeitig in derselben großformatigen Aufnahme abgebildet werden. Euclid ermöglicht damit weit reichende und detaillierte Einblicke in bisher ungekannter Präzision. Mit den gewonnenen Daten erhoffen sich die Astrophysiker Aufschlüsse über die Dunkle Materie und ihre dreidimensionale Verteilung im Universum. Des Weiteren ermöglicht das Weltraumteleskop, das diffuse Licht von »Waisensternen« aufzufangen, die sich von ihrer Heimatgalaxie entfernt haben.

Euclids Mission

Das Weltraumteleskop Euclid nahm im Jahr 2023 seinen regulären Betrieb auf und befindet sich in einem Orbit um den Lagrangepunkt L2 im System Sonne-Erde, etwa 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Es gesellt sich dort zu weiteren künstlichen Satelliten wie dem James Webb Space Telescope (JWST) sowie dem Astrometriesatelliten Gaia der ESA. Mit an Bord von Euclid sind zwei Instrumente zum Untersuchen des Lichts im visuellen und infraroten Wellenlängenbereich von 530 bis 2020 Nanometern. Innerhalb der geplanten Betriebsdauer von sechs Jahren sollen mit ihrer Hilfe unter anderem die dreidimensionalen Positionen von zwei Milliarden Galaxien präzise bestimmt werden.

Zu diesem Zweck wird Euclid 35 Prozent des gesamten Himmels durchmustern und dabei Objekte in Entfernungen von bis zu zehn Milliarden Lichtjahren aufspüren. Durch ihre Kartierung lässt sich die Verteilung von Galaxien in Gruppen und Haufen für unterschiedliche Rotverschiebungen und damit Entfernungen entschlüsseln. Damit können theoretische Modelle zur Kosmologie auf den Prüfstand gestellt werden. Neben den visuell faszinierenden Bildern konnte mit den Daten von Euclid in nur einem Tag bereits ein Katalog mit beeindruckenden elf Millionen Objekten im visuellen und fünf Millionen Objekten im infraroten Licht erstellt werden.

Einzigartige Ergebnisse

Nach den am 7. November 2023 veröffentlichten ersten fünf Bildern von Euclid präsentiert die ESA nun fünf weitere Aufnahmen, welche ihren Vorgängern in nichts nachstehen. Sie beinhalten die zwei im Abell-Katalog klassifizierten Galaxienhaufen 2390 und 2764, den spektakulären Reflexionsnebel Messier 78, die Spiralgalaxie NGC 6744, zwei miteinander interagierende Galaxien aus der Dorado-Gruppe sowie mehrere vergrößerte Ausschnitte aus sämtlichen Aufnahmen. Dabei werden visuelle und infrarote Strahlung zu Falschfarbenbildern zusammengesetzt, um bestimmte Strukturen besser hervorzuheben. »Mit einer viermal so hohen Auflösung, wie sie von erdgebundenen Teleskopen geliefert wird, ist es daher nicht übertrieben zu sagen, dass die Bilder von Euclid unübertroffen sind«, so die ESA-Direktorin für Wissenschaft Carole Mundell.

»Mit einer viermal so hohen Auflösung, wie sie von erdgebundenen Teleskopen geliefert wird, ist es daher nicht übertrieben zu sagen, dass die Bilder von Euclid unübertroffen sind«Carole Mundell, ESA-Direktorin für Wissenschaft

Die drei spannendsten neuen Bilder werden hier vorgestellt: eine vergrößerte Aufnahme vom Galaxienhaufen Abell 2390, in dem sich eine Gravitationslinse befindet, der Reflexionsnebel Messier 78 in einer Weitwinkelaufnahme sowie zwei Galaxien aus der Dorado-Gruppe.

Kosmische Lichtkrümmung

Der Galaxienhaufen Abell 2390 befindet sich im Sternbild Pegasus in einer Entfernung von etwa drei Milliarden Lichtjahren zur Erde. Der Ausschnitt zeigt ein wunderbares Beispiel für die gravitative Umlenkung und Verzerrung von Licht durch große Ansammlungen von Materie (siehe »Galaktische Linse«). Deutlich erkennbar sind die gekrümmten Bögen von fernen Objekten jenseits des Galaxienhaufens – manche von ihnen werden sogar mehrfach abgebildet. Durch die Messung der Lichtablenkung lässt sich die Gesamtmasse des Galaxienhaufens abschätzen und der sichtbaren Materie gegenüberstellen. Aus dem Verhältnis lässt sich der Anteil an Dunkler Materie errechnen.

Galaktische Linse | Der Galaxienhaufen Abell 2390 befindet sich etwa drei Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt im Sternbild Pegasus. Haufen dieser Art beinhalten große Mengen an Dunkler Materie. Dieser Ausschnitt einer vergrößerten Falschfarbenaufnahme von Euclid zeigt deutlich die Effekte einer starken Gravitationslinse und das Licht von Sternen im intergalaktischen Raum, hier in Grau meliert. Die schmalen gebogenen Linien sind Artefakte der Optik von Euclid.

Die grauen Strukturen im Zentrum der Aufnahme zeigen Licht von Sternen, die aus ihren Muttergalaxien herausgerissen wurden und sich nun im intergalaktischen Raum bewegen. Die Instrumente von Euclid eignen sich besonders gut, dieses diffuse Licht zwischen den Galaxien zu beobachten. Die »stellaren Waisen« könnten wiederum dabei helfen, die Verteilung der Dunklen Materie zu ermitteln. So sind Gravitationslinsen wie die in Abell 2390 Schlüsselobjekte für das Erforschen der Dunklen Materie.

Tanz der Galaxien

Etwas näher an unserem galaktischen Zuhause liegt die Dorado-Galaxiengruppe im Sternbild Schwertfisch. Sie ist eine der größten Gruppen von Welteninseln des südlichen Sternhimmels und befindet sich damit an der unscharfen Grenze zu einem Galaxienhaufen, also einer sehr ausgedehnten Ansammlung von Galaxien mit zahlreichen Mitgliedern. In der Aufnahme zeigen sich zwei der hellsten Objekte der Dorado-Gruppe, die elliptische Galaxie NGC 1549 und ihre linsenförmige Begleiterin NGC 1553, beide in etwa 50 Millionen Lichtjahren Entfernung zur Erde. Ihre genauen Distanzen sind jedoch schwer zu ermitteln. Andere Messungen legen für beide Galaxien sogar eine Entfernung von bis zu 80 Millionen Lichtjahren nahe. Sie erscheinen am Himmel nur zwölf Bogenminuten voneinander getrennt und bilden ein Paar, das in gravitativer Wechselwirkung miteinander steht (siehe »Ein Galaxienpaar in Wechselwirkung«).

Ein Galaxienpaar in Wechselwirkung | Es ist ein nicht unübliches Schauspiel im Kosmos, wenn sich Galaxien nahekommen und miteinander in Wechselwirkung treten. Diese Aufnahme von Euclid, ebenfalls eine Falschfarbendarstellung, zeigt zwei Galaxien der Dorado-Gruppe in etwa 50 bis 80 Millionen Lichtjahren Entfernung zur Erde, die durch ihre Interaktion große Gezeitenarme ausgebildet haben.

Schalen aus ausgestoßenem Gas und große Gezeitenarme weisen auf diese Interaktion hin. Die gewonnenen Daten werden es ermöglichen, die Entwicklung von Galaxien und die sie umgebene Dunkle Materie besser zu verstehen. Dank Euclids einzigartiger Kombination aus großem Sichtfeld, bemerkenswerter Tiefenschärfe und hoher räumlicher Auflösung lassen sich winzige Sternhaufen, breite Galaxienkerne und ausgedehnte Gezeitenarme alle in einem einzigen Bild erfassen.

Verborgene Geburtsstätten

Der Reflexionsnebel Messier 78 im Sternbild Orion ist der hellste Vertreter seiner Art. Nach den extragalaktischen Objekten Abell 2390 und der Dorado-Gruppe befinden wir uns mit Messier 78 in unserer Galaxis, in rund 1350 Lichtjahren Entfernung zur Erde. Mit seiner Infrarotkamera dringt Euclid tief in das eingebettete Sternentstehungsgebiet ein und macht bisher verborgene Regionen sichtbar (siehe »Staubige Schönheit«). Hier werden gerade neue Sterne und Planeten geboren. Mit den Instrumenten des Teleskops können Planeten mit einigen Jupitermassen nachgewiesen werden.

Staubige Schönheit | Euclid lieferte diese atemberaubende Aufnahme im Visuellen und Infraroten von Messier 78 im Sternbild Orion. Die in diesem 1300 Lichtjahre von uns entfernten Reflexionsnebel geborenen Sterne und Planeten bleiben üblicherweise hinter dichten Staub- und Gaswolken verborgen. Mit Hilfe von Euclid lässt sich erstmals tief in dessen Inneres blicken.

Allein in dieser Aufnahme von Messier 78 ließen sich mit dem »Infrarotauge« Euclids mehr als 300 000 neue Objekte registrieren. Um zu verstehen, wie sich Sternpopulationen bilden und über lange Zeiträume ändern, ist es unumgänglich, die räumliche Verteilung und das Verhältnis von Sternen zu Objekten kleinerer Masse – wie Planeten – zu untersuchen.

Geisterhaftes Licht

Ein besonderes Forschungsfeld sind Waisensterne, die zwischen den Galaxien im intergalaktischen Raum umherdriften. Das Auswerten der ersten Bilder von Euclid enthüllte mehr als 1,5 Billionen solcher Objekte im Perseus-Galaxienhaufen. Sterne bilden sich innerhalb von Galaxien, daher ist ihre hohe Zahl außerhalb dieser Strukturen eine faszinierende Entdeckung. Die beobachteten Waisensterne zeichnen sich durch einen bläulichen Farbton und ihre Anordnung in Gruppen aus.

Es wird vermutet, dass die Sterne aus den Außenbereichen von Galaxien gerissen worden sind oder aus kleinen Zwerggalaxien stammen, die sich im starken Schwerefeld aufgelöst haben. Die Wissenschaftler erwarteten, dass die Waisensterne danach um die größte Galaxie im Haufen kreisen. In einer Untersuchung an der University of Nottingham stellte sich jedoch heraus, dass die Waisensterne im Perseus-Galaxienhaufen stattdessen einen Bereich zwischen den beiden leuchtkräftigsten Welteninseln des Haufens umrunden.

»Dies legt nahe, dass der massereiche Haufen möglicherweise erst kürzlich mit einer anderen Gruppe von Galaxien verschmolzen ist«, berichtet Jesse Golden-Marx, Astronom an der University of Nottingham. »Das diffuse Licht der Waisensterne leuchtet mehr als 100 000-mal schwächer als der dunkelste Nachthimmel auf der Erde. Aber ihre Emission erstreckt sich über ein so großes Volumen, dass sie – wenn man sie aufaddiert – etwa 20 Prozent der Leuchtkraft des gesamten Haufens ausmacht«, so Matthias Kluge, Erstautor der Studie vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in München.

Einsame Vagabunden

Neben den visuell prachtvollen Bildern zeigen die ersten wissenschaftlichen Veröffentlichungen von Euclid zudem die Fähigkeit des Teleskops, einsame Planeten mit einigen Jupitermassen aufzuspüren. Diese werden auch Wanderplaneten (im Englischen »rogue planets«) genannt. Es sind Objekte planetarer Masse, die durch das Universum driften, ohne gravitativ an einen bestimmten Stern gebunden zu sein. Die genaue Anzahl solcher Planeten ist wegen ihrer geringen Helligkeit und Größe schwer zu bestimmen. Im Oktober 2023 wurden mit Hilfe des James Webb Space Telescope innerhalb eines Sternhaufens im Trapez des Orionnebels mehrere hundert Kandidaten entdeckt. Die Massen dieser Himmelskörper liegen zwischen einer halben und 14 Jupitermassen.

Nach einer Untersuchung aus dem Jahr 2021 wird die Zahl der frei im Raum driftenden Planeten allein in unserer Galaxis auf mehrere Milliarden geschätzt. Sie könnten damit weit häufiger sein als angenommen und potenzielle Kandidaten für die Dunkle Materie darstellen. Wenngleich unser aktuelles Wissen darauf hindeutet, dass es dafür nicht genügend dieser Objekte gibt, bleibt es eine offene Frage, die mit Hilfe von Euclid beantwortet werden soll.

Ausblick

Euclids revolutionäres Design ermöglicht es, Bilder mit ähnlicher Schärfe aufzunehmen wie das Weltraumteleskop Hubble, aber auf einem 175-mal so großen Himmelsausschnitt. In den kommenden Jahren wird Euclid damit die äußeren Regionen von Sternhaufen unter die Lupe nehmen, Sternpopulationen kartieren, neue Kugelsternhaufen und Zwerggalaxien entdecken und vieles mehr.

(Update am 16. September 2024: Die Angaben zu den Entfernungen von NGC 1549 und NGC 1553 wurden korrigiert.)

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