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Neue Corona-Variante B.1.1.529: Warum Omikron gefährlich ist

Die ersten Fälle von Omikron wurden auch in Deutschland nachgewiesen. Die neue Coronavariante B.1.1.529 hat mehrere potenziell gefährliche Merkmale. Doch wie groß die Gefahr wirklich ist, ist noch unklar.
Corona-PCR-Testkit auf einem Tisch.

Seit die Delta-Variante aufgetaucht ist, hat keine weitere neue Linie von Sars-CoV-2 das Potenzial gezeigt, der Pandemie erneut eine Wendung zu geben. Doch das könnte jetzt vorbei sein. Die inzwischen neben Südafrika und Botswana auch in Hongkong, Israel und Belgien gefundene Variante B.1.1.529 vereint gleich mehrere Besorgnis erregende Eigenschaften. Wie der Mediziner Richard Lessells von der University of KwaZulu-Natal in Durban auf einer Pressekonferenz der südafrikanischen Regierung berichtete, hat die Variante insgesamt 32 Mutationen im Spike-Protein. Hinzu kommen über ein Dutzend Mutationen in anderen Teilen des Virus. Das ist eine außerordentlich hohe Zahl, und es sind ungewöhnlicherweise bisher auch keine verwandten Varianten bekannt – es scheint beinahe so, als käme B.1.1.529 aus dem Nichts.

Die Entdeckung ist beunruhigend genug, so dass mehrere Staaten, darunter Deutschland, die EU, Großbritannien, Singapur und Indien, Einschränkungen für Reisende aus den betroffenen Ländern erlassen haben. Große Sorge bereiten den Fachleuten die vielen Veränderungen im Spike-Protein. Gleich drei davon sitzen nahe der so genannten Furin-Spaltstelle – jenem Punkt, an dem das Protein von Enzymen zerschnitten wird, was es effektiver an sein Zielprotein binden lässt. Einige andere Mutationen stehen laut früheren Studien im Zusammenhang mit einer schlechteren Bindung durch einige Antikörper. Zusammen mit der schieren Zahl der Mutationen im Spike-Protein legen diese Veränderungen nahe, dass die Variante einem vorhandenen Immunschutz entkommen kann. Andere Mutationen, wie eben die Veränderungen an der Furin-Schnittstelle, könnten das Virus außerdem ansteckender machen.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

Ob die neue Variante tatsächlich nennenswert ansteckender ist und ob die Wirkung der Impfungen geringer ausfällt, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht bekannt. Bislang sind weniger als 100 Fälle überwiegend in Südafrika sequenziert worden. Allerdings gibt es Indizien dafür, dass sich B.1.1.529 bereits schnell im ganzen Land ausbreitet. In der Provinz Gauteng, wo bisher die meisten Fälle der neuen Variante nachgewiesen wurden, steigen die Positivraten bei den Coronatests drastisch an. Nahezu alle in den letzten Tagen dort sequenzierten Viren gehören zur neuen Linie. Gauteng ist die bevölkerungsreichste Provinz des Landes, in der auch Johannesburg liegt, die mit etwa zehn Millionen Einwohnern größte Stadt Südafrikas.

Die Variante verbreitet sich stark

Die Fachleute vor Ort gehen außerdem davon aus, dass der aktuelle deutliche Anstieg der Fallzahlen im Rest des Landes ebenfalls auf B1.1.529 zurückgeht. Bisher gibt es zwar von den Fällen außerhalb Gautengs kaum Sequenzen, aber wie Lessells berichtete, kann man die Variante mit klassischen PCR-Tests identifizieren. Ihr fehlt ein typisches Signal bei der Analyse, was man als »Spike Gene Target Failure (SGTF)« bezeichnet – ein Merkmal, mit dem man schon die Alpha-Variante effektiv verfolgen konnte. Die Zahl der Proben mit SGTF nimmt seit Mitte November in ganz Südafrika deutlich zu.

Das deutet darauf hin, dass die neue Variante möglicherweise einen Vorteil gegenüber der aktuell weltweit dominierenden Delta-Variante hat. Der könnte einerseits darin bestehen, dass sie sich schneller ausbreitet, andererseits, dass sie die vorhandene Immunität unterläuft – oder einer Kombination aus beidem. Jede dieser Möglichkeiten wäre eine potenziell schlechte Nachricht. Unklar ist auch, ob sie die Krankheit schwerer verlaufen lässt oder vielleicht sogar – in einer willkommenen Abkehr vom bisherigen Muster – etwas milder. Immerhin gehen Fachleute wie Lessells davon aus, dass die Impfungen auch bei einer stark mutierten Variante wie B.1.1.529 noch einen Schutz vor schweren Verläufen bieten.

Angesichts der sehr hohen Zahl ihrer Mutationen und der deutlichen Unterschiede zu allen anderen bekannten Varianten vermuten manche Fachleute, dass B.1.1.529 aus einer anderen Quelle stammt als die bisherigen neuen Linien. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten. Zum einen könnte das neue Virus aus einem Tier stammen. Immer wieder stecken sich Zoo- und Nutztiere mit dem Virus an. Es ist möglich, dass Sars-CoV-2 in Tieren zirkulierte, sich im Lauf der Zeit veränderte und nun wieder auf den Menschen übersprang. Fachleute befürchten schon seit geraumer Zeit, dass Tiere zu einem Reservoir für das Virus werden könnten.

Die tatsächliche Bedrohung ist unbekannt

Zum anderen diskutieren Expertinnen und Experten seit Monaten darüber, dass solche stark veränderten Varianten möglicherweise in Menschen mit geschwächtem Immunsystem evolvieren – zum Beispiel unbehandelten HIV-Infizierten. Wenn nämlich das Immunsystem das Virus bekämpft, es wegen der Immunschwäche aber nicht komplett eliminieren kann, durchläuft der Erreger eine beschleunigte Evolution. Fachleute beobachteten das bereits mehrfach bei Krebskranken und bei Patienten nach einer Organtransplantation, im Sommer 2021 auch bei einer an Aids erkrankten Person. Südafrika hat eine hohe Rate von HIV-Infektionen. Dabei kam es mehrfach vor, dass monoklonale Antikörper ihre Wirkung verloren, weil sich das Virus schnell anpasste.

Bisher sind das nur Hypothesen. Den Ursprung der meisten neuen Varianten könnte man ebenso auf anderem Weg erklären, zum Beispiel durch die sehr hohen Fallzahlen. Durch diese erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit, dass neue Varianten entstehen. Doch Fachleute sehen den weitgehend fehlenden Stammbaum von B.1.1.529 als Indiz dafür, dass ein Teil der Evolution der Variante im Verborgenen stattfand – zum Beispiel eben im Verlauf einer lang anhaltenden Infektion.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat für heute ein Meeting einberufen, um die möglichen Auswirkungen auf die Impfstoffentwicklung und den weiteren Verlauf der Pandemie zu diskutieren. Daneben soll B.1.1.529 wie seine Vorgänger mit einem griechischen Buchstaben bezeichnet werden, der leichter zu verwenden ist. Fachleute in Südafrika arbeiten bereits daran, das tatsächliche Gefahrenpotenzial der Variante zu ermitteln, insbesondere, wie sehr sie die Immunität durch Impfungen unterläuft – Südafrika hat eine relativ niedrige Impfquote von etwa 24 Prozent – und ob sie sich tatsächlich effektiver verbreitet als Delta. Erste Ergebnisse werden in etwa zwei bis drei Wochen erwartet.

Denkbar ist auch, dass die sehr niedrigen Fallzahlen in Südafrika der Variante eine Möglichkeit eröffnen sich auszubreiten, während sie in Ländern mit hohen Inzidenzen nicht mit Delta mithalten kann. Deswegen ist unklar, ob sich B.1.1.529 in Deutschland ebenso schnell und drastisch ausbreiten würde wie derzeit anscheinend in Südafrika. Die Bundesregierung hat Südafrika aus dem Grund vorsorglich zum Virusvariantengebiet erklärt, Fluggesellschaften dürften dann nur noch deutsche Staatsbürger nach Deutschland befördern, teilte der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mit. Um die Ausbreitung der Variante zu kontrollieren, könnte man die Varianten-PCR wieder einführen, die in Deutschland während der dritten Coronawelle zum Einsatz kam.

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