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Neuronale Störung: Warum sich manche Menschen eine Amputation wünschen

Für einige Menschen fühlt sich ihr Körper erst dann vollständig an, wenn sie ein Bein oder einen Arm weniger haben. Der Ursprung dieser Störung liegt offenbar in einer veränderten Hirnanatomie.
Beinprothesen in einem Krankenhaus

Ein Bein oder einen Arm zu verlieren, ist für viele Menschen eine schreckliche Vorstellung. Und doch gibt es weltweit einige tausend, die sich nichts mehr wünschen als das. Wer an der Störung Body Integrity Dysphoria (BID), auch bekannt als Body Integrity Identity Disorder (BIID), leidet, sehnt sich nach der Amputation eines Körperteils. Nun sind Gianluca Saetta von der Universität Zürich und Peter Brugger von der dortigen Psychiatrischen Universitätsklinik dem Ursprung der Störung auf den Grund gegangen.

Dafür hatten die Neurologen das Gehirn von insgesamt 32 Männern im Magnetresonanztomografen betrachtet, bei denen bislang keine neurologischen Störungen bekannt waren. Von den Probanden wünschten sich 16 die Amputation ihres linken Beins. Die übrigen Versuchsteilnehmer stellten die Kontrollgruppe, sie hegten keinen Amputationswunsch. Wie die Forscher in »Current Biology« berichten, waren bei den Patienten mit BID bestimmte Hirnregionen schwächer mit anderen Arealen vernetzt. Die betreffenden Regionen wiesen zudem weniger graue Substanz auf als bei der Kontrollgruppe.

Das Körperschema eines Menschen formiert sich vor allem im rechten Parietallappen, erläutern die Neurologen. Und genau diese Hirnregion sei bei den Probanden mit BID betroffen: »Interessanterweise haben wir festgestellt, dass je weniger graue Substanz in der rechten Parietalregion vorhanden ist, desto stärker ist der Wunsch nach Amputation und desto mehr verhalten sich Menschen mit BID, als ob sie Amputierte wären«, sagt Gianluca Saetta laut einer Pressenachricht von »Current Biology«. Solche Verhaltensweisen kennen die Forscher. Damit versuchen die Betroffenen, das irritierende Gefühl zwischen ihrem Körperschema und ihrem tatsächlichen Körper zu kompensieren. Das Paradoxe daran: Die BID-Patienten sind in keiner Weise körperlich eingeschränkt. Sie können ihr linkes Bein normal bewegen und fühlen.

Wo die Ursache für die veränderte Hirnanatomie liegt, wissen die Forscher allerdings noch nicht. »Ob die neuronalen Anzeichen von BID zuerst da waren und die Entwicklung einer normalen Gliedmaßenvorstellung einschränken oder ob die jahrzehntelange Sorge darüber die Gehirnnetzwerke verändert, lässt sich noch nicht beantworten«, sagt Koautor Peter Brugger.

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