Demokratische Republik Kongo: Neue Schimpansenkultur entdeckt
Im Norden der Demokratischen Republik Kongo, in der Region Bili-Uéré, kann, wer Glück hat, ein merkwürdiges Schlagen und Klopfen hören. Wer noch mehr Glück hat, so wie ein Forscherteam um Thurston Hicks, Gastforscher am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, bekommt auch die Ursache des Geräuschs zu Gesicht: Es sind die Schimpansen der Region, die die hartschaligen Nester bestimmter Termiten auf Bäume schlagen, um an den leckeren Inhalt zu gelangen. Eine Methode, die noch nirgends sonst bei Schimpansen beobachtet wurde.
Die Bili-Uéré-Schimpansen erschließen sich damit eine Nahrungsquelle, die ihre Artgenossen in anderen Gebieten Afrikas ignorieren. Gleichzeitig interessieren sie sich anscheinend nicht für jene Termitenart, nach denen die Menschenaffen anderer Regionen mit kleinen Stöckchen angeln. Beides ist Ausdruck dessen, was Verhaltensbiologen »Kultur« nennen: Auch wenn zwei Schimpansenpopulationen das gleiche Rohmaterial (Bäume, Stöcke) und ähnliche Nahrungsquellen zur Verfügung stehen, nutzt jede nur einen Bruchteil der Techniken, zu denen ein Schimpanse grundsätzlich in der Lage wäre. Welche das sind, bleibt über Generation stabil und wird von den Älteren an die Heranwachsenden weitergegeben.
In einem Fachbeitrag für das Magazin »Folia Primatologica« beschreibt das Team um Hicks erstmals ausführlich den einzigartigen Satz von Verhaltensweisen der Bili-Uéré-Schimpansen. Die Bewohner dieses mindestens 50 000 Quadratkilometer großen Areals im Norden der DR Kongo gehören der östlichen Schimpansenunterart Pan troglodytes schweinfurthii an. In den vorangegangenen zwölf Jahren hat das Forscherteam immer wieder die Tiere besucht und intensiv beobachtet.
Das lokale Schimpansen-Werkzeugset fasst Hicks in einer Mitteilung des Instituts zusammen: Es bestehe aus langen Stöcken zum Sammeln von oberirdisch lebenden Treiberameisen, kurzen Stöcken zum Sammeln von Stechameisen und zum Sammeln von Honig aus den Baumnestern stachelloser Bienen, dünnen kurzen Stöcken, um nach Ameisen der Art Dorylus kohli zu angeln, sowie aus stabilen Stöcken für die unterirdischen Nester stachelloser Bienen.
Die Technik, Termitennester an einer harten Oberfläche aufzuschlagen, nutzen die Schimpansen möglicherweise auch, um den Panzer von Schildkröten aufzubrechen und Riesenschnecken zu knacken – beides Nahrungsquellen, die die Schimpansen anderer Regionen nicht nutzen. Ein weiterer Unterschied zu den Artgenossen anderer Gegenden: Die Bili-Uéré-Schimpansen schlafen überwiegend auf dem Boden, während anderswo die Tiere ihre Nester in den Bäumen bauen.
Die Bili-Uéré-Region besteht aus zwei Vegetationszonen: Im Süden dominiert tropischer Feuchtwald, im Norden herrscht ein Mosaik aus Savanne und tropischem Regenwald vor. Trotz dieser Unterschiede würden sich die Verhaltensweisen der Tiere stark ähneln, wenn auch nicht in jeder Hinsicht: Orte, an denen die Affen Früchte aufschlugen, fanden sich beispielsweise ausschließlich nördlich des Flusses Uele.
»Es ist großartig, dass wir neue faszinierende Verhaltensmerkmale in dieser Schimpansenpopulation entdecken konnten«, sagt Christophe Boesch, ebenfalls vom Leipziger Max-Planck-Institut und Koautor der Studie. »Wir hoffen natürlich sehr, dass die vielen Bedrohungen, denen diese Tiere ausgesetzt sind, sie nicht auslöschen werden, wo wir doch gerade mehr über ihre Einzigartigkeit lernen.«
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