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Erdwärme: Neuer Anlauf für die tiefe Geothermie

Nachhaltige Energie aus mehreren Kilometern Tiefe wäre auch in Deutschland möglich. Aber die Hindernisse sind groß: Teure Bohrlöcher, ungewisser Erfolg und Erdbeben bremsen die Technik bisher. Nun wagt ein Unternehmen einen neuen Versuch in Schweden.
Blick auf das Hydrothermalkraftwerk Hellisheidi.

Sieben Kilometer tief soll die Bohrung reichen, die am 26. Juni 2020 auf dem Gelände des Nordhafens in Malmö begann. In dieser Tiefe, die 23 aufeinandergestapelten Eiffeltürmen entspricht, ist es so heiß, dass damit Wasser auf 160 Grad Celsius erhitzt werden kann. Vor allem diese Hitze will der Energiekonzern E.on für Fernwärme anzapfen. Doch das Potenzial der Technik ist noch größer. Wenn das Wasser so heiß wie Frittierfett ist, in dem Pommes knackig gelbbraun brutzeln, ist neben Fernwärme sogar Stromproduktion wirtschaftlich.

Bis 2030 will Malmö mit diesem Bodenschatz klimaneutral werden. Daneben hat die ambitionierte Bohrung ein größeres Ziel: Sie soll das zuletzt ramponierte Image der tiefen Geothermie verbessern, so dass die Technik salonfähig wird – auch in Deutschland. Doch noch sind die Erfolgsaussichten des Projekts ungewiss.

In Misskredit war die Geothermie unter anderem nach dem Erdbeben in Pohang in Südkorea geraten. Am 15. November 2018 erschütterte das wohl weltweit heftigste durch Geothermie verursachte Beben mit einer Stärke von 5,4 auf der Richterskala eine Stadt. Wobei die Bohrung selbst keine spürbaren Erschütterungen nach sich zieht, wohl aber das spätere Aufbrechen des Gesteins durch das Einpressen großer Wassermengen unter hohem Druck.

Fracking für die Geothermie

Genau das wird in Malmö nötig sein, denn anders als in Island zirkuliert kein warmes Thermalwasser im Boden, hier gibt es nur heißen Granit. Also werden die Ingenieure dort später mit hohem Druck Wasser einpressen, um Risse und Spalten zu erzeugen. Dieses so genannte Stimulationsverfahren bringt Flüssigkeit in die vorhandenen Risssysteme von heißen und trockenen Gesteinsschichten. In denen fließt beim Betrieb Wasser von einem Loch zum anderen und nimmt Wärme aus dem Gestein auf.

Das Wasser soll in das Fernwärmenetz von Malmö eingespeist werden. Klappt es mit dieser ersten Bohrung, sollen bis 2028 insgesamt fünf Heizwerke mit einer installierten Leistung von je 50 Megawatt folgen und in Zukunft Biokraftstoffe und Biogas als Energieträger ablösen. Kosten soll das Pilotprojekt mit der ersten Bohrung 6,6 Millionen Euro, von denen das schwedische Energieministerium knapp 20 Prozent übernimmt, um das Ziel zu erreichen, bis 2030 klimaneutral und emissionsfrei zu werden.

»Im Strom haben wir die Wende zu erneuerbaren Energien geschafft, in der Wärme nicht, da sind wir grottenschlecht«Ernst Huenges

Das was in Malmö als der vorerst letzte Baustein grüner Energie bedeutet, ist in Deutschland eher nicht der Renner. Hier ist noch viel Luft nach oben, also Wärme ungenutzt vergraben. Der Anteil an der Wärmeenergie aus tiefer Geothermie an den Erneuerbaren beträgt gerade einmal 0,7 Prozent, der zudem fast komplett aus Bayern stammt. »Im Strom haben wir die Wende zu erneuerbaren Energien geschafft, in der Wärme nicht, da sind wir grottenschlecht«, urteilt Professor Ernst Huenges. Der Geowissenschaftler leitet die Sektion Geoenergie des GeoForschungsZentrums (GFZ) Potsdam. »In der Geothermie sind wir noch nicht da, wo wir sein könnten.«

Die installierte thermische Leistung in Deutschland beträgt gerade einmal 315 Megawatt, dazu kommen 42 Megawatt elektrischer Leistung – eine moderne Windkraftanlage hat schon um die 3 Megawatt. Zudem, die Wärme in der Tiefe steht immer zur Verfügung, auch wenn der Wind nicht weht. Es fehle der Mut, eine Bohrung abzuteufen und dafür Geld in die Hand zu nehmen, so der Physiker Huenges. Die tiefe Geothermie beginnt bei 1000 Meter Tiefe, erst ab hier lohnt sich die Nutzung als Fernwärme oder für elektrischen Strom, denn mit der Temperatur steigt auch der Wirkungsgrad der Anlagen. So wird es in unseren Breiten alle 100 Meter etwa 2,5 bis 3 Kelvin wärmer.

Vorbild Finnland

An diese Hitze will auch Malmö. Laut Konzernmitteilung von E.on baue man das erste Geothermieprojekt Nordeuropas in industriellem Maßstab. Was als Werbung daherkommt, funktioniert schon im finnischen Espoo, einem Stadtteil in Helsinki. Dort versorgt eine 6400 Meter tiefe Bohrung seit 2018 die Bevölkerung mit Wärme. Es ist bisher die weltweit tiefste Bohrung zur Energieversorgung. Andere geothermische Bohrungen wurden zu Forschungszwecken durchgeführt, wie die kontinentale Tiefbohrung in Bayern in Windischeschenbach. Dort forschte vor 20 Jahren unter anderem auch Huenges an der tiefsten Forschungsbohrung der Welt bis zu 9100 Meter tief im Gestein.

Die Ergebnisse halfen auch dabei, Lösungen für das Erdbebenproblem zu finden. Zusammen mit anderen Fachleuten entwickelte er weltweit bereits für mehrere Geothermiebohrungen Ampelsysteme, um rechtzeitig mögliche Beben zu stoppen. Denn mit Geothermie kann es auch schon mal rumpeln. Dort hält die Reibung der tektonischen Spannung die steinernen Blöcke zusammen. Kommt aber die Wasser dazu, wird die Reibung erniedrigt, und dadurch können sie auseinanderrutschen.

»Das heißt, wenn ein besonders großes Risssystem unter Spannung beweglich gemacht wird, dann kann wie ein Cowboy, der an einen geladenen Revolver den Abzug zieht, eine Erschütterung ausgelöst werden«, erläutert Huenges. In Malmö erwartet er so etwas eher nicht. Am GFZ in Potsdam haben sie zudem eine »sanfte« Stimulation entwickelt, um die seismischen Ereignisse unter Kontrolle zu halten, in dem viele kleine Flächen an Stelle gleich einer großen Fläche mobilisiert werden.

Die Frage nach dem Erdbebenschutz

Welches Sicherheitssystem E.on einsetzt, hat der Konzern auf Nachfragen nicht beantwortet. Aber die Wissenschaftler Björn Lund und Christopher Juhlin von der Uppsala University begleiten das Projekt. Beide forschen zu möglichen Beben durch diese Art von Bohrungen. Immerhin liegt die Bohrstelle im Nordhafen Malmös gerade einmal drei Kilometer Luftlinie vom nahe gelegene Stadtzentrum entfernt. Sie führen die geophysikalische und geologische Messungen durch, um die Temperatur, verschiedene Gesteinseigenschaften, Brüche, Flüssigkeitsströmungen und Spannungen zu bestimmen.

Dazu sollen aktive seismologische Untersuchungen ein besseres Bild des Untergrunds liefern. Denn noch wissen auch sie nicht richtig, wie die Strukturen in der Tiefe aussehen. Erst dann können sie entscheiden, ob ein geothermisches Projekt in vollem Umfang durchgeführt werden kann oder eben nicht. Das Risiko dabei, hierbei Erdbeben auszulösen, hält Lund für sehr gering. In dieser ersten Phase des Projekts findet keine Stimulation statt, es wird noch keine Flüssigkeit in das Bohrloch gedrückt, um das Gestein in der Tiefe zu aufzubrechen.

Schlüsselproblem Wasser

Lund ist aber noch vorsichtig, denn erst wenn seine seismologischen Untersuchungen während der Sondierung ausgewertet sind, kann es grünes Licht für das geothermische Projekt geben, das nach den Plänen des Betreibers E.on im Jahr 2022 Wärme liefern soll. Erst dann werden sie Wasser durch ein Bohrloch in die Tiefe pumpen, das optimalerweise durch die Risse im heißen Gestein zu einem zweiten fließt, aus dem es erhitzt nach oben abgepumpt wird. Doch können sie dort überhaupt genug Risse im Untergrund erzeugen, um das Wasser von einer Bohrung zur nächsten strömen zu lassen?

Diesen unterirdischen Wasserfluss zu erzeugen, halten Huenges und Lund für das Schlüsselproblem, mehr noch als die unter Umständen auftretenden Erdbeben. Da sind sich beide einig. Eine ausreichende Strömung ist bei der Tiefengeothermie immer ein Problem, sagt Lund, so dass es ihn nicht überraschen würde, wenn dies eines der Haupthindernisse wäre. Malmö liegt nur etwa 20 Kilometer südlich der Tornqvist-Zone, einer alten Grenze zwischen zwei einstigen Erdplatten. Die tiefen Strukturen unter der Deckschicht aus Sedimentgestein sind unbekannt, zum Beispiel ob es Bruchzonen gibt und wie durchlässig diese sind.

»Nicht alle Bohrungen verlaufen erfolgreich«Bernhard Prevedel

Die Bohrung ins Ungewisse könnte dennoch Aufwand und Risiko lohnen. Die geothermische Fernwärme schneidet beim Klimaschutz deutlich besser ab als Biogas, das derzeit in Malmö zum Heizen genutzt wird. Laut Umweltbundesamt können 0,283 Kilogramm Treibhausgase je erzeugte Kilowattstunde vermieden werden, würde man 100 Prozent fossile Energieträger durch Tiefengeothermie ersetzen. Biogas komme nur auf einen Wert von 0,177 Kilogramm, schrieb die Behörde 2019 in ihrem Bericht zur Bilanz der Emissionen erneuerbarer Energieträger. In Malmö könnte der Wert noch höher liegen, da das Umweltbundesamt in seiner Rechnung 85 Grad Celsius heißes Thermalwasser voraussetzt, in Schweden aber bei 160 Grad ein höherer Wirkungsgrad möglich ist.

Die meisten klimaschädlichen Emissionen der Tiefengeothermie fallen außerdem bereits beim Bohren an. Ist die Anlage erst einmal fertig, liefert sie Strom und Wärme fast ohne Klimakosten. Allerdings ist der Energiebedarf für die Löcher immens, erklärt Bernhard Prevedel von der Abteilung »Tiefe Geothermie« des Bundesamtes für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover (BGR).

Die teuersten Löcher der Welt

Er rechnet mit einem Energieverbrauch von um die 30 Megawattstunden, die pro Tag von einer großen Bohranlage benötigt werden, nur um an das heiße Gestein in der Tiefe vorzudringen. Dazu nutzen die Bohrteams meist Diesel oder elektrischen Strom; hinzu kommt die sehr lange Bohrzeit von üblicherweise sechs bis neun Monaten. Und oft braucht man mehrere Bohrungen, denn »nicht alle verlaufen erfolgreich«, so der Tiefbohringenieur.

Auch so günstig, wie es der Energiekonzern suggeriert, ist die Geothermie nach Ansicht der Fachleute nicht. Ein Bohrtag kann bis zu 50 000 Euro kosten, die Gesamtkosten schon einer einzelnen Bohrung schätzt Prevedel auf um die 20 Millionen Euro, zudem brauche man mindestens zwei davon. Die Kosten von 6,4 Millionen Euro, die E.on nennt, ließen sich nur damit erklären, dass die Bohrungen in einem bereits vorhandenen, 2000 Meter tiefen Loch ansetzen, urteilt der schwedische Forscher Lund.

Um die finanziellen und energetischen Kosten der tiefen Geothermie zu senken, hofft Prevedel deswegen auf eine neue Bohrtechnik. Eine davon könnte die Hammerbohrung sein. Die stecke zwar noch in den Kinderschuhen, sagt er, aber zeige den Weg in die Zukunft. Die Hammerbohrung sei zehnmal schneller, verursache aber auch mehr Verschleiß durch die Schläge, berichtet Uwe Schindler, Geschäftsführer der Bohrfirma H. Anger’s Söhne, die dieses Verfahren bereits in Helsinki für die oberen 4500 Meter der Bohrung nutzte und ebenso in Malmö beteiligt ist. Eigentlich sei die Hammerbohrung ein ausgereiftes Verfahren – allerdings nur für flachere Bohrungen.

Um größere Tiefen zu erreichen, gebe es noch Forschungsbedarf, ergänzt Huenges. Das Verfahren bringe erst etwas, wenn es nicht nur schneller, sondern auch schonender für das Material der Bohrköpfe wird. Noch besser wäre es, gar nicht so tief bohren zu müssen. Neue Chancen verspricht eine Technologie von Forschern des Tokyo Institute of Technology. Sie haben eine Halbleiterzelle entwickelt, die Wärme direkt in Strom umwandelt und nach Angaben des Teams schon unterhalb von 100 Grad Celsius effizient Energie aus warmem Wasser gewinnt. Mit solchen Technologien könnte auch in Deutschland noch mehr gebohrt werden.

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