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Ausblick : Neues Jahr, Neue Forschung

Das Nature-Magazin wirft einen Blick voraus: Was findet die Wissenschaftswelt wohl im Jahr 2011 heraus?
Spuren des Higgs-Bosons
Enthülltes Eem

Im Juli 2010 war der Bohrkopf des Nordgrönländischen Eem-Eisbohrprojekts (NEEM) auf Grundgestein gestoßen – in mehr als 2500 Meter Tiefe. Die Mühen dürften bald Früchte tragen, denn seitdem analysieren Projektforscher die im Eis eingeschlossenen Gas- und Partikelproben, um Details über das Klima des Eem-Interglazials zu erfahren. Damals, vor 130 000 bis 115 000 Jahren, war es im weltweiten Durchschnitt etwa 5 Grad Celsius wärmer als heute.

GWAS machen sich bezahlt

"GWAS", also "genomweite Assoziationsstudien", haben schon viele Veränderungen in Genom entlarvt, die irgendwie mit unterschiedlichen Erkrankungen zusammenhängen. Leider verraten sie uns aber fast nie direkt etwas über biochemische Zusammenhänge, die hinter dem Krankheitsgeschehen stecken. In dieser Hinsicht ist 2011 etwas mehr zu erwarten: Einblicke in die eigentlichen Mechanismen, mit denen veränderte Gene oder nicht kodierende DNA-Abschnitte das Krankheitsgeschehen beeinflussen. Aussichtsreichste Kandidaten für solche Fortschritte sind die Forschungsfelder Fettleibigkeit, Diabetes und Stoffwechselerkrankungen.

Stammzellen vor dem Einsatz

Wissenschaftler haben gelernt, wie Zellen in induzierte pluripotente Stammzellen (ipS) zurückprogrammiert werden und wie daraus dann andere Zelltypen entstehen: Zum Beispiel können auf diese Weise aus Haut- dann Nervenzellen werden. Aus Patienten entnommene ipS werden jetzt auch mehr und mehr als Modellzellen verwendet, an denen Krankheiten untersucht werden – etwa psychiatrische Störungen, die nicht sinnvoll in einem Tiermodell analysierbar sind oder bei denen das Wissen um das Geschehen in den einzelnen Zellen bislang ganz fehlt. Die ipS werden auch zunehmend eingesetzt, um mögliche Wirkstoffe zu screenen und zu ermitteln, warum einige Medikamente nur manchen Patienten helfen und bei anderen nicht wirken.

Explosionsartige Genomsequenzierung

Der Preis für die Sequenzierung eines einzelnen menschlichen Genoms dürfte in diesem Jahr ziemlich sicher unter die 1000-US-Dollar-Grenze sinken. Und weil schon die Sequenziermaschinen der nächsten Generation eingeführt werden, wächst die Zahl der entzifferten menschlichen Genome weiter sprunghaft.

Verflucht verstecktes Higgs

Spuren des Higgs-Bosons | Laut Computersimulationen könnte sich ein Higgs-Teilchen mit diesen Spuren im Detektor bemerkbar machen.
Zugegeben: Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass der große Genfer Teilchenbeschleuniger LHC das Higgs-Boson schon in diesem Jahr entdeckt. Dass er irgendetwas findet, ist aber gut möglich – vielleicht einen Beleg für die Supersymmetrie, also jene Theorie, nach der jedes Elementarteilchen einen bisher unerkannten, superschweren Partner hat? Unterdessen kämpft das Fermi-Lab in Illinois darum, dass die Genehmigung für den Betrieb seines Tevatrons über September 2011 hinaus verlängert und nicht zu diesem Zeitpunkt abgeschaltet wird. Im Schlussspurt seiner Laufbahn soll auch das Tevatron noch um den Higgs-Hauptgewinn kämpfen.

Momente der Wahrheit für Dunkle Materie

Eine Reihe unterirdischer Experimente hält nach Partikeln aus Dunkler Materie Ausschau – etwa XENON100 am staatlichen italienischen Gran-Sasso-Labor bei L'Aquila oder CDMSII (Cryogenic Dark Matter Search) im Soudan-Bergwerk im Norden des US-Bundestaats Minnesota. Alle hoffen 2011 auf Ergebnisse.

Hepatitis C behandeln

In den USA warten Mediziner auf mehrere Entscheidungen der staatlichen Arzneimittelzulassungsbehörde FDA. Sie bewertet zum Beispiel den Einsatz von Telaprevir, einem Wirkstoff gegen Hepatitis C, der allen von diesem Virus infizierten Menschen helfen könnte – also immerhin drei Prozent der Menschheit. Das Mittel wurde vom US-Pharmakonzern Vertex entwickelt.

Noch eine Erde

Planetenjäger glauben fest daran, dass das Kepler-Teleskop der NASA einen erdähnlichen Planeten entdeckt, der um einen sonnenähnlichen Stern kreist. Kepler hat schon einige Planeten außerhalb des Sonnensystems erspäht; noch aber sind nicht sämtliche gesammelten Daten freigegeben.

Multizellulares Denken in der synthetischen Biologie

In Zukunft müssen Forscher synthetische biologische Bausteine nicht länger mühsam in einzelne Zellen quetschen: Im letzten Jahr war es ihnen gelungen, eine ganze Bakterienkolonie zu konstruieren, die periodisch im Gleichtakt fluoreszieren kann. Ähnliche Studien über das Kollektivverhalten von Zellen werden sich in Zukunft wohl häufen – mit der Zielsetzung, bakterielles Teamwork für nützliche Zwecke wie die Medikamentenproduktion einzuspannen.

Das letzte Shuttle

Die Raumkapsel Dragon | Die Raumkapsel Dragon leistet seit dem Jahr 2011 wichtige Zubringerdienste zur Internationalen Raumstation. Zunächst nur unbemannt als Frachttransporter im Einsatz, soll Dragon in den kommenden Jahren zu einer vollwertigen bemannten Raumkapsel für den Astronautentransport weiterentwickelt werden.
Im April steht der letzte Flug eines NASA-Spaceshuttles an – mit ihm soll das Alpha-Magnet-Spektrometer (AMS) zur Internationalen Raumstation ISS transportiert werden. Es soll von dort aus nach Antimaterie und Dunkler Materie Ausschau halten. Vielleicht bewilligt der US-Kongress aber auch noch einen allerletzen Shuttle-Einsatz im November. Auch ein privatwirtschaftlicher Raumflug ist denkbar, der eine Besatzung oder Fracht ins All trägt: Er steht und fällt mit einem zweiten Teststart der Dragon-Kapsel, die die kommerzielle Organisation SpaceX aus Hawthorne in Kalifornien plant.

Forschungsreisende im Sonnensystem

Die NASA-Mission Messenger soll im März die erste Sonde sein, die es sich in einem Orbit um Merkur gemütlich macht. Ab August plant die US-Raumfahrtbehörde dann, mit ihrer Dawn-Sonde einen der dicksten Brocken des Asteroidengürtels, Vesta, zu umrunden. Weitere geplante Starts ins All: Juno (soll über den Polen des Jupiters kreisen), GRAIL (ein Sondenzwilling mit dem Auftrag, das Mondschwerefeld zu vermessen) sowie das "Mars Science Laboratory", ein neues autogroßes Rovermodell mit dem Forschungsziel Roter Planet.

Superlaser-Flirt mit der Fusion

Der weltweit leistungsstärkste Laser – die "National Ignition Facility" in Kalifornien – nähert sich langsam, aber sicher der angepeilten Zündschwelle: jenem Punkt, ab dem im von ihm anvisierten Zielgebiet aus Wasserstoffisotopen in Fusionsreaktionen mehr Energie freigesetzt wird, als der Laser selbst einstrahlt. Experten geben dem am Lawrence Livermoore National Laboratory installierten Laser gute Chancen, sein Soll noch in diesem Jahr zu erfüllen.

Auf dem Weg zum Ziel

Ihren "GOCE"-Satelliten hatte die Europäische Weltraumbehörde ESA dafür ausgestattet, das Erdmagnetfeld in bislang unerreichter Genauigkeit zu messen. Er wird in diesem Jahr Ergebnisse liefern, die zum Beispiel helfen, den Anstieg des Meeresspiegels zu überwachen. Unterdessen wird die NASA-Sonde "Aquarius" starten, um den Salzgehalt der Ozeane zu bestimmen, während "Glory" die Strahlungsdichte der Sonne und Aerosole untersuchen soll.

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