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News: Neues von Achill

Ein antiker Schriftwechsel erregt die Gemüter: Die neuerliche Bearbeitung eines hethitischen Briefes erklärt manch Ungereimtes der "Ilias" und erfordert eine Änderung der Geschichtsbücher.
Neues von Achill
Die "Ilias", das erste literarische Werk des Abendlandes, gibt noch manches Rätsel auf, so auch dieses: Obwohl in der homerschen Dichtung der mykenische Fürst Agamemnon die Flotte der 1186 griechischen Schiffe anführte, die gegen Troia zogen, steht nicht dessen Residenz Argos (Peloponnes) an erster Stelle des 287 Verse umfassenden "Schiffskatalogs". Stattdessen führt das nordgriechische Böotien die Liste der Bundesgenossen an, und die Flotte sticht auch von dort, genauer gesagt von der Hafenstadt Aulis in See.

Des Rätsels Lösung kamen der Graecist Joachim Latacz von der Universität Basel und der Erste Direktor der Abteilung Athen des Deutschen Archäologischen Instituts, Wolf-Dietrich Niemeier, in den vergangenen Jahren auf die Spur, dem Hethitologen Frank Starke von der Universität Tübingen gelang nun der Nachweis: Theben, die Metropole Böotiens, war vermutlich das Zentrum eines griechischen Großreichs, dem Argos angehörte. Und damit müssen die Geschichtsbücher umgeschrieben werden, denn die Bezeichnung "mykenisch" für die griechische Hochkultur des 2. Jahrtausends v. Chr. scheint nicht mehr als ein Artefakt der Wissenschaftsgeschichte zu sein: Heinrich Schliemann war bei Grabungen in Mykene erstmals auf ihre Paläste und monumentalen Grabanlagen gestoßen. Doch richtiger wäre es wohl, von einer "thebanischen Kultur" zu sprechen.

Mehr noch: Die Entdeckung Starkes beendet einen seit 70 Jahren schwelenden Streit in der Wissenschaft. Im Jahre 1924 stieß der schweizer Altorientalist Emil Forrer in Keilschrifttexten auf die Spur eines Reiches namens Achijawa. Offenbar hatte der hethitische Großkönig von seiner Residenz in Hattusa aus im 13. Jahrhundert v. Chr. mit dem dortigen Herrscher korrespondiert. Die klangliche Ähnlichkeit mit der homerschen Bezeichnung "Achaier" für das Heer der Griechen drängte sich auf, doch Forrers These wurde von dem einflussreichen deutschen Indogermanisten Ferdinand Sommer in Grund und Boden geredet, die Karriere des Schweizers zerstört. Erst Anfang der achtziger Jahre wagte es der Altorientalist Hans Gustav Güterbock von der University of Chicago, die These wieder aufzugreifen, konnte sie allerdings nicht beweisen. Der Fund von Tontäfelchen in der griechisch-mykenischen Linear-B-Schrift im antiken Theben 1993 unterstrich Forrers Verdacht, wie Latacz und Niemeier herausfanden, denn offenbar war Theben im 13. Jahrhundert ein politisches Machtzentrum gewesen, das über Milet einen Brückenkopf in Kleinasien besaß. In hethitschen Schriftquellen wurde dieser Ort als Millawanda bezeichnet.

Frank Starke unterzog einen Keilschriftbrief akribischer Prüfung, der 1928 von Emil Forrer erstmals bearbeitet worden war. Anders als Forrer kam er aber zu dem Schluss, dass als Absender nicht der Herrscher von Hattusa in Frage kam. Ein Punkt der Argumentationskette: Sprachliche Eigentümlichkeiten deuten darauf hin, dass Hethitisch nicht die Muttersprache des Schreibers gewesen war. Thema des Briefes war der Streit um einige Inseln, vermutlich in der Nord-Ägais gelegen. Bei der Darlegung seines Besitzanspruchs bezog sich der Absender auf einen Vorfahren, der durch Verheiratung einer Tochter Anrechte erworben hätte. Starke liest dessen Namen als "Kadmos", einem typisch böotischen Namen und zudem der des mythischen Gründers von Theben.

Am vergangenen Samstag präsentierte Starke seine Interpretation des Briefes auf einer Pressekonferenz in Troia. Anlass war das Ende des Sponsorings der Grabung durch DaimlerChrysler nach 15 Jahren. Die Forschungsergebnisse werden von anderen Hethitologen unterstützt. Damit wäre die Formel Achijawa gleich Griechenland bewiesen, und die Wissenschaft hält den ersten Brief vom griechischen Festland an das Hethiterreich in Händen. Zwar ist nicht damit zu rechnen, dass diese kleine Sensation unbestritten bleibt – auch heute noch gilt Emil Forrer in Deutschland vielen als persona non grata – Graecisten und Altorientalisten bietet sie viele Möglichkeiten, die politischen Machtverhältnisse im östlichen Mittelmeerraum des 2. Jahrtausends v. Chr. zu verstehen. Und damit wird auch klar, warum sich der junge Held Achill ungestraft dem Heerführer Agamemnon widersetzen und voller Zorn seine Truppen aus den Kämpfen zurückziehen konnte: Achilleus stammte aus dem mächtigen Theben.

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