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Neurodermitis: »Dann wird die Entzündung angefeuert«

Wie kann man Neurodermitis stoppen? Dermatologen verfolgen neue Ansätze, die auf das Immunsystem zielen. Die Grundlagenforschung, die das überhaupt ermöglicht, wurde gerade mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.
Ein schlafendes Baby liegt auf der Seite. Die Nahaufnahme zeigt das Gesicht des Babys mit geschlossenen Augen und einem sanften Ausdruck. Die Haut des Babys ist mit einer leichten Creme bedeckt. Das Bild vermittelt Ruhe und Geborgenheit.
Etwa 15 Prozent aller Babys haben Neurodermitis.

Kann diese Forschung Patienten helfen? Bestimmte Zellen verhindern, dass unser Immunsystem den eigenen Körper angreift: Die »regulatorischen T-Zellen« ermöglichen, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden. Für diese Erkenntnis soll den beiden US-Amerikanern Mary E. Brunkow und Fred Ramsdell sowie dem Japaner Shimon Sakaguchi im Dezember der Medizin-Nobelpreis verliehen werden. Der Weg zur Anwendung sei noch weit, das therapeutische Potenzial der Entdeckung noch weitgehend unerschlossen und noch nicht in der Klinik angekommen, erklärte das Nobelpreiskomitee. Doch der Dermatologe Thomas Bieber widerspricht – und macht Hoffnung auf neue Behandlungsansätze auch für Neurodermitis.

Herr Bieber, Sie waren im vergangenen Jahr an einer Studie zu einem Wirkstoff beteiligt, der in der Therapie von Neurodermitis eingesetzt werden könnte. Einer Erkrankung, bei der das Immunsystem überaktiv ist – konkret, bei der eine chronische Entzündungsreaktion die Haut schädigt.

An der Neurodermitis lässt sich zeigen, warum die Arbeit der drei Forscher, die nun ausgezeichnet wird, so wichtig ist. Die Krankheit betrifft etwa 15 Prozent aller Neugeborenen, bei den Erwachsenen sind es aber nur noch drei bis acht Prozent. Eigentlich müsste man bei Erwachsenen jedoch ähnlich viele Betroffene haben. Es muss also eine Phase in der Kindheit geben, in der sich etwas ändert.

Thomas Bieber

ist Wissenschaftler am Christine Kühne-Center for Allergy Research and Education in Davos und Gastprofessor an der Klinik für Dermatologie und Allergologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Bis 2023 leitete er die Hautklinik am Uniklinikum Bonn.

Was vermutet man da?

Bei den Menschen, bei denen die Neurodermitis verschwindet, steigt zwischen dem zweiten und achten Lebensjahr vermutlich die Anzahl der reifen regulatorischen T-Zellen in der Haut, der TRegs. Also liegt es nahe, dass beides miteinander zusammenhängt: Gibt es mehr und gut funktionierende TRegs, wird die überschießende Reaktion des Immunsystems runtergefahren und die chronische Entzündungsreaktion eingedämmt.

Und vorher, als diese Patienten noch an einer Neurodermitis litten, hatten sie keine TRegs in der Haut?

Zumindest waren es bis dahin vermutlich zu wenige, die die Fähigkeit besitzen, die Kontrolle zu übernehmen. Es gibt nämlich noch die Gegenspieler der TRegs: die sogenannten TRMs, die Tissue-Resident Memory Cells. Das sind T-Zellen, die das Gedächtnis für die Entzündungsreaktion tragen. Solange sie vorhanden sind, wird die chronische Entzündung weiter angefeuert.

Die TRegs sind also die guten Zellen und die TRMs die bösen?

In dem Fall könnte man das sehr vereinfacht sagen. Wenn es ein Ungleichgewicht gibt, wenn es also zu viele TRMs und zu wenige TRegs gibt, dann läuft die chronische Entzündungsreaktion weiter.

Um welche Studie geht es?

Ein internationales Forschungsteam, dem auch Thomas Bieber angehörte, testete in einer frühen klinischen Studie, ob das Medikament Rezpegaldesleukin (REZPEG) gegen Neurodermitis oder Schuppenflechte hilft.

Von den 44 Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Neurodermitis bekamen zehn ein Placebo, die anderen erhielten das Medikament in verschiedenen Dosen. Dafür bekamen die Probanden zwölf Wochen lang alle zwei Wochen eine Spritze unter die Haut.

Das Ergebnis

Bei den Testpersonen mit Neurodermitis, die die höchste Wirkstoffdosis erhalten hatten, verbesserte sich der Hautzustand nach zwölf Wochen im Durchschnitt um etwa 80 Prozent. In der Placebogruppe waren es 47 Prozent. Der Wirkstoff reduzierte also die Ekzeme besser als die Placebobehandlung. Bei sieben von zehn Patienten aus der höchsten Dosisgruppe, die nach 19 Wochen eine Verbesserung ihrer Ekzeme von mindestens 50 Prozent hatten, hielt dieser Zustand bis Woche 48.

Die beteiligten Wissenschaftler führen diese auf eine Zunahme bestimmter Immunzellen zurück, sogenannter regulatorischer T-Zellen, die Entzündungen im Körper dämpfen können. REZPEG stimuliert die Andockstellen des Botenstoffs Interleukin-2 und greift so in die Steuerung, Vermehrung und das Überleben der regulatorischen T-Zellen ein.

Und das ändert der neue von Ihnen getestete Wirkstoff?

Genau, durch die Substanz kann man den Anteil an TRegs im Blut sowie im Gewebe erhöhen, das hat sich in Studien gezeigt. Dadurch wird das Gleichgewicht wiederhergestellt: Die Entzündungsreaktion nimmt ab, die Beschwerden der Patienten verschwinden mit der Zeit.

Welche Vorteile hat der neue Wirkstoff gegenüber herkömmlichen Medikamenten?

Die meisten Mittel gegen die Neurodermitis wirken nur, solange die Patienten sie nehmen. Die neue Substanz dagegen wirkt langfristiger, weil man ein dauerhaftes Übergewicht der TRegs gegenüber den TRMs schafft – die Entzündungsreaktion wird gleichsam aus dem Gedächtnis der Haut gelöscht.

»Eine komplett neue Generation von Wirkstoffen«

Die Patienten wären also geheilt?

Davon würde ich noch nicht sprechen, weil wir bisher nur für einige Monate sagen können, dass die Krankheit verschwunden ist. Ob sie zurückkommt, wissen wir noch nicht.

Wenn man die TRegs stärkt, toleriert das Immunsystem mehr, etwa Krebszellen, die es eigentlich zerstören sollte. Besteht dann nicht die Gefahr, dass ein Tumor entsteht?

Das weiß man noch nicht. Man wird über viele Jahre Daten von den Patienten erheben und beobachten müssen, ob ein Risiko besteht.

Gibt es akute Nebenwirkungen?

Wir sehen zurzeit keine, bis auf Reaktionen an der Einstichstelle – das Medikament wird in die Haut gespritzt.

Wann wird es auf den Markt kommen?

In fünf Jahren vielleicht. Es gibt aber noch weitere Medikamente, die ähnlich wirken, also auf den Erkenntnissen des aktuellen Nobelpreises beruhen. All diese Medikamente stehen für eine komplett neue Generation von Wirkstoffen, die Patienten für längere Zeit von ihren Leiden befreien könnten.

Welche wären das noch?

Lebensbedrohliche Autoimmunerkrankungen zum Beispiel. Auch gegen schwere Komplikationen nach Stammzelltransplantationen bei Leukämien könnten die Mittel helfen.

Was ist mit allergischem Asthma oder Rheuma, bei denen sich das Immunsystem auch gegen den eigenen Körper richtet?

Etwa ein Drittel der Patienten mit mittelschwerer oder schwerer Neurodermitis leidet auch an Asthma. Ich würde darauf wetten, dass bei diesen Patienten auch das Asthma besser wird, wenn man die Neurodermitis mit den neuen Medikamenten behandelt. Und bei der rheumatoiden Arthritis könnte ich mir Ähnliches vorstellen. Die Neurodermitis ist jetzt eine Art Test, ob das neue Prinzip funktioniert.

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  • Quellen

Silverberg, J. et al., Nature Communications 10.1038/s41467–024–53384–1, 2024

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