Gehirn-Computer-Schnittstelle: Ein neues Gerät kann Gedanken in Sprache übersetzen – in Echtzeit

Erinnern Sie sich noch an die Liebeskomödie »Was Frauen wollen«? In dem Film aus dem Jahr 2001 kann ein Mann nach einem Stromschlag plötzlich die intimsten Gedanken der Frauen um ihn herum hören. Der zunächst unsympathische Chauvinist wird daraufhin zum einfühlsamen Frauenversteher. Was damals noch ein fiktionaler Twist war, ist in greifbarere Nähe gerückt: Mit Gehirn-Computer-Schnittstellen, kurz BCI, kann inzwischen still artikulierte Sprache aus der Großhirnrinde von einem Rechner ausgelesen werden. Somit lassen sich Gedanken in Text oder computergenerierte Sprache umwandeln. Insbesondere für Menschen, die nach einem Schlaganfall oder einer anderen neurologischen Erkrankung nicht mehr sprechen können, ist ein solches Neuroimplantat eine Möglichkeit, ihre Stimme wiederzuerlangen.
Bisherige Geräte zeigten allerdings starke Verzögerungen zwischen der gedanklichen Formulierung der Sätze und der Sprachausgabe. Das verhindert eine gleichberechtigte Teilhabe der Patienten an Konversationen und führt oft zu Frust sowie zu Missverständnissen zwischen Zuhörer und Sprecher. Ein Team von der University of California in Berkeley hat das Prinzip nun entscheidend verbessert: Der neue Chip verarbeitet die Hirnaktivität kontinuierlich und setzt die nonverbal formulierten Sätze annähernd in Echtzeit in Sprache um. Das Team um Kaylo Littlejohn stellt die Ergebnisse der Tests mit einer 47-jährigen Patientin, die seit 18 Jahren nicht mehr sprechen kann, in der Fachzeitschrift »Nature Neuroscience« vor.
Der BCI-Chip wurde der Frau direkt über dem motorischen Sprachzentrum eingesetzt; die Hirnaktivität wird von Elektroden abgegriffen und aufgezeichnet. Mit diesen Daten trainierten die Forschenden ein neuronales Netzwerk. Dazu sollte die Probandin zunächst vorgegebene Sätze mit einem Wortschatz aus 1024 einzelnen Begriffen still artikulieren. Bei der späteren Überprüfung formulierte sie in Gedanken erneut vorgegebene Sätze mit diesem Wortschatz, die das trainierte Modell dann in Sprache ausgeben sollte. Für die bekannten Sätze erreichte das System eine Ausgabe mit nur gut einer Sekunde Verzögerung.
Noch viel Luft nach oben
Für eine tatsächliche klinische Anwendung sind allerdings weitere Verbesserungen nötig. So berichten die Forschenden etwa, dass die Fehlerrate mit bis zu 60 Prozent für die Sprachausgabe und 32 Prozent für die Textausgabe sehr hoch liegt. Statt »You had to tell him« sagte die Computerstimme etwa »You why to make him«. Statt »Is there anything I can do« sagte sie »Is that they buy and chew« und statt »I just got here« kam »I've said to stash it« dabei heraus.
Das Science Media Center hat einige Experten um eine Einschätzung der Ergebnisse gebeten. Diese äußern sich zwar grundsätzlich wohlwollend und halten die technische Demonstration für bemerkenswert, weisen aber auch auf Einschränkungen der Studie hin. So gibt beispielsweise Surjo Soekadar, Oberarzt an der Charité Berlin und Leiter der Arbeitsgruppe Klinische Neurotechnologie, zu bedenken, dass unklar bleibe, ob die Anwendung auf andere Patienten übertragbar ist. Denn die Versuchsperson habe eine sehr untypische Hirnschädigung nach einem Schlaganfall. Die Tatsache, dass der Adressatenkreis recht klein ist, bemängeln auch Rüdiger Rupp vom Uniklinikum Heidelberg und Simon Jacob von der TU München. Es sei dennoch »ein ermutigender Fortschritt, der zeige, dass man bislang nicht zu behandelnde Störungen des Sprechens möglicherweise zukünftig mit einer Gehirn-Computer-Schnittstelle überbrücken kann«, sagt Jacob.
Auf die Frage, welche nächsten Schritte nun folgen sollten, um derartige Neuroimplantate weiterzuentwickeln, erklärt Soekadar, dass ein natürlicheres Sprachbild wahrscheinlich mehr Elektroden auf einer größeren Fläche erfordere, um die Genauigkeit der Voraussage von Silben und Wörtern zu erhöhen. Auch der Einsatz von nichtinvasiven Technologien wie Quantensensoren sei künftig denkbar. Simon Jacob sieht hingegen im Bereich der KI den größten Entwicklungsbedarf. Die Messtechnologie und die neurochirurgischen OP-Techniken seien schon gut genug, um klinisch bedeutende Ergebnisse zu erzielen – das zeige unter anderem die vorliegende Studie. Bis man damit den Gedanken anderer Menschen lauschen kann, ist es aber noch ein weiter Weg. Um wirklich zu verstehen, »was Frauen wollen«, müssen Männer sich also noch ein wenig in klassischer Empathie üben.
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