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Wahrnehmung: Spezielle Neurone melden Viren ans Gehirn

Das Gehirn steuert die Reaktion des Körpers auf Infektionen. Doch bisher war unklar, wie es vom Angriff erfährt. Nun zeigt sich: Das Hirn weiß sogar punktgenau, wo er passiert.
Eine junge Frau liegt in gesellschaft einer größeren Anzahl Taschentücher im Bett und schneuzt sich gerade die Nase
Wenn wir uns ein Virus einfangen, geht es uns schlecht. Das aber vor allem, weil uns unser Gehirn aktiv krank macht. Es erzeugt Symptome wie Fieber, Mattigkeit oder Appetitlosigkeit, wenn es eine Infektion registriert.

Müde, appetitlos, einfach krank: Egal ob wir die Grippe haben oder ein schnödes Rhinovirus, einige allgemeine Symptome haben eigentlich alle Infektionen gemeinsam. Dieses stereotype »Kranksein« entsteht nämlich nicht durch die Infektion – vielmehr erzeugt das Gehirn diesen Zustand aktiv selbst, wenn es erfährt, dass ein Virus sein Unwesen treibt. Wie jetzt eine Arbeitsgruppe um Na-Ryum Bin von der Harvard Medical School berichtet, sitzen im Rachen spezielle Nervenzellen, die eigens dazu da sind, Infektionen mit Atemwegserregern ans Gehirn zu melden. Ihre Versuche an mit einem Grippevirus infizierten Mäusen hätten gezeigt, dass eine spezielle Gruppe sensorischer Nerven die typischen allgemeinen Krankheitssymptome auslöst, schreibt sie in »Nature«. Zerstört man sie oder schaltet einen bestimmten Rezeptor dieser Zellen aus, verhalten sich grippeinfizierte Mäuse, als seien sie gesund.

Wenn sie Grippe haben, sind Mäuse ähnlich wie wir: Sie essen und trinken weniger, kriegen Fieber und hängen schlaff herum. Das vom Gehirn selbst erzeugte Krankheitsgefühl ist zwar unangenehm, es gilt aber ein wichtiger Teil der Reaktion des Körpers auf die Infektion. Allerdings ist bisher nur teilweise bekannt, wie das genau funktioniert. Zum Beispiel fand eine Arbeitsgruppe im Jahr 2022 eine Gruppe von Neuronen im Gehirn, die Mäuse schlapp macht und weniger essen und trinken lässt, wenn man ihnen ein Bakteriengift spritzt, um eine Infektion zu simulieren. Unklar ist dagegen zum Beispiel noch, wie das Zentralnervensystem Fieber erzeugt. Und bisher war auch unbekannt, wie das Gehirn genau von der Infektion erfährt.

Viele Fachleute vermuteten zum Beispiel, dass das Immunsystem als eine Art Sinnesorgan funktioniert und Infektionen durch eigene Signalstoffe ans Gehirn melden. Heißer Kandidat für so einen Botenstoff ist schon lange Prostaglandin E2 (PGE2), ein Fettmolekül mit Hormonfunktion. Viele Medikamente, die das Krankheitsgefühl lindern, hemmen nämlich die Herstellung dieses Moleküls. Das, so die Idee, würde bei einer Infektion stärker produziert und einfach mit dem Blut ins Gehirn getragen, wo es die »Krankheitsneurone« aktiviert. Genau das allerdings passiert nicht, wie das Team um Bin unter anderem demonstrierte. Zwar zeigen Versuche, dass tatsächlich ein als EP3 bezeichneter Rezeptor für Prostaglandin E2 entscheidend für das »Kranksein« ist – es aber auf das Verhalten der Mäuse keinen Einfluss hat, wenn man den Rezeptor im Gehirn ausschaltet.

Stattdessen fand die Arbeitsgruppe den Rezeptor in einigen spezialisierten Gruppen von Nervenzellen im Rachenbereich wieder, darunter die so genannten petrosalen GABRA1-Neurone. Diese führen vom Stammhirn entlang des Felsenbeins hinab zum Rachen und in die Schleimhaut in der Region der Mandeln. Dort sitzen besonders viele Immunzellen, und wenn sich ein Erreger breitmacht, geben sie Prostaglandin E2 ab. Wie das Team um Bin berichtet, verschwindet das Krankheitsverhalten der Mäuse, wenn man diese Neuronen zerstört oder den EP3-Rezeptor ausschaltet. Demnach melden diese Nerven die Infektion in den oberen Atemwegen direkt ans Gehirn. Die Fachleute vermuten, dass es ganz ähnliche Neurone in praktisch allen Körperteilen gibt – demnach kriegt das Gehirn nicht nur gemeldet, dass es eine Infektion gibt, sondern auch wo. Was das Gehirn mit dieser Ortsinformation anfängt ist eines der vielen Rätsel, die auch nach dieser Entdeckung noch offen bleiben.

Tatsächlich scheinen die Experimente sogar eine als geklärt geltende Frage neu aufzuwerfen, nämlich welchen Sinn das »Kranksein« hat. Bisher gehen Fachleute fast einhellig davon aus, dass das veränderte Verhalten dabei hilft, die Krankheit besser zu bekämpfen. Bei Fieber ist das auch der Fall. Wie aber die Arbeitsgruppe um Bin berichtet, starben in ihren Studien weniger Mäuse an der Grippe, wenn ihr Krankheitsverhalten abgeschaltet war. Das könnte zum Beispiel darauf hindeuten, dass der Mechanismus womöglich eher die Übertragung von Erregern in der Population eindämmt, als dem Individuum zu nützen. Oder aber der Effekt wirkt bei Grippe einfach nicht besonders gut – Wildtiere haben unter normalen Umständen mehr mit Parasiten oder Bakterien zu kämpfen als mit epidemischen Viren, so dass das Krankheitsverhalten womöglich auf Erstere zugeschnitten ist.

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