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News: Neuronengesang

Myriaden von Nervenzellen des Gehirns empfangen permanent einlaufende Informationen, verarbeiten sie und schicken sie als Befehle wieder nach draußen. Ein chaotisch erscheinendes Muster ständig feuernder Zellen sollte die Folge sein. Doch die Neuronen wissen sich durchaus zu disziplinieren.
Nervenzellen
Von der Erde zum Mond und wieder zurück – diese Strecke, nämlich 768 000 Kilometer, ließe sich mit der Gesamtlänge aller Nervenfasern eines einzigen Erwachsenen überbrücken. Insgesamt etwa 30 Milliarden Nervenzellen sorgen im menschlichen Körper für den nötigen Informationsaustausch, davon sitzen im Großhirn schätzungsweise 10 Milliarden Stück.

Allein ein einziger Kubikmillimeter Großhirnrinde enthält schon 20 000 bis 100 000 Neuronen, wovon jedes einzelne ständig mit seinen zahlreichen Nachbarn über insgesamt 800 Millionen Synapsen kommuniziert. Mehr als 200 000 Nachrichten können gleichzeitig auf ein einziges Neuron niederprasseln. Im Gehirn herrscht niemals Ruhe.

Kodiert wird diese Nachrichtenflut durch Aktionspotenziale, genauer gesagt durch deren Frequenz: Je stärker der Reiz, desto dichter folgen diese Informationshäppchen hintereinander. Wann die Nervenzelle die einlaufende Nachricht an ihre Nachbarinnen genau weitergibt, sollte dabei keine Rolle spielen. Und da Neuronen auch spontan feuern, sollte ein chaotisches Muster von Aktionspotenzialen ständig durch unsere grauen Zellen fluten.

Doch Moshe Abeles von der Hebräischen Universität Jerusalem hatte nie an dieses Chaos geglaubt. Er vermutet vielmehr, dass die Neuronen sich sehr wohl zeitlich zu koordinieren wissen. Nach seinem "Synfire-Chain-Modell" gibt es Ketten von Neuronen, die gleichzeitig losfeuern und damit nachgeschaltete Nervenzellketten wiederum zum synchronen Feuern anregen. Somit liefen nach dieser Theorie regelrechte Wellen gleichzeitig aktiver Nervenzellen durch das Gehirn, und diese Synchronisation könnte nach Meinung des Neurophysiologen das Gehirn zur Informationsverarbeitung nutzen.

So schön Abeles' Synfire-Theorie auch klingt, sauber nachgewiesen hat sie bisher noch keiner. Yuji Ikegaya von der New Yorker Columbia-Universität hat nun versucht, diesen Nachweis nachzuliefern. Zusammen mit seinen Kollegen analysierte er die Feuermuster von Hirnzellen – und zwar sowohl in Hirnzellpräparaten aus dem visuellen Kortex der Maus als auch bei lebenden Tieren, nämlich dem visuellen Kortex betäubter Katzen. Über Spannungsklemmen – der so genannten Voltage-clamp-Methode – konnten die Forscher die Ionenströme in den Nervenzellen messen.

Und die Auswertung der Messungen ergab, dass über dem zunächst chaotisch erscheinenden Wirrwarr der aktiven Neuronen tatsächlich sich wiederholende Muster erkennbar waren. Die Forscher konnten regelrechte "Motive" von im Gleichtakt feuernden Nervenzellgruppen ausmachen, der einem "kortikalen Gesang" enstprach, so wie sich das Abeles vorgestellt hatte.

Liegt in diesem Gesang eine verschlüsselte Botschaft? Möglich wäre es, indem beispielsweise das Gehirn bestimmte Nervenzellen durch die Synchronisation markiert und damit zu Gruppen zusammenstellt. Doch selbst der Schöpfer der Hypothese, Moshe Abeles, zeigt sich vorsichtig: "So ansprechend die Synfire-Chain-Hypothese auch ist, es bleibt noch zu beweisen, dass Synfire-Ketten im intakten Gehirn wirklich existieren und für das Verhalten von Tieren und Menschen relevant sind."

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