Direkt zum Inhalt

Genetik: Nicht ganz so kritisch

Ganz klar: Ein überschüssiges Chromosom 21 ist verantwortlich für das Down-Syndrom. Doch nur eine bestimmte Region auf dem dreifach vorhandenen Chromosom löse die spezifischen Symptome aus, glaubte man jahrzehntelang. Ganz so einfach liegen die Dinge offenbar aber nicht.
Gentechnisch veränderte Maus
Das Leben einer befruchteten Eizelle ist sehr schnell zu Ende, wenn sie nicht die richtige Menge an Chromosomen mitbringt. Nur in wenigen Fällen entwickeln sich Zygoten mit anomaler Chromosomenzahl zu einem lebensfähigen Menschen – so zum Beispiel, wenn beim Down-Syndrom (auch als Trisomie 21 bekannt) das Chromosom 21 in dreifacher anstatt doppelter Ausfertigung vorliegt. Die unplanmäßige Vervielfältigung bleibt jedoch nicht ohne Auswirkungen: Die betroffenen Menschen haben charakteristisch veränderte Gesichtszüge und Gesichtsknochen, sind geistig retardiert, werden oftmals mit einem Herzfehler geboren und nicht selten beginnt bei ihnen sehr früh die Alzheimer-Krankheit.

Manche Menschen – allerdings sehr wenige – zeigen ein Down-Syndrom, obwohl sie das Chromosom 21 in der ganz normalen doppelten Ausfertigung haben. Bei ihnen liegen dann aber bestimmte Gene dieses Chromosoms in dreifacher Ausfertigung vor – und die Betroffenen weisen die für Trisomie 21 typischen körperlichen und geistigen Veränderungen auf. Deswegen nimmt man an, dass diese "kritische Chromosomenregion" aus einer begrenzten Anzahl bestimmter Gene für die typischen Symptome des Down-Syndroms verantwortlich ist. Allein, beweisen ließ sich diese Hypothese bisher nicht.

Auf den Prüfstand stellte sie jetzt die Arbeitsgruppe um Roger Reeves von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore mit Hilfe gentechnisch veränderter Mäuse. Die Nager verfügen über die gleichen Gene, wie sie der Mensch auf dem Chromosom 21 trägt – bei Mäusen sind sie allerdings auf drei verschiedene Chromosomen verteilt. Dennoch gelang es vor einigen Jahren durch die Vervielfältigung einzelner Chromosomenabschnitte Mäuse zu entwickeln, die 104 der 231 Gene, welche beim Menschen auf Chromosom 21 liegen, in dreifachem Satz tragen. Diese mit dem Kürzel Ts65Dn bezeichneten Tiere zeigen einige der typischen Trisomie-21-Symptome, wie zum Beispiel eine deutlich veränderte Kopfform.

Die Forscher um Reeves verfeinerten nun dieses Tiermodell und schufen Mäuse, bei denen sie lediglich die 33 Gene der kritische Region manipulierten: Mit gentechnischen Kniffen veränderten sie die Chromosomen von Mäusen dergestalt, dass sie sowohl Nager erhielten, welche die kritische Region für Trisomie 21 nur in einfacher Ausfertigung hatten, als auch solche, bei denen diese Gene dreifach vorliegen.

Der Vergleich der Körper- und Kopfmaße dieser Neuzüchtungen mit normalen und mit Ts65Dn-Mäusen überraschte die Wissenschaftler: Die Tiere mit der dreifachen kritischen Region waren – anders als erwartet – größer als normale Mäuse und hatten einen längeren Kopf. Ts65DN-Mäuse sowie die Nager mit einfacher kritischer Region hingegen waren kleiner als normal; zumindest für die Ts65DN-Tiere entsprach dies der Erwartung.

Die Mäuse mit dem dreifachen Satz der kritischen Gene entsprachen also in ihrer Kopfform und Körpergröße keineswegs dem Typus des Down-Syndroms, wohl aber die Tiere mit verringerter oder normaler Anzahl dieser Gene. Die kritische Chromosomenregion konnte also nicht für die für Trisomie 21 typischerweise geringere Größe und den kürzeren Kopf verantwortlich sein.

Nun machte die Arbeitsgruppe die Gegenprobe: Sie kreuzte die Mangelmutanten mit einfachem Satz der kritischen Gene mit Ts65DN-Mäusen. Daraus entstanden Tiere, bei denen zwar die meisten Gene der Ts65DN-Mäuse dreifach vorliegen, die Gene der kritischen Region aber in normaler doppelter Ausfertigung vorhanden sind. Würden die Gene der kritischen Region den verkürzten Kopf hervorrufen, müssten diese Tiere eine normale Kopfform aufweisen, da bei ihnen die entsprechenden Gene in normaler Anzahl vorliegen. Der Schädel dieser Mäuse war aber – ganz ähnlich wie bei den Ts65DN-Mäusen – deutlich verkürzt. Demnach hatten in diesem Fall Gene aus den dreifach vorliegenden Bereichen ihre Finger im Spiel.

Die kritischen Gene für sich alleine verursachen also nicht die besondere Kopfform beim Down-Syndrom. Die Wissenschaftler nehmen an, dass dieses Symptom eher aus einem komplexen Zusammenspiel der kritischen Region mit anderen Genen resultiert.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

  • Quellen

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.