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Medikamentenforschung: Nicht länger vernachlässigt?

Tropenkrankheiten bringen unendliches Leid für die Betroffenen und schaden der ökonomischen Entwicklung der jeweiligen Länder. Doch die Suche nach effektiven Behandlungsmöglichkeiten verläuft bisher schleppend - immerhin scheint sie sich zum Besseren zu wandeln.
Medikamente
Haben Sie schon einmal von Leishmaniose gehört? Wenn nicht, geht es ihnen vermutlich wie vielen anderen. Dabei sind geschätzte 16 000 000 Menschen von dem Parasiten Leishmania donovani befallen, 50 000 sterben jährlich daran. Dies trifft auch für zahlreiche andere Krankheiten zu: Malaria, Tuberkulose, die Schlafkrankheit, Chagas, und die Liste ließe sich noch weiter fortsetzen. Gemeinsam haben die Krankheiten, dass sie eine große Anzahl von Menschen betreffen, die jedoch meist arm sind und in Entwicklungsländern leben – keine attraktive Zielgruppe für Pharmakonzerne. Auf Grund der geringen Forschungsaktivität für die Entwicklung neuer Medikamente werden diese Krankheiten daher häufig unter dem Ausdruck "vernachlässigte Krankheiten" zusammengefasst.

Seit Jahren versuchen verschiedene private und staatliche Initiativen in der westlichen Welt, dem Finanzierungsproblem zu begegnen. Dazu versuchen sie meist, einen Markt für teure Medikamente in den von vernachlässigten Krankheiten betroffenen Ländern zu schaffen, um so der Pharmaindustrie einen Anreiz zu bieten. Dazu unterschreiben beispielsweise Regierungen milliardenschwere Garantien über die Abnahme eines noch zu entwickelnden Medikaments oder setzen sich für die Freigabe von Patenten in den entsprechenden Ländern ein. Gefruchtet hat dieser Ansatz bisher wenig: Seit 1975, so ergab eine Studie von Mary Moran an der London School of Economics, kamen gegen die vernachlässigten Krankheiten gerade einmal 13 neue Medikamente auf den Markt.

Eine magere Ausbeute – bis jetzt. Andererseits, so fand Moran ebenfalls heraus, entstand zwischen 2000 und 2004 eine Vielzahl von Forschungsprojekten, die auf die Entwicklung solcher Medikamente abzielen. In ihrer Analyse zählte Moran 63 solcher Unternehmungen, aus denen unter Annahme üblicher Erfolgsquoten bei der Entwicklung von Pharmazeutika in den nächsten Jahren acht bis neun zugelassene Medikamente hervorgehen könnten. Zwei davon sind bereits in der Zulassungsphase, für 18 weitere laufen bereits klinische Studien.

An gut drei Vierteln der 63 Studien sind Public-Private-Partnerships (PPP) beteiligt – nicht gewinnorientierte Organisationen, welche im vorliegenden Fall Gesundheit zum Ziel haben. Die "Initiative on Public-Private-Partnership for Health" listet 47 solcher Initiativen, die sich im Bereich der vernachlässigten Krankheiten engagieren. Die übrigen Projekte sind allein von der Pharmaindustrie finanziert. Darüber hinaus arbeiten die Konzerne an einem weiteren Viertel der Studien mit PPPs und kleineren Firmen zusammen.

Doch woher kommt das neue Interesse der Pharmakonzerne, sich mehr als in den vergangenen Jahrzehnten zu engagieren? Bei ihrer Analyse fand Moran mehrere die Industrie motivierende Faktoren: Einerseits sahen sich die Entscheidungsträger angesichts stetig wachsender Kritik an ihrer Politik gegenüber den Problemen von Entwicklungsländern immer mehr im Zugzwang. Mit der Entwicklung neuer Präparate, die vor allem Menschen in Entwicklungsländern zugute kommen werden, übernehmen sie soziale Verantwortung – und das nützt auch dem Image. Außerdem gaben einige der Unternehmen an, sie erhofften sich über die Mittel, von denen kein Gewinn zu erwarten ist, Zugang zu bisher für sie nur schwer zugängliche Märkten auch mit anderen Medikamenten. Nicht zuletzt profitieren die Konzerne von ihrer Zusammenarbeit mit PPPs, weil jede Partei genau das tut, was ihre Stärke ist: Pharmakonzerne entwickeln die Wirkstoffe, anschließend übernehmen die PPPs die wesentlich kostspieligeren klinischen Studien und kümmern sich um die Zulassung der Mittel in den betroffenen Ländern.

Neben den Konzernen sind an knapp fünfzig Prozent der analysierten Studien kleinere Unternehmen beteiligt, wobei diese Firmen alle mit PPPs zusammenarbeiten. So heterogen wie die Zusammensetzung sind auch die Interessen der Firmen: Teilweise werden sie von PPPs dafür bezahlt, für schon entwickelte Medikamente die für die Zulassung notwendigen Tests durchzuführen. So laufen beispielsweise an einem Unternehmen klinische Tests für ein Tuberkulose-Medikament, das ein Pharmakonzern der TB-Alliance überlassen hat, da er selbst nicht an der Weiterentwicklung interessiert war. Das Interesse akademischer Forschungsinstitute liegt dagegen häufig nicht in der Entwicklung von Medikamenten, sondern darin, das Funktionieren einer neu entwickelten Methode zu beweisen. Eine ganze Reihe der von Moran befragten Unternehmen gab jedoch an, sich wirtschaftlichen Erfolg von den einmal entwickelten Medikamenten zu erhoffen. Wie kann das sein, angesichts der Behauptung der Pharmariesen, die Entwicklung von Medikamenten gegen vernachlässigte Krankheiten lohne nicht?

Für kleine Unternehmen herrschen andere Grundvoraussetzungen: Für sie rentieren sich bereits kleine Gewinnmargen. Die Konzerne dagegen müssen mit dem Erfolg weniger Medikamente die Kosten vieler fehlgeschlagener Projekte finanzieren. Außerdem sitzen ihnen stets die Shareholder im Nacken, vor denen sie jede Investition rechtfertigen müssen – angesichts unsicherer Aussicht auf einen kommerziellen Erfolg kein einfaches Unterfangen. Gewinn ist auch ein Motiv der Firmen aus den betroffenen Ländern selbst, die an immerhin einem Viertel der Studien beteiligt sind. Sie haben gegenüber den Pharmakonzernen den Vorteil, dass sie geringere laufende Kosten haben und näher am Markt sind.

Welche Rolle spielen jedoch die PPPs bei der Entwicklung von Medikamenten? In erster Linie tragen sie einen Großteil der Kosten und stoßen damit häufig die Forschung an. Dafür bringen sie verschiedene Partner zusammen, die sich sonst eventuell gar nicht finden würden, zum Beispiel Industrie und rein akademische Forschungsinstitute. Zudem kanalisieren sie den Geldfluss, da sie als Geldgeber darüber entscheiden, welche Projekte realisiert werden, wie deren Organisation aussieht und welche Projekte eingestellt werden sollten.

Um zu überprüfen, welches Modell am vielversprechendsten ist, vergleicht Moran den Erfolg bereits abgeschlossener Projekte. Dafür bewertet sie die auf den Markt gekommenen Mittel nach ihrem Nutzen für die Gesundheit, auch in Beziehung zu ihren Kosten für den Patienten, ihrem Innovationswert, der Entwicklungsdauer und den Entwicklungskosten nach verschiedenen Kriterien. In nahezu allen Kategorien schneiden Projekte, die allein von der Pharmaindustrie finanziert sind, schlechter ab als solche, die entweder in Zusammenarbeit von Pharmaindustrie und PPPs oder durch mindestens teilweise PPP-finanzierte kleinere Unternehmen durchgeführt wurden.

Darin sieht Moran einen Widerspruch zu der bisher gängigen Praxis westlicher Hilfsmaßnahmen: Diese zielten stets darauf ab, industriefinanzierte Forschung zu fördern. Dagegen gälten PPPs als weniger vertrauenswürdig, nicht zuletzt da es eine schwer überschaubare Anzahl von teilweise noch jungen und daher wenig bekannten Initiativen gebe. Da sie sich jedoch in ihrer Analyse als deutlich effektiver erwiesen, fordert Moran zu einem Umdenken dahingehend, dass öffentliche Gelder zukünftig nicht mehr rein industriefinanzierten Projekten, sondern PPPs zur Verfügung gestellt werden sollten. Denn dieser Zweig der Forschung leidet immer noch unter chronischem Geldmangel – da sollte wenigstens dafür Sorge getragen werden, dass jeder Cent so effektiv wie möglich genutzt wird.

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