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News: Nicht nur Tee ist eine Wissenschaft für sich

Jahr für Jahr verleiht das Annals of Improbable Research die Ig-Nobelpreise für wissenschaftliche Fortschritte, die 'nicht wiederholbar sind oder lieber nicht wiederholt werden sollten'. Wissenschaftler von Rang und Namen, selbst echte Nobelpreisträger lassen es sich nicht nehmen, für die Preisträger auf der Bühne die Laudatio zu halten und sie zu ihrem Erfolg zu beglückwünschen.
Auch im Rahmen der diesjährigen Veranstaltung wurde den Gästen sicherlich ein heißes, relativ durchscheinendes Getränk gereicht, das Literaten wie Wissenschaftler gleichermaßen beflügelt und zudem auch in fast jedem Haushalt anzutreffen ist: Tee. Wie elementar seine Bedeutung im täglichen Leben der Menschheit und besonders in der Forschung ist, wurde dieses Jahr bei der Verleihung der Ig-Nobelpreise besonders deutlich.

Wie kocht man Tee? Ganze Bücher gibt es zu dem Thema, die Diskussion darüber mutet fast philosophisch an. Um der Streiterei ein Ende zu machen, hat die British Standards Institution endlich unter der Kennziffer BS 6008 eine sechsseitige Anweisung für die korrekte Zubereitung einer Tasse Tee veröffentlicht. Sicherlich wird diese Arbeit, für die es den Ig-Nobel-Preis für Literatur gab, nicht nur in die Küchen von Restaurants und Cafés Einzug halten.

Ist der Tee dann aufgebrüht, stellt sich das nächste Problem: das Eingießen. Besitzen Sie eine tropffreie Teekanne? Nein? Keine Sorge, Prof. Jean-Marc Vanden-Broeck ist auf dem besten Wege, diese Schwierigkeit zu lösen und die endgültige Formel für die nicht tropfende Teekanne zu entwickeln. Schon seit 17 Jahren forscht der Mathematiker, der selbst gar keinen Tee trinkt, an diesem leidigen Thema, denn viele Faktoren erschweren seine Arbeit. Da ist zum Beispiel die Wärmeenergie des Wassers, die Größe der Tülle, der Winkel, mit dem der Strahl die Kanne verläßt und nicht zuletzt die Form der Teekanne – alles ist zu berücksichtigen. Wie gut, daß seine Arbeit auch der US Navy zugute kommt, da die Art und Weise, wie Tee fließt, mathematisch ähnlich zu beschreiben ist wie der Widerstand, den Wellen einem Schiffsrumpf entgegensetzen. Die kleinen Probleme des Alltags als Vorlage für die großen Probleme der Menschheit – Ig-Nobelpreis für Physik an Vanden-Broeck.

Diesen Preis teilt er sich mit Dr. Len Fisher von der University of Bristol, der sich ebenfalls mit einem ganz alltäglichen, aber doch sehr ärgerlichen Problem herumgeschlagen hat: Wie tunke ich Biskuits, so daß sie nicht als braune, schlammartige Masse im Frühstücks- oder Fünf-Uhr-Tee zu Boden sinken? Keine Erfahrungssache, sondern exakt berechenbar, sagt Fisher. Zwei Monate haben seine Arbeitsgruppe und er Versuche dazu durchgeführt, und obwohl noch einer von vier Versuchsbiskuits im heißen Tee schmolz, so konnten sie doch die Lösung finden: Der durchschnittliche Porendurchmesser eines Biskuits entspricht dem Vierfachen der Viskosität des Tees, multipliziert mit der Höhe, bis zu der die Flüssigkeit steigt, zum Quadrat, dividiert durch die Oberflächenspannung des Tees und multipliziert mit der Zeitspanne, die der Biskuit getunkt wird. Alles klar? Für die Teetrinker, die nicht jedesmal Rechenaufgaben beim Nachmittagstee lösen wollen, soll es demnächst Listen zum Nachschlagen für verschiedene Kekssorten geben. Auch ist für das Tunken an sich durchaus eine gewisse Fertigkeit vonnöten, für die etwas Ungeschickteren unter uns haben die Wissenschaftler den Prototyp eines Tunkhalters entwickelt.

Doch nicht nur Biskuits schmecken zu Tee – oder auch Kaffee. Tim Hortons, einer der größten Anbieter für eine nette Tasse derselben, und dazu ein Brötchen, ein Stück Kuchen – oder ein Donut! – immer nach dem Motto: "Alles frisch!" ist Gegenstand des Ig-Nobelpreises für Soziologie. Diese Kaffeestuben spielen eine ganz entscheidende Rolle im sozialen Leben, wollen Zuhause vermitteln und die Beziehungen fördern. Sogar kanadischen Soldaten in Kuwait brachte Tim Hortons den taste of home, und jedes Jahr dürfen unterprivilegierte Kinder Ferienurlaub auf Geschäftskosten machen. Die große gesellschaftliche und soziale Rolle würdigt Tim Penfold von der University of Toronto nun in seiner Doktorarbeit: "Tim Horton of Hamilton: Suburban Culture and the Donut Store, 1950-1985".

Auch feuriges Chili con Carne gibt es womöglich dort. Keine Angst mehr vor zu scharfem Essen braucht man zu haben, wenn in der Küche der von Paul Bosland von der New Mexico State University und Direktor des Chile Pepper Institute entwickelte geschmackslose Chilipfeffer zum Würzen dient. Obwohl man sich überlegen könnte, ob seine Erfindung nicht auch für die Medizin von entscheidender Bedeutungslosigkeit ist, wurde ihm dafür der Ig-Nobelpreis für Biologie verliehen. Und ein kleines Täßchen Tee zum Nachtisch.

Für Geschäftsleute, die nach einem schnellen Chili con Carne zum nächsten Termin hetzen, hat Hyuk-ho Kwon von der Kolon Company in Seoul noch die passenden Anzüge kreiert: Selbstparfümierend überspielen sie jeden Geruchshinweis auf Streß – und man kann nach der Besprechung im wahrsten Sinne des Wortes wieder verduften. Der Preis für Umweltschutz ging dafür an ihn.

Für Frauen, die ihre Männer in Verdacht haben, womögliche plauschige Teestündchen und noch ganz andere Dinge mit fremden Damen abzuhalten, hat Takeshi Makino, Präsident der The Safety Detective Agency in Osaka, ein Spray entwickelt, mit dem sie Spermaspuren in der Unterwäsche ihres Angetrauten nachweisen können. Noch bis zu zwei Stunden nach einer Ejakulation werden aus dem Harntrakt Samen abgegeben. Nach Aussage von Makino können diese Spuren noch zwei Wochen nach dem Ereignis nachgewiesen werden – sofern das Beweisstück nicht zwischenzeitlich in die Wäsche gewandert ist.

Wohl weniger als Schutz vor der Wut der Betrogenen, als vielmehr vor nächtlichen Straßenüberfällen haben Charl Fourie und Michelle Wong aus Johannesburg einen wirksamen Schutz entwickelt. Die von ihnen konstruierte Alarmanlage für Autos ist mit je einem Flammenwerfer unter den beiden Türen ausgestattet. Dafür hätte ihnen auch James Bond den Ig-Nobelpreis für Frieden verliehen.

Doch zurück zum Tee. Nach mehreren Tassen weckt das Getränk meist ein gewisses menschliches Bedürfnis. Dieses gewisse Bedürfnis wird auch manchmal vom Arzt gefordert, um die Grundlage für so manche Laboruntersuchung zu erhalten. Doch – wie auffangen und transportieren? Dr. Arvid Vatle sammelte und klassifizierte, welche Gefäße seine Patienten so alles für Urinproben verwendeten. Für seine am 20. März 1999 in der Tidsskift for Den norske laegeforening der Norwegian Medical Assciation veröffentlichten Ergebnisse bekam er den Ig-Nobelpreis für Medizin.

Eher eine Tasse Tee zur Beruhigung hätte sich wahrscheinlich Charles Darwin gekocht bei der Lektüre der Morgenzeitung im August diesen Jahres. Das Kansas State Board of Education und das Colorado State Board of Education entschieden, die Evolutionstheorie als Grundlage für die Entstehung des Menschen aus den Lehrplänen zu nehmen – eine Entscheidung, die nicht nur in der Wissenschaftswelt auf Unverständnis und sogar Verärgerung gestoßen ist. Die Evolutionstheorie soll dabei nicht durch den Kreationismus ersetzt werden, der den Menschen als Schöpfung eines höheren Wesens betrachtet. Den Lehrern ist in Zukunft freigestellt, was und in welchem Umfang sie vermitteln. Für diese glorreiche Entscheidung verliehen die Annals of Improbable Research den Verantwortlichen den Ig-Nobelpreis für Wissenschaftserziehung.

Bei Frauen kurz vor der Geburt werden die Gedanken wohl weniger um Tee kreisen – aber wenn es nach George B. Blonsky und Charlotte E. Blonsky geht, dann kreisen sie selbst – während der Geburt. Ein Gerät, auf dem die Schwangeren festgeschnallt und kräftig im Kreis gedreht werden, soll ihnen die Geburt erleichtern – die Neugeborenen werden einfach abzentrifugiert. Schon 1965 meldeten die beiden das Verfahren zum Patent an, jetzt bekamen sie dafür den Ig-Nobelpreis für Gesundheitsvorsorge. Ob sich die Methode wohl bewährt? Abwarten und Tee trinken!

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