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Nikotinbeutel, Shisha und Co: Kardiologen warnen vor Nikotin in jeglicher Form

Experten haben erstmalig die Herz-Kreislauf-Schäden durch Nikotin zusammengetragen – und zwar unabhängig von der Darreichungsform. Sie fordern dringende Maßnahmen zum Schutz junger Erwachsener. Andernfalls drohe die »größte Abhängigkeitswelle seit den 1950er Jahren«.
Eine Person sitzt in einer Bar und raucht eine Shisha, wobei viel Rauch die Umgebung füllt. Im Vordergrund steht ein Glas mit einem dunklen Getränk auf dem Tisch. Im Hintergrund sind weitere Personen zu sehen, die ebenfalls Shisha rauchen. Die Szene vermittelt eine entspannte, gesellige Atmosphäre.
Wasserpfeifenkonsum, selbst beim passivem Einatmen, verursacht Gefäßschäden.

Nikotin ist ein starkes Gift, das Herz und Blutgefäße schädigt – und zwar unabhängig davon, ob es über E-Zigaretten, Nikotinbeutel, Shishas oder Zigaretten konsumiert wird. Zu diesem Schluss kommt ein im »European Heart Journal« veröffentlichter ExpertenkonsensberichtThomas Münzel vom Universitätsklinikum Mainz und weitere Fachleute haben darin die Fachliteratur zu den gesundheitlichen Auswirkungen aller Nikotinprodukte ausgewertet. Es ist der erste Report, der nicht nur Tabakrauchen, sondern sämtliche Nikotinquellen berücksichtigt.

Das Rauchen von Tabak führt jährlich zu knapp acht Millionen Todesfällen auf der ganzen Welt, in Europa sind es Schätzungen zufolge etwa 1,2 Millionen. Die Autoren um Thomas Münzel sowie Thomas Lüscher von der Universität Zürich wanen, dass der zunehmende Konsum von E-Zigaretten und Nikotinbeuteln, besonders unter Jugendlichen, jahrzehntelange Fortschritte in der Tabakkontrolle gefähren könnten. Die Produkte seien keine wirksamen Hilfsmittel zur Raucherentwöhnung, sondern vielmehr ein Einstieg in das Rauchen, und führten häufig zu doppeltem Konsum (neben Zigaretten).

Nikotin stimuliert den Sympathikus

Fälschlicherweise werde oft angenommen, dass besonders das Verbrennen von Tabak gesundheitliche Gefahren berge, während Nikotin an sich selbst eher harmlos sei. Dem widersprechen die Experten vehement. »Unsere Ergebnisse zeigen, dass Nikotin allein, auch ohne die Vielzahl toxischer Verbrennungsprodukte, Teer oder freier Radikale, die im Zigarettenrauch enthalten sind, Herz-Kreislauf-Schäden verursacht«, sagt Thomas Münzel in einer Pressemeldung.

Auch die Pathomechanismen erklären die Fachleute in dem Bericht: So wirkt Nikotin, ein Alkaloid der Tabakpflanze, auf das sympathische Nervensystem und verstärkt dessen Wirkung. Es bindet an nikotinische Acetylcholinrezeptoren und stimuliert die Freisetzung von Katecholaminen wie Noradrenalin und Adrenalin. Dies erhöhe die Herzfrequenz und verenge periphere Gefäße, wodurch der Blutdruck und der Sauerstoffbedarf des Herzmuskels steigen.

Bei chronischer Exposition kommt es zu dauerhaftem Bluthochdruck und Arrhythmien. Außerdem schädige Nikotin die Blutgefäße, indem es etwa die Freisetzung von reaktivem Sauerstoff sowie die Bildung von Entzündungen fördere. Nikotinbedingte Arterienversteifung trägt zu Herzversagen und Gefäßalterung bei. Diese Schäden treten nicht nur bei Tabakrauchern, sondern auch bei Konsumenten von E-Zigaretten und Nikotinbeuteln auf. Kein nikotinhaltiges Produkt sei für Blutgefäße oder das Herz unbedenklich.

»Die Erzählung vom sichereren Nikotin muss ein Ende haben«,Thomas Münzer, Kardiologe

Die Suchtgefahr für Jugendliche steige rapide an, angeheizt durch Aromen, Marketing in sozialen Medien und regulatorische Lücken. Die Autoren fordern daher strikte Maßnahmen, um die wachsende Zahl junger, nikotinabhängiger Menschen einzudämmen. Dazu zählen ein Verbot von Aromen und Werbung durch Influencer sowie eine wirksame Besteuerung und Regulierung aller Nikotinprodukte.

»Die Erzählung vom sichereren Nikotin muss ein Ende haben. Europa braucht dringend eine einheitliche Regelung, die alle Nikotinprodukte abdeckt, insbesondere zum Schutz von Jugendlichen, die derzeit die Hauptzielgruppe aggressiver Marketingmaßnahmen sind. Andernfalls laufen wir Gefahr, eine ganze Generation an die Nikotinsucht zu verlieren«, so Thomas Münzel in einer Pressemeldung.

Der Bericht erscheint zu einem kritischen Wendepunkt, nachdem die Europäische Kommission ihre Richtlinie zur Besteuerung von Tabakwaren überarbeitet hat, die erstmals eine Mindeststeuer auf E-Liquids, erhitzten Tabak und Nikotinbeutel einführt. Diese Richtlinie stelle zwar einen wichtigen Schritt dar, müsse jedoch durch umfassendere Vorschriften ergänzt werden.

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