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News: Nobelpreis für Chemie 1998

Lange haben Wissenschaftler nach Mitteln und Wegen gesucht, mit denen sie sich vorstellen konnten, wie die chemischen Bindungen zwischen den Atomen eines Moleküls funktionieren. Ihre Hoffnung war es, dann die Eigenschaften von Molekülen und deren Wechselwirkungen untereinander berechnen zu können. Die aufkommende Quantenmechanik versprach am Anfang des Jahrhunderts neue Möglichkeiten, doch deren Anwendung in der Chemie lag zunächst in weiter Ferne. Für so komplexe Gebilde wie Moleküle waren die mathematischen Gleichungen einfach zu unhandlich. Erst bestimmte Vereinfachungen, die Walter Kohn einführte und die Entwicklung entsprechender Computer-gestützter Verfahren, an denen John A. Pople entscheidend beteiligt war, verhalfen der Quantenchemie zum Durchbruch und machten sie zu einem der erfolgreichsten Werkzeuge, das praktisch in allen Bereichen der Chemie angewandt wird. Für ihre Leistungen wurden sie daher mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet.
Einer der Gründer der Quantenphysik, Paul A. M. Dirac, drückte das Problem 1929 folgendermaßen aus: "Die Grundlegenden Gesetze, um große Teile der Physik und die gesamte Chemie mathematisch zu behandeln, sind vollständig bekannt. Die Schwierigkeit liegt nur in der Tatsache, daß die Anwendung dieser Gesetze zu Gleichungen führt, die zu kompliziert sind, um sie zu lösen."

Erst in den 60er Jahren entwickelte sich die Quantenchemie mit Hilfe der neuen Computergenerationen zu einem eigenständigen Zweig der Chemie. Jetzt, am Ende der 90er Jahre, hat sie die gesamte Chemie revolutioniert. Walter Kohn und John Pople gehören zu den prominentesten Köpfen dieser Entwicklung. Kohns theoretische Arbeit bildete die Grundlage für eine Vereinfachung der Mathematik, mit der die Atombindungen beschrieben werden. Pople entwickelte die gesamte quantenchemische Methodologie, die mittlerweile Einzug in verschiedene Bereiche der Chemie gefunden hat. Die Chemie hatte den Übergang von einer vornehmlich experimentellen zu einer "berechenbaren" Wissenschaft vollzogen.

Um die vielen miteinander wechselwirkenden Teilchen eines Moleküls mathematisch erfassen zu können, vereinfachten Wissenschaftler schon früh das System in ihren Modellen. Sie nahmen zum Beispiel an, jedes Elektron würde unabhängig von den anderen seine Bahnen ziehen, nur eingeschränkt durch das Felder des fixen Kerns und das gemittelte Feld der anderen Elektronen. Für die Ein-Elektronen-Wellenfunktion wurde der Begriff Orbital eingeführt. Hartree, Fock, Slater und andere hatten diese sogenannte HF-Methode bereits in den 30er Jahren entwickelt und erfolgreich auf Atome angewandt. Sie stellt eine Näherung der Schrödinger-Gleichung dar.

Im wesentlichen umfaßt die HF-Methode für Moleküle zwei Schritte: Die Molekülorbitale werden als Gaußfunktionen mit den Atomkernen als Zentren angenommen und daraus die Orbitalenergien und Expansionskoeffizienten berechnet. Dabei gilt es eine Menge von Integralen zu berechnen, welche die kinetische Energie, die Kernanziehung sowie dei Abstoßung der Elektronen untereinander bestimmen – eine Arbeit, die viel Computerrechenzeit benötigt. Eine Million bis zu einer Milliarde Integrale, die obendrein sechsdimensional sind, umfaßt eine Simulation. Im zweiten Schritt muß die entstandene Matrix diagonalisiert werden, ein Vorgang, der mehrfach wiederholt werden muß.

Pople gelang es, die Rechenzeit für die Integration um ein bis zwei Größenordnungen zu reduzieren. Damit war die HF-Methode für wirkliche chemische Anwendungen interessant. Er erkannte aber zugleich, daß die Berechnung der Energie alleine nicht ausreichend war, um der theoretischen Chemie generelles Interesse zu sichern.

Die wichtigste Eigenschaft eines Moleküls ist seine Struktur, also die Länge der Bindungen und deren Winkel zueinander. Im Gleichgewicht wird ein Molekül meist die energetisch günstigste geometrische Anordnung einnehmen. Um dieses Minimum zu finden, muß allerdings nicht nur die Energie einer bestimmten Geometrie bekannt sein, sondern auch die Ableitungen der Energiefunktionen – zumindest die erste Ableitung, der Gradient. Pople hatte das erkannt und entwickelte auf Grundlage der Arbeiten von P. Pulay effektive Methoden, um die Ableitungen zu berechnen. Er ermöglichte dadurch außerdem, den Verlauf einer chemischen Reaktion von der Ausgangsstruktur über einen Zwischenzustand in eine Endstruktur zu berechnen. Chemischen Vorgänge konnten nun am Computer simuliert werden, bevor irgendwer ein Reagenzglas in die Hand nahm. Pople sammelte seine Werkzeuge und verteilte sie als Computerprogramm GAUSSIAN zunächst kostenlos, heute ist das Programm nur noch kommerziell erhältlich. Es wurde im Laufe der Zeit immer mehr erweitert und lieferte immer genauere Voraussagen.

Hohenberg und Kohn verfolgten 1964 einen anderen Ansatz, als sie ein wichtiges Theorem bewiesen, das die Grundlage für die Thomas-Fermi-Näherung darstellte. In dem TF-Modell wird nicht die Wellenfunktion betrachtet, sondern stattdessen die einfachere Elektronendichte. Hohenberg und Kohn konnten zeigen, daß die Dichte im Grundzustand tatsächlich den Hamiltonoperator – und damit alle Eigenschaften des Systems im Grundzustand – beschreibt. 1965 erweiterte Kohn zusammen mit Sham die Ergebnisse und entwickelte ein Gleichungssystem, um die Energiedichte im Grundzustand exakt zu berechnen. Damit war der Grundstein gelegt für die moderne Dichte-Funktional-Theorie. Diese wird mittlerweile sehr häufig in der Chemie eingesetzt, weil sie einfacher als die Methoden auf Basis der Wellenfunktion ist. Es lassen sich damit Systeme aus Hunderten von Atomen simulieren.

Die Anwendungen der quantenchemischen Modelle reichen von der Entwicklung neuer Wirkstoffe für Medikamente bis hin zur Analyse interplanetaren Staubs, dessen Emissionsspektren am Computer nachvollzogen werden können.

Kurzbiographien

Walter Kohn wurde 1923 in Wien geboren. Zur Zeit ist er Professor am Institute of Theoretical Physics der University of California in Santa Barbara.

John A. Pople kam in Burnham-on-Sea in Somerset (Großbritannien) zur Welt. Er promovierte In Cambridge in Mathematik und ist jetzt Professor für Chemie an der Northwestern University.

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