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Bildung: Noch viel zu lernen

Dem jährlichen Bericht "Bildung auf einen Blick" zum Stand der Bildungssysteme in den verschiedenen OECD-Staaten und einiger weiterer Staaten zufolge ist der Bevölkerungsanteil mit höherem Bildungsabschluss in fast allen Ländern im letzten Jahrzehnt gestiegen. Dies zeigt sich insbesondere im Bereich der Hochschulen und weiterführenden beruflichen Ausbildungen. Dabei zeichne sich ein wahrer Paradigmenwechsel ab, demzufolge mit der Ausbildung nicht mehr einfach nur die Nachfrage seitens des Arbeitsmarktes befriedigt werden soll, sondern mehr in höhere Bildung bei jungen Menschen investiert wird.
Inzwischen erreicht beinahe ein Drittel der Bewohner von OECD-Staaten einen Universitätsabschluss, wobei die Verteilung hier sehr unterschiedlich ist: Während Finnland und Australien mit mehr als 45 Prozent Zuwachs die Liste anführen, erreichen beispielsweise Deutschland, Österreich und die Schweiz nur 19 beziehungsweise 18 Prozent. Dies liegt aber nicht an einem Rückgang der Studierendenzahlen – sie stiegen, relativ gesehen, um 14 Prozent –, sondern am demografischen Schwund von 8 Prozent in dieser Altersgruppe.

Und damit zeichnet sich bereits das erste Problem ab: Um bei sinkenden Bevölkerungszahlen in der relevanten Altersgruppe den Bedarf an Fachkräften zukünftig zu decken, müssten weitaus mehr Menschen entsprechend hochwertig ausgebildet werden. Allerdings ist hier das hiesige Potenzial schon beinahe ausgeschöpft, denn der Anteil der Schulabgänger, die ihre Ausbildung an einer Universität oder Fachhochschule fortsetzen könnten, beträgt nur 43 Prozent, das OECD-Mittel aber 51 Prozent. Die Autoren der Studie fordern daher, dass gerade in Deutschland die Zugangsberechtigung zu Hochschulen flexibler gestaltet werden müsse, um diesen drohenden Mangel abzuwenden.

Bildung lohnt sich

Der Anreiz für ein Studium ist schließlich weiterhin groß, denn der enge Zusammenhang zwischen Bildungsabschluss und Einkommen, das mit dem Ausbildungsgrad steigt, besteht weiterhin. Eine fundierte Ausbildung verringert außerdem nach wie vor das Risiko, arbeitslos zu werden: Im Jahr 2002 waren 3,6 Prozent der männlichen Hochschulabsolventen arbeitslos, 5,2 Prozent der Männer mit Abitur oder einer abgeschlossenen Berufsausbildung und 12,8 Prozent der Männer ohne einen dieser beiden Abschlüsse. Das OECD-Mittel liegt für Hochschulabsolventen bei 2,9 Prozent und für Männer ohne Abitur oder abgeschlossene Berufsausbildung bei 6,9 Prozent.

Aber nicht nur für die Einzelperson, auch für die gesamte Gesellschaft lohnt sich die Investition in Bildung: Ein Jahr mehr Ausbildung der Bevölkerung bringt dem Bruttoinlandsprodukt einen Zuwachs von drei bis sechs Prozent, errechneten die Forscher.

Und Wissenschaft ist international: 1,9 Millionen Studierende lernten außerhalb ihres Heimatlandes. Allein in Deutschland, das zu den beliebtesten Gastländern gehört, ist jeder zehnte Studierende ein Ausländer, wobei die meisten ausländischen Studierenden aus asiatischen Staaten stammen. Damit steht die Bundesrepublik auf Platz fünf hinter Australien, der Schweiz, Österreich und Belgien. Am attraktivsten sind hierzulande offenbar die Ingenieurs- und Naturwissenschaften.

Umgekehrt sammeln aber auch Deutsche gern ihre Erfahrungen in fremden Ländern, so sind drei Prozent der im Ausland Studierenden aus OECD-Staaten aus der Bundesrepublik, dieser Anteil wird nur noch von Japanern und Koreanern übertroffen.

Frauen holen auf – nur bei uns nicht

Weiter gestiegen sind auch die Anteile der höheren Bildungsabschlüsse bei Frauen, in den meisten OECD-Staaten schließen heute sogar mehr Frauen ein Erststudium ab als Männer. In Dänemark, Finnland, Polen und Schweden liegt der Anteil bei über 60 Prozent. Für Deutschland sehen die Zahlen schlechter aus: Obwohl der Anteil auf 49 Prozent gestiegen ist, liegt er damit noch immer am unteren Ende der Skala. Bei den Studienanfängern allerdings wurde inzwischen nun immerhin Gleichstand erreicht.

Und er könnte weiter steigen, denn wie Umfragen unter 15-Jährigen zeigen, stellen Mädchen heute weitaus größere Erwartungen an ihren späteren Beruf als Jungen. Hiermit wären also Schulen besonders gefragt, gerade auch in den ungeliebteren Bereichen wie Ingenieurswissenschaften oder Mathematik die Kinder und Jugendlichen entsprechend gezielt zu fördern.

Von der Schule in den Beruf

Eine besondere Stärke des deutschen Bildungssystems sehen die Autoren im direkten Sprung von der Schulbank in den Beruf, der hierzulande sehr gut gelinge. So befinden sich nur 4,7 Prozent der deutschen 15- bis 19-Jährigen weder in einem Beruf noch in einer Ausbildung, während der Anteil OECD-weit bei 7,9 Prozent liege. Und auch in den folgenden Altersgruppen bis Ende Zwanzig rangiert Deutschland unter dem OECD-Durchschnitt.

Weniger gute Noten bekommt die Bundesrepublik allerdings im Bereich Bildungsinvestitionen, in dem sie hinter dem OECD-Mittel zurück bleibt. Denn die sonst fast überall zu verzeichnenden Steigerungen – im Mittel um 21 Prozent im Schul- und um 30 Prozent im Hochschulbereich – erreicht Deutschland mit sechs beziehungsweise sieben Prozent bei weitem nicht. Und auch der Anteil öffentlicher Ausgaben, der seit 1995 unverändert bei 9,7 Prozent liegt, kommt nicht an das OECD-Mittel von 12,7 Prozent heran.

An den Kleinen wird gespart?

Bei den Ausgaben pro Schüler beziehungsweise Studierendem zeichnet sich ein allgemeines Muster in allen Ländern ab: Im Bereich Primar- und Sekundarstufe I wird weit weniger ausgegeben als in der zweiten Sekundarstufe und dem Tertiär-, also Hochschulbereich. Deutschland liegt hier für die beiden grundlegenden Bildungsabschnitte deutlich unter dem OECD-Durchschnitt, den es in den höheren Sparten dann knapp erreicht.

Doch ist gerade das bildungspolitisch nun kaum erklärbar und zu rechtfertigen, betonen die Wissenschaftler. Gerade im Bereich Kindergarten liegt der privat finanzierte Anteil der Ausgaben mit 38 Prozent doppelt so hoch wie das OECD-Mittel von 19 Prozent, obwohl von den Aufwändungen hier vor allem die Gesellschaft als Ganzes profitiert. Im Hochschulbereich hingegen, in dem der private Nutzen am größten ist, betragen die privat beigesteuerten Beträge gerade einmal 9 Prozent – wobei hier im OECD-Durchschnitt sonst 22 Prozent anfallen, die beispielsweise auf Studiengebühren zurückzuführen sind.

Und dabei bleibt es nicht: Während in Deutschland in der Elementarstufe – also dem Kindergarten – für 24 Kinder eine Betreuungskraft zur Verfügung steht – das ist die ungünstigste Relation in der gesamten OECD, deren Durchschnitt bei 15 liegt –, dürfen sich in Island, Dänemark oder Neuseeland die Betreuungspersonen auf fünf bis sieben Kinder konzentrieren. Zu Grundschulzeiten sind es immer noch 19 Kinder pro Lehrkraft, erst mit zunehmender Klassenstufe verringert sich das Verhältnis, weshalb die Autoren hier deutliche Verbesserungen für die jüngeren Kinder fordern. Interessant ist hierbei noch, dass 85 Prozent der laufenden Ausgaben an das Personal geht – sonst durchschnittlich 81 Prozent – und die Lehrer in Deutschland überdurchschnittlich gut verdienen.

Mangelnde Entscheidungskompetenzen

Zum ersten Mal betrachteten die Forscher auch Entscheidungskompetenzen, die den einzelnen Schulen zugebilligt werden – und müssen auch hier der Bundesrepublik Nachbesserungsbedarf attestieren. Denn eigenständige Wege stehen den Schulen nur im Bereich der verwendeten Lehrmaterialien – obwohl auch hier übergeordnete Behörden ein erhebliches Wörtchen mitzureden haben – und der Unterrichtsorganisation weitgehend offen. Beim Personal- oder Ressourcenmanagement hingegen sind den Verantwortlichen die Hände dagegen sehr gebunden.

Neben der Forderung nach mehr Freiheit in diesen Fragen unterstützt die Studie auch das Bestreben nach Ganztagsschulen. Denn deutsche Schüler in der zweiten Klasse sitzen unterdurchschnittlich lang auf ihrer Schulbank: nur 626 Stunden im Vergleich zu den mittleren 788. Sie holen zwar in den folgenden Jahren auf, bleiben aber bei 15-Jährigen immer noch 66 Stunden unter dem Durchschnitt. Angesichts der schlechten Ergebnisse in der PISA-Studie könnte sich hier vielleicht ein Ansatz zu Verbesserungen finden, argumentieren die Autoren.

Dem jedoch widerspricht Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn: In Finnland, das sehr gute PISA-Ergebnisse erreicht hatte, liegt die Zahl Unterrichtsstunden mit 530 noch weitaus niedriger. Die Menge sage daher nichts über die Qualität des Unterrichts aus – und um diese zu sichern, seien zahlreiche Maßnahmen wie länderübergreifende Bildungsstandards, deren Überprüfung und interne wie externe Evaluationen eingeleitet worden. Man darf gespannt sein, wie sich diese in Bildung auf einen Blick im Jahr 2005 widerspiegelt.

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