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Non-Sleep Deep Rest: Der 20-Minuten-Schlafhack, der das Leben verändern soll

Ein waches Hirn trotz wenig Schlaf? Abends schnell einschlafen? Das versprechen Non-Sleep-Deep-Rest-Methoden. Wir prüfen, was wissenschaftlich belegbar ist.
Eine Gruppe von Menschen liegt auf dem Rücken auf einem sandigen Boden, verteilt in zwei Reihen. Sie sind auf bunten Matten positioniert, umgeben von spärlichem Pflanzenwuchs. Die Szene wirkt ruhig und entspannt, möglicherweise Teil einer Yoga- oder Meditationsübung im Freien. Die Schatten der Personen sind lang und deuten auf eine tief stehende Sonne hin.
»Machen Sie es sich bequem, schließen Sie die Augen – in zwanzig Minuten werden Sie ein neuer Mensch sein.« So oder so ähnlich beginnen Schlafyoga-Sessions.

An alle, die mitten in der Nacht aufwachen und nicht wieder einschlafen können. Alle, die nachts zu wenig Schlaf bekommen, aber tagsüber zu gestresst sind für ein Nickerchen. Und alle, die jetzt im Herbst ohnehin dauermüde sind. Es gibt da vielleicht eine einfache Lösung für Sie.

NSDR-Sessions sind die gerade angesagteste Alternative zum Powernap. Knapp gesagt, Entspannungsmeditationen zwischen etwa zehn und dreißig Minuten. NSDR steht für Non-Sleep Deep Rest, auf Deutsch ungefähr Tiefenentspannung ohne Schlaf, manche sprechen auch von Schlafyoga. Spitzensportler schwören darauf, Oprah Winfrey und Google-CEO Sundar Pichai machen es, genau wie viele weitere Millionen Menschen in Studios und vor allem auf YouTube. Schlafyoga soll das Gehirn ultimativ erholen. Und das in Mittagspausenlänge. 

Das Versprechen ist groß

Berühmt gemacht hat die Technik Andrew Huberman, Stanford-Neurowissenschaftler, Erfolgspodcaster und viel kritisierter Gesundheitsguru. NSDR beruht auf Praktiken, die man bereits aus dem Yoga Nidra kennt, was etwa so viel wie yogischer Schlaf bedeutet. Huberman verpasste dem Schlafyoga einen neuen Namen, nach eigener Aussage, um das Ganze neutraler und wissenschaftlicher klingen zu lassen und den westlichen Workaholic weniger abzuschrecken. Er machte die Technik bekannt als 20-Minuten-Hack, der das Leben verändern kann – und das wiederum machte ihn berühmt.

Das Versprechen ist groß: Tagsüber praktiziert helfe Schlafyoga, sich erfrischt und wach zu fühlen, nachts helfe es beim Einschlafen. Aber nicht nur das: Es mache kreativer, stärke das Gedächtnis sowie das Lern- und Erinnerungsvermögen. Es sei einfach ein fantastisches Hilfsmittel für die allgemeine psychische Gesundheit und das Wohlbefinden. Huberman ist Vermarktungsprofi und wird in jüngster Zeit auch unter anderem für übertriebene oder wissenschaftlich nicht gut belegte Empfehlungen kritisiert. Aber auch andere Quellen, die nicht gerade für Übertreibungen bekannt sind, wie die Krankenkasse AOK, empfehlen Schlafyoga, um Stress zu bekämpfen, Ängste zu lindern und entspannter durchs Leben zu gehen.

Wie geht Schlafyoga?

Beim Schlafyoga liegt man meist auf dem Rücken, oft unter einer Decke, auf einer Yogamatte, der Couch oder im Bett, und hört einer Stimme zu, die einen durch Atem-, Wahrnehmungs- und Visualisierungsübungen leitet. Die Stimme sagt dann etwa: Lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Ihre Füße. Oder: Atmen Sie tief durch die Nase ein und vollständig durch den Mund wieder aus. Stellen Sie sich bei jedem Ausatmen vor, dass Sie tiefer in die Matte oder die Couch sinken. Häufig wird am Anfang gesagt, dass man sich nach den Übungen entspannt und erholt fühlen werde. Das Ziel ist nicht, einzuschlafen (auch wenn das regelmäßig passiert, wie sogar Studien zeigen), sondern einen Zustand tiefer körperlicher Entspannung zu erreichen, irgendwo zwischen Wachsein und Schlafen, auf den das Nervensystem dann ebenfalls mit Entspannung reagiert.

Was wie gut belegt ist

Dass langsameres und bewusstes Atmen im Allgemeinen zu den Techniken gehört, die das Nervensystem beruhigen, Stress reduzieren und in Angstmomenten helfen, ist gut belegt. Auch, dass genau das beim Schlafyoga passiert, und zwar mehr als beim bloßen Ausruhen, zeigt eine Studie. Bei den anderen untersuchten Parametern wie der Herzratenvariabilität, die als Schlüsselindikator für Stress gilt und vereinfacht gesagt die Zeitabstände zwischen aufeinanderfolgenden Herzschlägen meint, zeigte sich in dieser Studie kein Unterschied zwischen den Probanden, die Schlafyoga machten, und denen, die einfach lagen.

Eine andere Studie der Universität der Bundeswehr München und der Universität Erlangen deutet darauf hin, dass regelmäßige Online-Schlafyogaeinheiten von elf beziehungsweise dreißig Minuten den Spiegel des Stresshormons Cortisol positiv beeinflussen könnten. Und eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2022 zur Relevanz von Yoga Nidra weist darauf hin, dass Studien der vergangenen 20 Jahre über reduzierte Stress-, Angst- und Depressionswerte berichten, dass viele dieser Studien aber methodische Schwächen haben und die Effekte bislang nicht als gut gesichert betrachtet werden können. Die meisten Untersuchungen arbeiten nicht mit messbaren Körperwerten, sondern befragen Probanden, oft auch nur wenige. Ein Beispiel: In einer Studie mit 65 Probanden bewerteten 24 eine zehnminütige Yoga-Nidra-Einheit als förderlich für ihr emotionales Gleichgewicht und gaben an, dass die Session Stress und Müdigkeit reduziert habe. Wie übertragbar die Ergebnisse auf andere Menschen sind, ist fraglich.

Besser als das Nickerchen für die Erholung?

Das vermutlich meistzitierte Versprechen der Schlafyogacommunity ist, dass eine halbe Stunde Yoga Nidra zwei Stunden Schlaf ersetzen könne. NSDR-Begründer Huberman greift diese Behauptung auf, um sie gleichzeitig zu kritisieren und noch zu verstärken. Er glaube nicht, dass es einen Beleg für die These gäbe, laut der Yoga Nidra äquivalent zu mehreren Stunden Schlaf sei. Aber wenn er selbst eine Yoga-Nidra-Session von 30 Minuten mache, fühle er sich, als ob er fünf, sechs Stunden oder länger geschlafen habe.

Auch Dieter Riemann, Schlafforscher und klinischer Psychologe, weist auf den Mangel an Evidenz hin: Einen Beleg für diese These zu liefern, sei im Prinzip gar nicht möglich, weil die Studie nicht durchführbar sei. Dafür müsste man die Hirnströme von Vergleichsgruppen während der zwei Aktivitäten messen und die Versuchsteilnehmenden danach befragen. »Aber tagsüber können die meisten Menschen nicht zwei Stunden am Stück schlafen. Und wenn man Menschen nachts nach zwei Stunden weckt, dann sind die meisten nicht erholt, sondern sauer«, sagt Riemann, der über Jahre die schlafmedizinische Station der psychiatrischen Klinik der Universität Freiburg leitete. 

Er kommt deshalb zu einem anderen Ergebnis als Huberman: »Schlafyoga ist sicherlich erholsam und entspannend, aber Schlaf ist in unserer Biologie für die Nacht fest eingegraben – und kann dadurch nicht ersetzt oder nachgeholt werden.«

Sobald wir die Augen schließen, hat unser Gehirn weniger zu tun

Trotzdem hätten Schlafyoga und Schlaf eine entscheidende Gemeinsamkeit, sagt Riemann. Bei beiden Aktivitäten sind die Augen geschlossen. Das klinge erst einmal banal, habe aber große Auswirkungen, weil es die Hirnströme verändere. »Sobald eine Person die Augen schließt, dominieren Alpha-Wellen mit einer Frequenz von acht bis zwölf Hertz das Hirnstrombild.« Man könnte auch sagen: Sobald der visuelle Input wegfällt, hat unser Gehirn eine Sache weniger zu tun. Zuvor schnellere Wellen verlangsamen sich zu Alpha-Wellen, zu einem entspannten Wachzustand.

Den erreiche ein Mensch, der meditiere, genauso schnell – nämlich in zehn bis 20 Sekunden – wie jemand, der sich fürs Nickerchen auf die Couch lege und die Augen schließe, sagt Riemann. 

Der Alpha-Zustand selbst gilt noch nicht als physiologischer Schlaf. Schläft jemand ein, verändert sich das Hirnstrombild weiter und Alpha-Wellen weichen den Theta-Wellen. Je tiefer der Schlaf, desto langsamer die Hirnwellenfrequenz und desto mehr Nervenzellen schlagen im selben Takt. Forschende beschreiben das häufig als Treppe: Nach der ersten Stufe, dem Einschlafen, kommt die zweite, der leichte Schlaf mit den langsameren Theta-Wellen und dann mit der dritten Stufe der tiefe Schlaf mit den noch langsameren Delta-Wellen. 

Schlaf ist überlebenswichtig: Damit unser Gehirn Eindrücke verarbeiten kann, Erinnerungen abspeichern, die Gedanken sortieren. Damit das Immunsystem regeneriert, der Stoffwechsel herunterfährt und die Zellen sich selbst reparieren. Genau diese Prozesse aber finden erst in den tieferen Schlafphasen statt.

Riemann geht davon aus, dass Meditierende beim Schlafyoga auch mal einen Fuß auf die nächste Treppenstufe stellen. Als Erstes kommen wir in einen traumähnlichen Zustand, den sogenannten hypnagogen Zustand, in dem wir Bilder sehen, Riemann nennt sie Halluzinationen. Bei einem Nickerchen dauere dieser Zustand etwa fünf bis zehn Minuten, danach nehme der Schlafende üblicherweise die nächste Treppenstufe in den Theta-Zustand, der – genau wie tiefere Treppenstufen – mit der Erinnerungs- und Lernfähigkeit sowie der Konzentration und Kreativität verknüpft ist. 

Besser einschlafen und durchschlafen

Einzelne Studien deuten das auch für Schlafyoga-Praktizierende an. Allerdings sind die Ergebnisse uneinheitlich und meist nicht signifikant. Das wiederum beschreibt eine aktuelle Meta-Studie, die bereits veröffentlicht ist, aber noch von Experten begutachtet wird. Darin haben Forschende die Ergebnisse von zwölf Studien der vergangenen 20 Jahre verglichen und neu analysiert. Um valide Aussagen über Hirnströme während einer Schlafmeditation zu machen, brauche es weitere gut konzipierte Studien mit größeren Stichproben, so das Fazit. Riemann sagt dazu: »Was das eigentlich Erholsame am Schlaf ist, selbst das wissen wir im Grunde noch nicht. Einen biologischen Marker dafür, etwa ein biochemisches Substrat, das sich messen ließe, gibt es nicht.« Befragungen aber zeigen, dass sich Menschen sowohl nach einem Nickerchen wie auch nach der Meditation erfrischter, entspannter und weniger gestresst fühlen. 

Und eine weitere Sache ist tatsächlich belegt: Eine Schlafmeditation scheint besonders oft dazu zu führen, dass Menschen sowohl besser einschlafen als auch besser durchschlafen können. Das zeigen Studien wie auch das häufig zu hörende Schnarchen von der Yogamatte nebenan. Im Grunde müssen Sie sich also gar nicht zwischen Schlafmeditation und Powernap entscheiden. Am besten Sie machen in diesem grauen Herbst einfach beides.

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