Geometrie: Polyeder widerlegt eine hartnäckige Vermutung

Alles begann mit einer Wette: Prinz Ruprecht von der Pfalz vermutete im 17. Jahrhundert, dass es möglich sei, ein Loch in einen Würfel zu schneiden, durch das ein Würfel gleicher Größe hindurchpasst. Der englische Mathematiker John Wallis nahm sich dieser Aufgabe an und konnte beweisen, dass Ruprecht richtiglag – dieser gewann somit seine Wette. Rund 300 Jahre später zeigte sich, dass nicht nur ein Würfel durch sich selbst hindurchpasst, sondern auch allerlei andere Formen, etwa die fünf platonischen Körper. Und so stellten sich Fachleute die Frage, ob alle Polyeder ohne Einbuchtungen dieses als »Rupert-Eigenschaft« (Ruprecht ist im englischen Sprachraum als Rupert bekannt) bekannte Merkmal haben. Sprich: Ist es möglich, durch jeden dreidimensionalen Körper ohne Dellen ein Loch zu schneiden, damit der Körper selbst hindurchpasst? Alles schien auf ein »Ja« hinzudeuten.
Doch nun haben die zwei Mathematiker Jakob Steininger und Sergey Yurkevich in ihrer Freizeit mit aufwändiger Computerunterstützung bewiesen, dass dem nicht so ist. Sie haben ein bemerkenswert einfaches Gegenbeispiel zur Vermutung gefunden: ein Polyeder, das die Rupert-Eigenschaft nicht erfüllt. Das »Noperteder«, wie die Autoren die Figur genannt haben, besteht aus 90 Ecken, 240 Kanten und 152 Seitenflächen - es ist die komplexe Hülle dreier Antiprismen.
Die Rupert-Eigenschaft mag auf den ersten Blick erstaunlich wirken. Aber sie lässt sich mathematisch umformulieren: Es gibt eine zweidimensionale Projektion eines Polyeders, die vollständig in eine andere Projektion von ihm hineinpasst. Das lässt sich für den Würfel besonders gut visualisieren.
Und über derartige Projektionen auf die zweidimensionale Ebene definierten Steininger und Yurkevich auch die Rupert-Eigenschaft im mathematischen Sinn. Durch ein YouTube-Video stießen die beiden Forscher auf das Thema und waren fortan davon fasziniert. Um die bestehende Vermutung zu widerlegen, mussten sie also ein Polyeder finden, das keine zwei Projektionen besitzt, die ineinanderpassen. Der erste Verdacht der beiden Mathematiker fiel auf das Rhombenikosidodekaeder, einen archimedischen Körper, der aus 20 gleichseitigen Dreiecken, 30 Quadraten und 12 regelmäßigen Fünfecken besteht. Allerdings gelang es den Forschern nicht, alle nötigen Bedingungen zu beweisen, die das Rhombenikosidodekaeder dafür erfüllen müsste. Als höchst knifflig stellten sich dabei bestimmte Arten von Projektionen heraus. Deshalb suchten die zwei nach einem geeigneten Polyeder, das ohne diese komplizierten Projektionen auskommt. »Mithilfe einer aufwändigen, computergestützten Untersuchung von Millionen möglicher Körper fanden wir schließlich einen passenden Polyeder, den wir Noperteder nannten (Wortspiel aus No, Rupert und Polyeder)«, sagt Steininger.
Nun mussten sie noch beweisen, dass das Noperteder wirklich nicht die Rupert-Eigenschaft besitzt. Indem Steininger und Yurkevich die Symmetrien der Figur ausnutzten und weitere mathematische Zusammenhänge ausarbeiteten, konnten sie die möglichen Projektionen der Figur auf 18 Millionen eingrenzen – diese enorm große Zahl entspricht allen möglichen Formen von Löchern, die man in das Noperteder schneiden könnte. Mithilfe eines Algorithmus stellten sie sicher: Keines der Löcher war groß genug für das Noperteder. Damit haben sie nun das erste Beispiel für eine Figur ohne Dellen gefunden, die nicht die Rupert-Eigenschaft besitzt.
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