Sozialpsychologie: Wie Nostalgie alte Freundschaften am Leben hält

Nostalgie ist ein komplexes Gefühl – eine Mischung aus sentimentaler Sehnsucht nach vergangenen Zeiten und der bittersüßen Erkenntnis, dass diese Zeiten für immer vorbei sind. Psychologen rätseln seit Langem darüber, welche Funktionen diese vielschichtige Emotion haben könnte: Hält uns die Nostalgie schlicht in der Vergangenheit gefangen? Oder kann sie auch eine Ressource sein?
Wir können für viele verschiedene Dinge nostalgische Gefühle entwickeln. Aber die Forschung zeigt, dass diese Empfindung meist mit anderen Personen in Zusammenhang stehen, insbesondere solchen, die in unserem Leben eine wichtige Rolle spielen oder gespielt haben. Vielleicht schwelgen wir gerne in Erinnerungen an Familienfeste in der Kindheit, an gemeinsame Erlebnisse mit Schulfreunden oder an Urlaube, die wir mit geliebten Menschen verbracht haben. Und selbst wenn wir sehnsüchtig an andere Dinge zurückdenken, zum Beispiel ein altes Spielzeug oder eine bestimmte Mahlzeit, so beziehen sich diese Gefühle doch oft auf Momente, die wir mit nahestehenden Menschen geteilt haben.
Diese sozialen Aspekte der Nostalgie sind Forschenden wohlbekannt. Weniger klar ist jedoch, wie sich das auf zwischenmenschliche Beziehungen auswirkt. In unseren Studien haben meine Kollegen aus den USA und ich herausgefunden, dass Menschen während der Coronapandemie in Momenten der Isolation oder Einsamkeit häufig Musik hörten, die bei ihnen nostalgische Gefühle auslöste. Sie gingen in dieser Zeit auch vermehrt anderen typischen Familienaktivitäten nach, schauten zum Beispiel Filmklassiker oder spielten traditionelle Brettspiele. Wenn Menschen isoliert sind, suchen sie offenbar Trost in der Nostalgie.
Nostalgische Menschen haben einen größeren Freundeskreis
Wir haben uns gefragt, ob Nostalgie Menschen auch dazu bewegt, ihre sozialen Kontakte und Netzwerke zu stärken. Daher haben meine Kollegin Ya-Hui Chang und ich in einer Studienreihe untersucht, ob Nostalgie nicht nur vorübergehende Gefühle der Verbundenheit hervorruft, sondern Menschen auch dazu motiviert, Kontakt zu nahestehenden Menschen zu suchen. In den ersten beiden Studien befragten wir knapp 450 Studierende der University at Buffalo im Bundesstaat New York sowie weitere knapp 400 Erwachsene, die über ein landesweites Umfrage-Panel in den USA rekrutiert wurden. Sie sollten auf eine Skala einschätzen, wie häufig sie sich nostalgisch fühlen und wie wichtig sie nostalgische Erfahrungen finden. Auf diese Weise bestimmte der Fragebogen die individuelle Nostalgieneigung. Außerdem mussten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer angeben, aus wie vielen Personen ihre »engsten Netzwerke« (Freunde und Angehörige, ohne die man sich sein Leben nur schwer vorstellen kann), »engen Netzwerke« (ebenfalls eng, aber nicht Teil des inneren Kreises) und »weniger engen Netzwerke« (immer noch wichtig, aber nicht so eng verbunden) bestehen.
Nostalgiker sind anscheinend eher dazu bereit, über einen längeren Zeitraum in ihre Beziehungen zu investieren
Probandinnen und Probanden, die stark zur Nostalgie neigten, hatten einen größeren engsten Freundeskreis – und je stärker diese Tendenz, desto höher auch die Motivation, ihr soziales Netzwerk aufrechtzuerhalten. Nostalgische Personen sind offenbar eher dazu bereit, über einen längeren Zeitraum in ihre Beziehungen zu investieren, und zwar unabhängig von Persönlichkeitsmerkmalen wie Extraversion, Verträglichkeit und emotionaler Stabilität.
Weitere Forschung hat gezeigt, dass zwei wesentliche Motivationen unser soziales Leben bestimmen: die eine ist, neue Menschen kennen zu lernen; die andere, bestehende Kontakte zu stärken. Wir fanden heraus, dass Personen, die sehr nostalgisch veranlagt sind, für beides höher motiviert sind – deutlich mehr jedoch dazu, das bestehende Netzwerk zu stabilisieren.
Aus den Daten ging allerdings nicht eindeutig hervor, ob sich Nostalgie tatsächlich auf die Motivation und das Verhalten von Menschen auswirkt. Es könnte auch sein, dass wir nostalgischer werden, wenn wir große soziale Netzwerke und viele alte Freunde haben. Deshalb haben wir diese Zusammenhänge in einer dritten Studie genauer untersucht. Wir analysierten Daten von 520 Probandinnen und Probanden aus den Niederlanden, die in den Jahren 2013 bis 2019 wiederholt zu ihren sozialen Netzwerken und etwaigen nostalgischen Gefühlen befragt wurden.
Die Befunde ähnelten denen in den USA: Je mehr die Befragten zu Nostalgie neigten, desto mehr enge soziale Bindungen hatten sie – also Menschen, mit denen sie laut eigenen Angaben über die wichtigen Dinge in ihrem Leben sprechen konnten. Besonders interessant waren die zeitlichen Zusammenhänge: Wer zu einem früheren Zeitpunkt nostalgischer war, hatte später im Leben ein größeres Netzwerk enger Beziehungen. Umgekehrt war das nicht der Fall – ein größeres enges soziales Netzwerk ließ nicht auf spätere nostalgische Tendenzen schließen. Demnach könnte Nostalgie tatsächlich das Verhalten verändern und so auch soziale Kontakte fördern.
Nostalgie ist ein emotionaler Trigger: Sie erinnert uns daran, was im Leben wirklich wichtig ist
Die niederländischen Daten zeigten außerdem, dass enge soziale Netzwerke mit dem Alter tendenziell zurückgehen. Je älter die Menschen wurden, desto wahrscheinlicher war es, dass sie alte Kontakte verloren hatten, zum Beispiel infolge von Umzügen oder der Geburt eines Kindes. Das galt vor allem für wenig nostalgische Personen. In den sieben Jahren, für die uns Daten vorlagen, schrumpften ihre engen sozialen Netzwerke. Bei nostalgischer veranlagten Menschen dagegen blieben die engen Beziehungen im gleichen Zeitraum relativ stabil.
Nostalgie als psychologische Ressource
Unsere Forschung belegt erstmals, dass sich Nostalgie, eine auf die Vergangenheit bezogene Emotion, erheblich auf die künftigen sozialen Kontakte auswirken kann. Wir vermuten, dass Nostalgie eine Art psychologische Ressource ist: Sie hilft dabei, enge Freundschaften und Beziehungen über lange Zeit zu bewahren. Damit reiht sie sich ein in eine Vielzahl von menschlichen Gefühlen, die soziale Funktionen erfüllen.
Es spricht also nichts dagegen, mal wieder die Lieblingsmusik aus der Schulzeit zu hören oder eine lustige Fernsehserie aus der Kindheit noch einmal anzuschauen. Nostalgie ist ein emotionaler Trigger: Sie erinnert uns daran, was im Leben wirklich wichtig ist. Das bittersüße Gefühl, dass die Zeit unwiederbringlich vergeht, wirkt wie ein Mahnruf: mit den Lieben ganz im Hier und Jetzt zu leben und mehr für eine gemeinsame Zukunft zu tun.

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