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Nano-Maschinen: Nützlicher Datenspeicher-Missbrauch

Gut kopiert ist besser als schlecht erfunden, meint auch mancher Vertreter der Nanotechnikerzunft. Warum also nicht die herausragende Materialqualität natürlicher Baustoffe nutzten, um ein wenig in die Geschicke der Nanowelt einzugreifen?
Ein DNA-Bogen kann Enzyme spannen
Winzigkeit ist das Größte für Nanotechniker. Und naturgemäß ihre größte Herausforderung, schon beim Aufbau ihres Nanomaschinchenparks: Denn sobald die eingesetzten Bauklötzchen nicht – im Idealfall – von selbst zusammenfinden, werden extrem subtile architektonische Eingriffe von außen nötig. Und diese erfordern ja ihrerseits extrem fein manipulierende Nano-Werkzeuge, die den Dimensionen ihrer Aufgabe gerecht werden. Blöd, denn diese Werkzeuge sollten sich wiederum – im Idealfall – am besten von selbst zusammenbauen, weil der Werkzeugbau im molekularen Bereich auch nicht ganz einfach ist. Willkommen im Nanoteufelskreis.

Einen Ausweg suchten die Winzigkeitsforscher schon früh in der unerreichbaren Meisterin der Nanotechnik, der Natur. Was molekularbiologisch in der Zelle jedes Lebewesens funktioniert, lieferte bald auch der Findigkeit menschlichen Ingenieursgeistes ausreichend Spielmasse. Und dabei erwies sich oft weniger die natürliche Funktion und Aufgabe einer abgekupferten Naturalie als entscheidend, sondern vielmehr deren herausragende chemische Materialeigenschaft. Ein Beispiel: die DNA.

Aus unserer Erbsubstanz sind schon einige molekulare Maschinenteile entwickelt worden, die Dinge wie Dehnungs- oder Drehbewegungen ausführen können. Eine spezielle Funktion erfüllten sie allerdings bisher nicht. Darüber hinaus sind aber auch schon erste Nanowerkzeuge aus Nukleinsäure entstanden. Etwa im vergangenen Jahr der "DNA-Handöffner", vorgestellt von einem Nanowerker-Team um Friedrich Simmel von der Universität München: Er funktioniert, indem er den Reißverschluss zweier komplementärer DNA-Stränge ausnutzt, um ein Molekül zu greifen oder fallenzulassen [1].

Auf etwas andere Weise arbeitet, was Giovanni Zocchi von der Universität von Kalifornien in Los Angeles vorstellen: der Enzymfunktion manipulierende DNA-Henkel [2]. Er fungiert quasi als flexibler Bogen, der eine starre Sehne spannt oder entspannt. Anstelle der Sehne tritt aber – der Clou der Apparatur – bei Zocchi ein Enzym.

Charakteristischerweise arbeitet dieses nur dann so, wie es soll, wenn es sich ungestört in eine bestimmte räumliche Gestalt begeben kann. Stört man diese Formgebung aber nur ein wenig, dann wird es funktionslos: Beispielsweise passt das vom Enzym umgesetzte Produkt nicht mehr an die dafür vorgesehene Bindungsstelle des Enzyms, sein "aktives Zentrum". Die Natur nutzt dieses Prinzip bei der allosterischen Hemmung, bei der ein an das Enzym andockendes Inaktivatormolekül die äußere Form des Proteins verändert.

Ein DNA-Henkel dehnt Proteine | So funktioniert der DNA-Henkel: Ein Enzym (Mitte) wird kovalent an den Polen in einen einzelsträngigen DNA-Bogen eingespannt. Bei Zugabe eines komplemetären DNA-Moleküls bildet sich eine Doppelhelix, die viel steifer als die Einzelstrang-DNA ist – das Enzym wird dabei unweigerlich gedehnt und wegen dieser Formänderung unwirksam.
In Zocchis DNA-Henkel-Konstrukt wird ein Enzym nun an seinem oberen und unteren Pol mit kovalenten chemischen Bindungen, also starr, in ein halbkreisförmig gebogenes Henkelgerüst gebunden, das seinerseits aus einem einfachen DNA-Strang besteht. Damit ist noch nicht viel passiert, außer ein wenig molekularbiologische Bastelei. Spannender wird es, sobald ein zweiter DNA-Strang hinzukommt, dessen Basenabfolge komplementär zum Henkelstrang ist: Der zweite Strang lagert sich an den ersten an und macht aus einem DNA-Einzelstrang eine Doppelhelix.

Das zieht dann unweigerlich strukturelle Folgen nach sich, da ein stabiler Doppelstrang in seiner energetisch bevorzugten Helixanordnung viel starrer und zugleich gestreckter vorliegen muss als ein Einzelstrang, dessen Moleküle freier rotieren können. Der komplementär gedoppelte, plötzlich versteifte DNA-Bogen wird also gestreckt – und zieht damit plötzlich von beiden Seiten an dem zwischen ihm kovalent eingespannten Protein. Dabei werden auf das Protein von oben und unten gleichzeitig Zugkräfte von mehreren Piconewton ausgeübt. Das Eiweiß reagiert entsprechend: Es wird aus der Form gedehnt.

Praktische Erfahrungen mit der Methode sammelten die Forscher aus Kalifornien mit dem Enzym Guanylat-Kinase, das normalerweise die zwei Energiemoleküle ATP und GMP bindet und umsetzt. Eingespannt in einen DNA-Einzelstrangbogen funktionierte das Enzym – die Zugabe der komplementären DNA führte zu einem weiter gestreckten Doppelstrang, dehnte dabei die Kinase und machte diese tatsächlich funktionslos.

Das ganze Konzept erinnert ein wenig an die DNA-Pinzetten, die andere Nanoforscher bereit im Jahr 2000 vorgestellt hatten und die ebenfalls auf der unterschiedlichen Rigidität von Doppel- und Einzelstrang-DNA basierten [3]. Das ausgereifte Prinzip macht ungeahnte Möglichkeiten denkbar: Schließlich sind damit alle vorstellbaren Arten von Proteinen prinzipiell ein- und wieder ausschaltbar.

Die DNA-Bögen sind zudem, ihrer ursprünglich ja eigentlich informationstragenden Natur entsprechend, sehr selektiv ansprechbar: Wird ihre Basenabfolge geschickt gewählt, dann könnten theoretisch auch bereits in der Zelle vorhandene komplementäre DNA-Stränge die Deaktivierung eines eingespannten Zielenzyms auslösen. Praktisch gesprochen: Eine nur in Tumorzellen exprimierte DNA-Sequenz löst nur in Tumorzellen die Deaktivierung eines vom DNA-Bogen gezielt gebundenen Tumorproteins aus. Letztlich, so hoffen die Forscher für die Zukunft, könnte man so mit dem DNA-Nanobogen also fast alles buchstäblich in den Griff kriegen.

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