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Objekt des Monats: Ein auffallend lockerer Haufen

Kugelsternhaufen sind Zeitzeugen der Entstehung unseres Milchstraßensystems. Damals waren sie Supersternhaufen mit einigen Millionen Sonnenmassen, aber auch an ihnen nagt der Zahn der Zeit: Ihre massereichsten Sterne sind bereits ausgebrannt, und bei jedem Umlauf um das galaktische Zentrum verlieren sie weitere Teile ihrer Population. Messier 107 ist ein schönes Beispiel für einen merklich ausgedünnten Haufen.
Komposition aus drei Bildern, die den offenen Sternhaufen Trumpler 14, den Kugelsternhaufen Messier 15 und die Galaxie NGC 2276 zeigt.
Jeden Monat stellen wir ein kosmisches Objekt vor, das sich mit Amateurmitteln beobachten lässt. Das kann ein Sternhaufen oder Planetarischer Nebel in unserem Milchstraßensystem oder eine weit entfernte Welteninsel sein. Diesen Monat steht der Kugelsternhaufen Messier 107 im Mittelpunkt.

Messier 107 (M 107) steht rund 21 000 Lichtjahre von der Erde entfernt im Sternbild Schlangenträger (lateinisch: Ophiuchus, kurz Oph). Der Kugelsternhaufen befindet sich auf seiner Umlaufbahn gerade nahe der galaktischen Ebene und hat eine Distanz von etwa 9800 Lichtjahren zum Zentrum des Milchstraßensystems. Ungefähr 200 000 Sterne sind ihm geblieben, ein Bruchteil seiner ursprünglichen Masse. Sie verteilen sich auf einen Durchmesser von 65 Lichtjahren, und bei jedem seiner engen Umläufe um das galaktische Zentrum werden es weniger. Der Kugelsternhaufen bei den Koordinaten 𝛼 = 16h 32,5m, 𝛿 = –13° 03' ist 7,8 mag hell und ungewöhnlich gering konzentriert, so dass er einen interessanten Anblick im Teleskop bietet.

Bekannt seit 1782

Helen Sawyer Hogg fügte den Kugelsternhaufen erst im Jahr 1947 nachträglich dem Messier-Katalog hinzu; bis dahin wurde er unter der Bezeichnung NGC 6171 geführt. Pierre Méchain, der gleichfalls eine ganze Reihe anderer Objekte des Messier-Katalogs entdeckte, war der Erste, der M 107 beobachtete – bereits im April 1782. Er beschrieb den Kugelsternhaufen im Berliner Astronomischen Jahrbuch von 1786 als »kleinen nebligen Fleck im linken Bein des Ophiuchus zwischen den Sternen Zeta und Phi«. Dies ist zugleich der beste Aufsuchhinweis (siehe »Im Bein des Schlangenträgers«). Der Beobachtungsbericht von Méchain war William Herschel nicht bekannt, so dass dieser den Kugelsternhaufen am 12. Mai 1793 unabhängig noch ein zweites Mal entdeckte.

Im Bein des Schlangenträgers | Zwischen den Sternen Zeta und Phi Ophiuchi, im linken Oberschenkel der mythologischen Sternfigur, findet man den nur 7,8 mag hellen Kugelsternhaufen Messier 107.

Im Gegensatz zu Méchain konnte Herschel den Haufen dank seiner großen Spiegeloptik in Einzelsterne auflösen: »Ein sehr schöner, extrem verdichteter, extrem reicher Haufen von Sternen, 5 oder 6' im Durchmesser, gleichmäßig stark zum Zentrum verdichtet.« Sein Sohn John Herschel bemerkte seinerzeit beim Nachbeobachten der Objekte die für einen Kugelsternhaufen recht lockere Struktur von M 107: »Sterne gut getrennt.« William Henry Smyth (1788–1865) beschrieb die fünf Sterne der 11. Größenklasse, die den Haufen in Kreuzform umgeben und dabei annähernd die vier Himmelsrichtungen markieren: 2,9 Bogenminuten im Süden, 3,3 Bogenminuten im Osten, 4,5 Bogenminuten im Westen und 6,5 Bogenminuten im Norden – hier sind es gleich zwei Sterne, die genau auf Messier 107 zeigen. Darauf geht der gelegentlich für Messier 107 verwendete Name »Kruzifix-Haufen« zurück (siehe »Hinter dem Kreuz«).

Hinter dem Kreuz | Walter Primik gelang diese Aufnahme des locker konzentrierten Kugelsternhaufens Messier 107 mit einem 20-Zentimeter-Newton (f/4,5) und einer CCD-Kamera SXV-H9. Die Gesamtbelichtungszeit beträgt 123 Minuten, die Nachbearbeitung erfolgte mit Astroart 6. Die vier mit Pfeilen markierten hellen Vordergrundsterne – ein fünfter befindet sich außerhalb des Bildausschnitts oben – sind für den Beinamen »Kruzifix-Haufen« verantwortlich.

Anblick im Amateurteleskop

Messier 107 ist zwar der schwächste der sieben Kugelsternhaufen aus dem Messier-Katalog im Sternbild Schlangenträger, dennoch lässt er sich unter dunklem Himmel leicht mit einem 7 × 50-Feldstecher finden: 2,7 Grad südsüdwestlich des 2,5 mag hellen Sterns Zeta Ophiuchi. Im 130-Millimeter-Refraktor fasziniert die ein wenig unnatürlich wirkende Konfiguration mit dem Kreuz aus Vordergrundsternen. Bei 20-facher Vergrößerung erscheint die deutlich hellere Kernregion von M 107 nicht sehr verdichtet, aber bereits knotig, auch wenn sich visuell noch keine einzelnen Sterne direkt herauslösen lassen. Die Außenbereiche des Haufens reichen bis an die erwähnten 11 mag hellen Vordergrundsterne heran, was einer Ausdehnung von etwa 7 Bogenminuten – rund 43 Lichtjahren – entspricht. Auf lang belichteten Fotografien erscheint M 107 noch ausgedehnter.

Bei 89-facher Vergrößerung sind unter guten Bedingungen wie auf La Palma im 130-Millimeter-Refraktor ganz klar einzelne Sterne zu erkennen. Für einen Kugelsternhaufen besticht Messier 107 jedoch nicht gerade durch seinen Sternreichtum. Die individuelle Himmelsqualität ist dabei entscheidend: So kann man verstehen, dass manche Beobachter mit 20-Zentimeter-Optik im Haufen einzelne Sterne gut sehen können, während andere – mit der gleichen Öffnung – Messier 107 als neblige Masse beschreiben.

Eine hohe Vergrößerung lohnt

Der Umriss des Kerns erscheint eckig und etwas länglich in Ost-West-Richtung, mit einer scharf definierten Begrenzung im Nordwesten. Der hellste Einzelstern in Messier 107 hat 13,2 mag. Er befindet sich am nördlichen Rand eines dreieckigen Bereichs in der westlichen Hälfte des Kerns – die hellste Region im gesamten Haufen. Selbst bei 255-facher Vergrößerung sind mit einer 13-Zentimeter-Optik noch nicht viele Sterne sichtbar. Das ist kein Wunder, denn die Mehrzahl von ihnen ist weniger als 15,6 mag hell. Man erkennt zirka ein Dutzend Sterne im 1,5 Bogenminuten durchmessenden Kernbereich sowie doppelt so viele im Halo. Letztere sind allerdings leuchtschwächer und treten kaum hervor. Die irreguläre Verteilung der Sterne im Kern erzeugt den Eindruck eines Dunkelbands in Nord-Süd-Orientierung, welches das Zentrum durchquert. Auf Fotografien erscheint das nicht so offensichtlich, aber eine Reihe erfahrener visueller Beobachter hat das Dunkelband übereinstimmend deutlich wahrgenommen (siehe »Visueller Eindruck von Messier 107«).

Visueller Eindruck von Messier 107 | Für Michael Fritz sieht die ungleichmäßige Verteilung der Sterne in M 107 aus wie ein Dunkelband im Zentrum. Zum Beobachten verwendete er seinen 130-Millimeter-Refraktor auf La Palma. Die Zeichnung zeigt ein Gesichtsfeld von 15 Bogenminuten und entstand bei Vergrößerungen von 20- bis 255-fach. Norden ist oben.

Bei hoher Vergrößerung verbleibt nur im Kernbereich ein nebliges Hintergrundleuchten, das bei direktem Sehen jedoch verschwindet. Das ist eine Folge der sehr geringen zentralen Flächenhelligkeit, die bei M 107 lediglich 10,0 mag pro Quadratbogenminute erreicht. Das sind fast fünf Größenklassen – oder ein Faktor 100 – weniger als in den sternreichsten Kugelsternhaufen wie Messier 15 im Pegasus oder NGC 1851 im südlichen Sternbild Taube (lateinisch: Columba). Abgesehen von dem dunklen Fleck im Nordwestquadranten des Kerns erscheint Michael Fritz das Leuchten am mattesten im Südostsektor von Messier 107. Diese Helligkeitsvariationen mögen angesichts der ausgedünnten Sterndichte rein zufälliger Natur sein, sie machen das Beobachten gleichwohl interessanter. Gehen Sie gerne selbst auf eine visuelle Erkundungsreise durch diesen ungewöhnlichen Kugelsternhaufen!

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