Beobachtungstipp: Galaxie mit Hochstapler

Ähnlich den Sternen entstanden auch Galaxien bevorzugt in Haufen oder Gruppen – immer dort, wo im Weltall Verdichtungen des intergalaktischen Mediums auftraten. Große Galaxienhaufen wie derjenige im Sternbild Jungfrau (lateinisch: Virgo) zerfallen in kleinere Galaxiengruppen. Die Lokale Gruppe mit der Andromedagalaxie, unserem Milchstraßensystem, der Dreiecksgalaxie und dutzenden Zwerggalaxien ist ein typisches Beispiel. Meist sind diese Galaxiengruppen recht zerstreut. Kompakte Anordnungen sind nämlich wegen der höheren Bahngeschwindigkeiten ihrer Galaxien bei jeder engen Begegnung dynamisch instabil, so dass sie bloß vorübergehend so nahe beieinanderstehen.
Ein enges Galaxien-Viereck
»The Box« – unter diesem sehr treffenden Namen firmiert eine der prominentesten kompakten Galaxiengruppen am nördlichen Himmel, wenngleich sie nicht den Bekanntheitsgrad von Stephans Quintett im Pegasus erreicht (siehe SuW 10/2022, S. 24). Etwas genauer ist die Bezeichnung »The Box Galaxy Group«, um Verwechslungen mit dem Kastennebel (englisch: Box Nebula) NGC 6445 auszuschließen, einem Planetarischen Nebel im Sternbild Schütze. Die Namensgebung der Galaxiengruppe wird James Anthony Rose zugeschrieben; jedoch findet sich in seiner diesbezüglichen Veröffentlichung »A Survey of Compact Groups of Galaxies« aus dem Jahr 1977 kein Hinweis darauf.
William Herschel (1738 – 1822) entdeckte alle vier Galaxien der Box – NGC 4169 mit 12,3 mag, NGC 4173 mit 13,3 mag, NGC 4174 mit 13,6 mag und NGC 4175 mit 13,5 mag scheinbarer Gesamthelligkeit – am 11. April 1785. Er stufte drei von ihnen als »sehr schwach und sehr klein« ein und NGC 4173 kaum abweichend als »schwach, klein«. Die dazwischenliegenden Einträge im New General Catalogue (NGC), NGC 4170 und NGC 4171, stellen lediglich schwache Sterne in diesem Himmelsfeld dar, die von Heinrich Louis d’Arrest (1822 – 1875) um das Jahr 1864 fälschlicherweise für kleine Nebel gehalten wurden.
Die Box-Galaxiengruppe wird nach ihrem hellsten Mitglied auch als NGC-4169-Gruppe bezeichnet und ist zudem als Hickson 61 katalogisiert. Sie liegt in den Außenbereichen des Coma-Sternhaufens Melotte 111 (Mel 111) im Sternbild Haar der Berenike (lateinisch: Coma Berenices) bei den Koordinaten 𝛼 = 12h 12,2m, 𝛿 = +29° 10′ (siehe »Ein Kästchen nordwestlich von Mel 111«).
Ein falsches Mitglied
Interessanterweise haben wir in der Box exakt die gleiche Situation wie bei Stephans Quintett: Nicht alle Galaxien gehören physisch zusammen; eine ist in Wahrheit eine Vordergrundgalaxie! Bei Stephans Quintett ist das NGC 7320, und bei der Box steht uns NGC 4173 mit einer Entfernung von nur 40 Millionen Lichtjahren etwa viermal näher als die 180 Millionen Lichtjahre entfernte Galaxiengruppe. Auf guten Aufnahmen scheint NGC 4173 dann auch von den Proportionen her nicht richtig dazuzugehören, obgleich sie sich von der Ausrichtung perfekt in die Box einfügt (siehe »Ein Außenseiter«).
Dazu passt, dass eine so stark abgeplattete Spiralgalaxie durch gravitative Wechselwirkung mit anderen nahen Welteninseln zumindest eine leichte Verformung ihrer Scheibe erleiden sollte, sich bei NGC 4173 jedoch nichts dergleichen beobachten lässt. Dabei sehen wir die Galaxie exakt von der Seite, so dass man jede Verkrümmung erkennen könnte. Vielmehr zählt sie zur Galaxiengruppe Coma I – nicht zu verwechseln mit dem Coma-Galaxienhaufen –, zu der ebenso die berühmte Nadelgalaxie NGC 4565 gehört (siehe SuW 4/2008, S. 68). Die im Abstand von 27 Bogenminuten im Osten stehende und 12,6 mag helle Galaxie NGC 4185 macht aus dem physischen Triplett der Box-Galaxien dann doch noch ein echtes Quartett! Sie wurde von Herschel in derselben Nacht entdeckt wie ihre Geschwister.
Anblick im Teleskop
Die Hauptgalaxie NGC 4169 ist kein übermäßig schwieriges Objekt für ein Teleskop mit einer Öffnung von 10 bis 13 Zentimetern. Dagegen kann NGC 4173 wegen ihrer geringen Flächenhelligkeit und Nadelform selbst noch mit 20-Zentimeter-Öffnung eine Herausforderung darstellen, wenn der Himmel nicht wirklich dunkel ist.
Im 13-Zentimeter-Refraktor von Michael Fritz, unter sehr dunklem Himmel aber mit bloß 20-facher Vergrößerung, erscheint selbst NGC 4169 lediglich als ein verwaschenes Sternchen von rund 12 mag. Bei indirektem Sehen ist die Umgebung jedoch von einem nebligen Schleier überzogen. In diesem verbergen sich neben den anderen Gruppenmitgliedern auch zwei zirka 13 mag helle Sterne, die sich 4,6 Bogenminuten südsüdwestlich von NGC 4169 und 2,9 Bogenminuten nordnordöstlich von NGC 4175 befinden.
Schon mit 55-facher Vergrößerung sind am 13-Zentimeter-Refraktor alle vier Galaxien einwandfrei zu identifizieren, wobei NGC 4173 allerdings schwieriger zu sehen ist als die übrigen drei. Das bleibt selbst bei noch höheren Vergrößerungen so (siehe »Vier machen ein Kästchen«). Das von den Galaxien gebildete Rechteck misst 4,5 × 2 Bogenminuten.
Außer ihren länglichen Formen und helleren Kernregionen offenbaren die Galaxien in üblichen Amateurteleskopen keinerlei Details. Die Hauptgalaxie NGC 4169 misst ungefähr 1 × 0,6 Bogenminuten im Positionswinkel von 153 Grad; ein Stern der 14. Größe steht 1,4 Bogenminuten südwestlich von ihr. NGC 4173 ist zwar etwas größer, ihre Form ist auf Grund ihrer geringen Flächenhelligkeit allerdings ausschließlich blickweise auszumachen. NGC 4174 ist die kleinste Galaxie der Gruppe. Ein 14 mag heller Stern steht 1,6 Bogenminuten südwestlich von ihr. NGC 4175 kommt im Okular als eine kleinere und schmalere Version von NGC 4169 daher.
Eine größere Öffnung kann einen weniger dunklen Himmel teilweise ausgleichen, und ein Beobachtungsversuch sollte für Sie in jedem Fall sehr interessant sein. Welche dieser Galaxien aus dem Kästchen können Sie erkennen, und wie sehen sie für Sie aus?
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