Objekt des Monats: Verkrümmte Galaxie im Großen Bären

Spiralgalaxien können sehr unterschiedlich aussehen, je nachdem aus welcher Richtung man auf ihre flache Scheibe blickt. In Draufsicht wird die Spiralstruktur bestens sichtbar, von der Kante her betrachtet stechen dagegen die Dunkelwolken in der Galaxienebene deutlich hervor. Oft ist dann auch die Flächenhelligkeit höher, weil das Licht auf einen Streifen konzentriert wird. Zudem treten etwaige Verformungen der Scheibe auffälliger hervor – wie in der Galaxie, welche wir Ihnen hier vorstellen möchten
William Herschel (1738 – 1822) entdeckte NGC 3079 am 1. April 1790 und beschrieb sie als »sehr hell, stark elongiert nördlich vorangehend [nordwestlich] – südlich folgend [südöstlich], sehr gleichmäßig viel heller zur Mitte werdend, 8′ lang, 2′ breit [8 × 2 Bogenminuten]«. Der deutsch-dänische Astronom Heinrich Louis d’Arrest (1822 – 1875) glaubte im Jahr 1861, einige Sterne im Nebel zu erkennen; vermutlich sah er helle Sternballungen zwischen Dunkelwolken. Außerdem bemerkte er die verbogene Form der nach Norden und Süden weisenden Ausläufer. Die originale Beschreibung aus dem New General Catalogue (NGC) aus dem Jahr 1888 lautet »sehr hell, groß, sehr länglich im Positionswinkel von 135 Grad«. Der angegebene Positionswinkel ist allerdings zu klein.
Hoch am Himmel
NGC 3079 zählt zu den hellsten und sehenswertesten Galaxien des Sternbilds Großer Bär (lateinisch: Ursa Major). Da dieses Sternbild jedoch so reich an auffälligen Galaxien ist, treten einige Objekte in den Hintergrund der Wahrnehmung, welche anderswo am Himmel wesentlich bekannter wären – so wie NGC 3079. Wir sehen die rund 10,9 mag helle und 8,1 × 1,3 Bogenminuten große Welteninsel in Kantenlage (englisch: edge-on). Sie hat die Koordinaten 𝛼 = 10h 02,0m, 𝛿 = +55° 41′ und steht günstig hoch an unserem Himmel.
Die Umgebung der Spiralgalaxie im westlichen Oberschenkel der Bärenfigur ist arm an hellen Sternen, so dass man zum Aufsuchen in ein paar Grad Entfernung startet (siehe »Wenige helle Nachbarn«). Man beginnt am besten bei dem auffälligen Sternpaar Theta Ursae Majoris (θ UMa) und 26 Ursae Majoris (26 UMa). Rund 3,5 Grad nordöstlich davon befindet sich der 5,3 mag helle Stern Phi Ursae Majoris (φ UMa), und von hier sind es nochmal 2,1 Grad weiter in derselben Richtung bis zu einem nur fünf Bogenminuten großen Dreieck aus Sternen von 8 bis 9 mag. NGC 3079 steht im nördlichen Zipfel dieses Dreiecks. Im 7 × 50-Fernglas ist es Michael Fritz bisher nicht gelungen, die Galaxie und das besagte kleine Sternendreieck voneinander zu trennen.
Zerrende Nachbarn
NGC 3079 ist ein schönes Objekt für das visuelle Beobachten, weil sie bereits in Teleskopen mit bescheidener Öffnung Details offenbart. Mit einem Kippwinkel von 82 Grad sehen wir sie fast genau von der Kante. Auf Fotografien zeigt sie eine gewisse Ähnlichkeit mit der »Walfischgalaxie« NGC 4631 im Sternbild Jagdhunde (siehe SuW 4/2023, S. 60). Außerdem hat sie zwei kleine Begleitgalaxien, von denen man annimmt, dass sie mit ihr in Wechselwirkung stehen: NGC 3073 liegt 10 Bogenminuten westsüdwestlich und MCG+09-17-009 nur 6,5 Bogenminuten westnordwestlich von NGC 3079 (siehe »NGC 3079 und ihre Begleiter«).
Die äußeren Bereiche der Scheibe von NGC 3079 sind etwas gekrümmt, weil die Begleiter mit ihrer Gravitationswirkung an ihnen zerren. Genauer bezeichnet man dies als Gezeitenwechselwirkung, in Analogie zum Effekt des Mondes auf die Erde. Dabei wirkt sowohl in Richtung des Begleiters als auch in seine Gegenrichtung eine verformende Kraft – bei der Erde entstehen dadurch die Flutberge der Ozeane. Wenn diese Kräfte quer zur Galaxienebene wirken, wird diese entsprechend verkrümmt, weil die um ihr Zentrum verlaufenden Umlaufbahnen der Sterne verkippt werden. Der Effekt ist sehr verbreitet, weil viele Galaxien Begleiter haben. Er bleibt uns aber oftmals verborgen, wenn wir die Galaxienscheiben nur von oben – und nicht von der Seite – betrachten.
Als weiterer Effekt der auf NGC 3079 wirkenden Kräfte macht sich ein gewaltiger Gasausfluss aus der Zentralregion entlang der Rotationsachse bemerkbar, der im Licht des ionisierten Wasserstoffs leuchtet, sehr ähnlich zur bekannten Galaxie Messier 82. Damit einher geht das Entstehen zahlreicher junger, leuchtstarker Sterne, und der von ihnen aufgeheizte Staub strahlt hell im Infraroten. NGC 3079 befindet sich in einer Entfernung von ungefähr 52 Millionen Lichtjahren, woraus sich ein tatsächlicher Durchmesser von 120 000 Lichtjahren ergibt. Ihre absolute Helligkeit von –21,0 mag ist vergleichbar mit der unseres Milchstraßensystems. Wie bei Sternen bezieht sich die absolute Helligkeit einer Galaxie auf eine theoretische Entfernung von 10 Parsec (~ 32,6 Lichtjahren), allerdings wird ihre Strahlung über die räumliche Ausdehnung der Welteninsel integriert und dann wie die einer Punktquelle behandelt.
Der Anblick im Fernrohr
Im 13-Zentimeter-Refraktor zeigt NGC 3079 bei 20-facher Vergrößerung ihre schlanke Form, und man kann – etwas Zeit vorausgesetzt – schon ihre ungleichmäßige Helligkeitsverteilung wahrnehmen! Bei mittleren Vergrößerungen erscheint die Galaxie zirka 6 × 1 Bogenminute groß im Positionswinkel von 165 Grad. Das südsüdöstliche Ende kann bis zu der Grundlinie des oben erwähnten Sternendreiecks verfolgt werden, während das nordnordwestliche Ende bis zu einem 13,5 mag schwachen Stern reicht. Dieser ist das hellste Vordergrundobjekt, das scheinbar in NGC 3079 eingebettet ist. Zwei noch schwächere Sterne von 14 mag liegen unmittelbar westlich, bereits außerhalb des Galaxienhalos.
Es scheint sich eine sehr abgeflachte s-Form durch die Galaxie zu schlängeln. Ihr westlicher Rand wirkt gerader, der Galaxienkern ist zum östlichen Rand hin verschoben. Die zentralen 2,5 Bogenminuten sind heller und enthalten einen unregelmäßigen, etwa eine Bogenminute großen Kernbereich. Und tatsächlich sind ein paar sternartige Verdichtungen erkennbar, beispielsweise am äußeren Rand des Kerns im Norden und Süden (siehe »Krumme Ansichten«).
Der mit 13,4 mag hellere Begleiter NGC 3073 gibt sich im Gesichtsfeld von selbst zu erkennen; nach dem zweiten, MCG+09-17-009 mit 13,8 mag, muss man schon ein wenig suchen. Unter einem perfekten Himmel liegt er aber in Reichweite eines Teleskops mit 13 Zentimeter Öffnung. Auf Fotografien zeigen beide Begleitgalaxien ebenfalls gestörte Morphologien, was bei projizierten Abständen von nur rund 100 000 Lichtjahren (NGC 3073) beziehungsweise 150 000 Lichtjahren nicht verwundert. Manche Astronomen bezweifeln, dass die beiden Zwerggalaxien massereich genug sind, um die großen beobachteten Effekte zu erzielen. In jedem Fall bieten sie im Umfeld von NGC 3079 einen zusätzlichen Anreiz für Beobachter, ihre Teleskope und den Nachthimmel auszutesten. Probieren Sie es doch auch einmal!
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