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Ökologie: Wie kam es zur großen Braunalgenplage im Atlantik?

Fast alle Jahre wieder werden riesige Teppiche aus Braunalgen an karibische oder US-Strände gespült, wo sie stinkend verrotten. Entstanden sind sie mit menschlicher Hilfe.
Eine Person mit Schnorchelmaske schwimmt in einem mit Braunalgen bedeckten Meer. Die Person lächelt und hat Algen auf dem Kopf. Der Himmel ist klar mit einigen Wolken.
Manchmal müssen Wissenschaftler mitten hinein in ihr Studienobjekt, wie hier Brian Lapointe in einen Braunalgenteppich.

2011 entwickelte sich erstmals seit Beobachtungsbeginn ein riesiger Teppich aus Braunalgen im Atlantik, der sich über tausende Kilometer erstreckte. Große Mengen dieser Algen trieben schließlich an Stränden in der Karibik oder Floridas an, wo sie stinkend verrotteten. Seitdem trat dieses Phänomen – mit Ausnahme von 2013 – immer wieder auf: Im Mai 2025 schätzten Wissenschaftler die Biomasse auf rekordverdächtige 37,5 Millionen Tonnen, die nicht nur den Tourismus, sondern vor allem auch die Ökosysteme der Region massiv beeinträchtigen. Ein Team um Brian Lapointe von der Florida Atlantic University hat deshalb die Entwicklung der Braunalgen im Nordatlantik über die letzten Jahrzehnte rekonstruiert, um mehr über die Ursachen der Plage herauszufinden.

Für ihre Arbeit kombinierten die Wissenschaftler historische Aufzeichnungen, Satellitendaten und biogeochemische Analysen, um die dramatische Ausbreitung dieser Braunalgen der Gattung Sargassum nachvollziehen zu können. Ursprünglich galten die Algen als typisches Merkmal der Sargassosee zwischen der US-amerikanischen Ostküste und Bermuda, von dem schon frühe Seefahrer berichteten. Dort treiben bis heute große Mengen an Braunalgenteppichen im Meer, obwohl das Gebiet als nährstoffarm gilt. Schätzungsweise sieben Millionen Tonnen an Sargassum finden sich hier, die nicht in das Gesamtgewicht des restlichen Braunalgengürtels einfließen.

Vielen Meeresforschern galt es als ein Paradoxon, dass ausgerechnet in der nährstoffarmen Sargassosee so starkes Algenwachstum möglich sein sollte. Inzwischen weisen Satellitendaten, ozeanische Zirkulationsmodelle und Untersuchungen vor Ort denn auch darauf hin, dass große Mengen an Braunalgen aus dem westlichen Golf von Mexiko stammen, wo das Wasser deutlich nährstoffreicher ist. Von dort treiben sie dann unter anderem über den Golfstrom in den Atlantik und reichern sich in der Sargassosee an.

Satellitenbilder zeigen beispielsweise 2004 und 2005 lange Bänder an treibenden Braunalgen, die vom Mündungsgebiet des Mississippi und Atchafalaya ostwärts Richtung Atlantik driften. Beide Flüssen liefern große Mengen an natürlichen Nährstoffen und ausgewaschenem Kunstdünger in den Golf, was regelmäßig große Algenblüten auslöst. »Diese nährstoffreichen Gewässer führten schon früher zu einer hohen Biomasse entlang der Golfküste; das führte im Jahr 1991 zu Massenstrandungen von Braunalgen, kostspieligen Strandreinigungen und sogar zur Notabschaltung eines Kernkraftwerks in Florida«, sagte Lapointe in einer Mitteilung.

Laborstudien bestätigen Beobachtungen

Bestätigt wurde der Zusammenhang zwischen Nährstoffeintrag und Algenwachstum auch durch Tests in Aquarien: Die beiden wichtigen Arten Sargassum natans und Sargassum fluitans wachsen in nährstoffreichen Küstengewässern deutlich schneller und stärker als unter kargen Bedingungen im offenen Ozean. Wenn es optimal läft, können beide innerhalb von elf Tagen ihre Biomasse verdoppeln.

Isotopenanalysen zeigten zudem, dass sich das Verhältnis von Stickstoff zu Phosphor in den Algen zwischen 1980 und den 2020er Jahren veränderte. So nahm der Stickstoffgehalt in dieser Zeit um 50 Prozent zu, während Phosphor leicht abnahm. Das spreche dafür, dass sich die Nährstoffquellen verschoben hätten, schreiben Lapointe und Co. Statt der natürlichen Zufuhr etwa durch aufsteigendes, nährstoffreiches Tiefenwasser dominierten mittlerweile landbasierte Faktoren wie ausgewaschener Dünger aus der Landwirtschaft, Haushaltsabwässer oder der Eintrag von Autoabgasen über die Atmosphäre. Auf offener See erhalten sich die Teppiche quasi selbst: Junge Braunalgen nutzen die Nährstoffe, die beim Abbau alter Bestände frei werden. 

Ob der Golf von Mexiko jedoch die Quelle für den Großen Braunalgengürtel (GASB, Great Atlantic Sargassum Belt) darstellt, ist nach Darstellung der Arbeitsgruppe noch ungewiss. Dieser erstreckt sich inzwischen jedes Jahr fast ununterbrochen von der westafrikanischen Küste bis vor die Mündung des Amazonas. Von hier aus driften dann große Teppiche nordwestwärts in die Karibik.

Genuntersuchungen und morphologische Vergleiche legen nahe, dass Sargassum natans wohl schon vor 2011 im tropischen Atlantik vorkam, dort jedoch keine großen Bestände bildete. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein starkes Atmosphären- und Ozeanereignis im Zusammenhang mit der Nordatlantischen Oszillation zusätzliche Algenteppiche in die Region trieb und so das Algenwachstum anschließend anheizte.

Dass sich die Plage ab 2011 verstetigte, hängt dagegen mit der zunehmenden Nährstoffzufuhr aus dem Amazonas zusammen: Große Flächen an Regenwald wurden für Sojafelder abgeholzt, die intensiv gedüngt werden. Überschüssiger Dünger gelangt dann über den Fluss in diesen Bereich des Atlantiks. Seitdem schwankt das Ausmaß des Algenteppichs mit den Flut- und Dürrephasen im Amazonasbecken, die sich seit der Jahrtausendwende verschärfen: Starke Regenfälle und Überflutungen waschen mehr Dünger aus und nähren damit die Algenteppiche.

Wirtschaftlicher und ökologischer Schaden

»Die Ausbreitung von Sargassum ist nicht nur eine ökologische Kuriosität – sie hat reale Auswirkungen auf Küstengemeinden. Die massiven Blüten können Strände verschmutzen, die Fischerei und den Tourismus beeinträchtigen und Gesundheitsrisiken mit sich bringen«, sagte Lapointe. Die angespülten verrottenden Algen setzen giftige Gase wie Schwefelwasserstoff frei, was ein Gesundheitsrisiko darstellt. Absterbende Braunalgen zehren im Wasser den Sauerstoff auf und ersticken damit das Leben im Umfeld. Oder sie lagern sich auf Korallenriffen ab und töten diese in der Folge. 

Bislang gibt es nur wenige Ansätze, die angeschwemmten Algen zu verwerten, auch erschwert durch den oft hohen Arsengehalt in den Pflanzen. Meist werden sie nur zu Deponien gefahren, wo sie weniger öffentlichkeitswirksam verrotten.

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  • Quellen
Lapointe, B. et al., Harmful Algae 10.1016/j.hal.2025.102940, 2025

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