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Vorurteile: Ohne Angst kein Rassismus

Geistig Behinderten ohne Sozialängsten ist die Hautfarbe egal.
Wer war unartig?
Erlernte Klischees, Furcht vor dem Unbekannten, genetische Prägung – die Psychologie kennt viele Theorien darüber, warum Menschen oft Personen eines Geschlechts, einer Hautfarbe oder Religion mit stereotypen Eigenschaften verbinden. Studien an Kindern mit Williams-Beuren-Syndrom (WBS) – einer seltenen Erbkrankheit, bei der die geistige Entwicklung gehemmt ist – zeigen nun, dass nicht alle Vorurteile im Gehirn auf dieselbe Weise entstehen: Die Betroffenen empfinden nicht nur kaum Misstrauen und Furcht vor sozialer Ablehnung, sondern für sie spielt offenbar auch Hautfarbe keine Rolle. Bei Geschlechterfragen dagegen denken sie ebenfalls in Kategorien.

Wer war unartig? | Mit Darstellungen wie dieser testen Psychologen seit den 1970er Jahren, welche Charakterzüge Kinder mit verschiedenen Hautfarben und Geschlechtern verbinden. In diesem Fall lautet die Frage zum Bild: "Welcher dieser Jungen malt gerne mit Wachskreide auf Tapeten?"
Mit Hilfe kurzer Geschichten um fiktive Personen untersuchten Forscher um Andreas Meyer-Lindenberg vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, welche Charaktereigenschaften die 5- bis 15-jährigen WBS-Patienten mit Menschen eines Geschlechts oder einer Hautfarbe in Verbindung brachten. Zu jeder Erzählung erhielten die Kinder zwei gezeichnete Figuren und sollten auf diejenige Person zeigen, auf welche die Beschreibung ihrer Meinung nach besser passte. Wie sich herausstellte, spielte die Hautfarbe für die Probanden nahezu keine Rolle, wenn sie wertende Beschreibungen wie "lügnerisch", "gewalttätig" oder "mitfühlend" zuordnen sollten. Typisch geschlechtsspezifische Klischees wie eine Vorliebe für Fußball oder Kochen gehörten dagegen auch für die WBS-Kinder jeweils klar zu Mädchen oder Jungen.

In Studien mit der gleichen Methode neigten selbst Vorschüler verschiedener Länder und Hautfarben stets dazu, negative Attribute eher in Personen mit dunkler Haut zu sehen. Messungen der Hirnaktivität von Probanden zeigten starke Reaktionen der Amygdala, die für Gefühlsassoziation zuständig ist, beim Betrachten dunkelhäutiger Menschen. Das Williams-Syndrom beeinträchtigt die Verschaltung dieses Areals unter anderem mit dem Hirnteil für Gesichtserkennung. Für Meyer-Lindenberg und seine Kollegen sprechen die Funde somit eindeutig dafür, dass Rassismus eine generell negative Gefühlsprägung darstellt, während es sich bei Geschlechterrollen vornehmlich um erlernte Inhalte handelt. (rs)

Santos, A. et al.: Absence of Racial, but not Gender, Stereotyping in Williams Syndrome Children. In: Current Biology 20(7), S. R307-R308, 2010.

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