Atommüll: Ein Endlager für die Ewigkeit

»Es war einmal ein Mensch, der lernte, das Feuer zu beherrschen. Etwas, das kein anderes Lebewesen vor ihm getan hatte. Der Mensch eroberte die ganze Welt. Eines Tages fand er ein neues Feuer. Ein Feuer, das so mächtig war, dass es nie ausgelöscht werden konnte. Als der Mensch verstand, dass dieses Feuer nicht nur nützlich, sondern auch zerstörerisch sein konnte, sah sich nach Hilfe um, fand aber keine. Und so baute er eine Grabkammer tief in den Eingeweiden der Erde, ein Versteck, in dem das Feuer bis in alle Ewigkeit brennen sollte.« Mit diesen eindringlichen Worten beschreibt der dänische Regisseur Michael Madsen in seinem 2010 erschienenen Dokumentarfilm »Into Eternity« den Ausbau des Endlagers Onkalo.
Auf Finnisch bedeutet Onkalo so viel wie Versteck oder Hohlraum. Inzwischen bezeichnet es aber auch den Ort in Finnland, an dem verbrauchte Brennelemente aus Kernkraftwerken erstmals dauerhaft gelagert werden sollen. In den nächsten Jahren soll damit begonnen werden, dort rund 6500 Tonnen hochradioaktiven Atommüll einzugelagern. Posiva, die Betreiberfirma Onkalos, ist sich sicher, dass die Stätte in mehr als 400 Metern Tiefe den Atommüll für mindestens 100 000 Jahre sicher aufbewahren wird.
Jedoch gibt es auch kritische Stimmen, die das anzweifeln. Die Befürchtung: Das unauslöschliche Feuer könnte aus seinem Versteck hervortreten und die Welt künftig heimsuchen.
Dreifach gesichert
In den rund 70 Jahren, in denen Kernenergie genutzt wird, haben sich weltweit ungefähr 400 000 Tonnen hochradioaktiven Abfalls angesammelt, der in Zwischenlagern aufbewahrt wird. Jedes Jahr kommen etwa 10 000 weitere Tonnen hinzu. Hierbei handelt es meist um verbrauchten Brennstoff aus Kernkraftwerken. Diese Brennelemente enthalten zwar immer noch spaltbares Uran, lassen sich aber nicht mehr zur Energieerzeugung nutzen, weil sich darin zu viele nukleare Zerfallsprodukte angesammelt haben.
Deshalb werden sie aussortiert und zunächst über Jahre in Abklingbecken gekühlt, die sich üblicherweise in der Nähe der Kernkraftwerke befinden. Das mit Bor angereicherte Wasser schirmt dabei die ionisierende Strahlung ab und transportiert die Restwärme der Brennelemente ab. Wenn die Radioaktivität genügend abgeklungen ist, werden die Elemente in Zwischenlager gebracht, wo sie auf den Transport in eine permanente Ruhestätte warten.
Die Idee, den Atommüll zur endgültigen Lagerung tief in der Erde zu vergraben, scheint naheliegend. Doch sie bringt auch enorme Herausforderungen mit sich. Diesen soll sich Onkalo stellen.
Das geplante Endlager liegt im Südwesten Finnlands auf der Insel Olkiluoto, nur wenige Kilometer von einem der zwei finnischen Kernkraftwerke entfernt. Das Lager besteht aus einem Netzwerk aus Tunneln und Schächten von etwa zehn Kilometern Länge, das sich mehr als 400 Meter tief in den finnischen Felsuntergrund gräbt. Bis zur geplanten Verschließung in etwa 100 Jahren soll das unterirdische Netzwerk auf ungefähr 40 Kilometer ausgeweitet werden.
Zur sicheren Verwahrung des hochradioaktiven Abfalls nutzt Posiva das so genannte KBS-3-Verfahren, das die schwedische Firma Svensk Kärnbränslehantering Aktiebolag in den 1980er Jahren entwickelt hat. Die verbrauchten Brennelemente werden hierbei in einem mehr als 20 Tonnen schweren Kupferkanister versiegelt, der als Korrosionsschutz dient. Diese Kanister werden dann in vertikalen Schächten platziert und die Tunnel nach und nach mit Bentonit – einem Tongemisch, das auch in Katzenstreu genutzt wird – befüllt. Sollte Wasser in das Endlager eindringen, quillt das Bentonit auf und soll so die Ausbreitung entweichender radioaktiver Stoffe bremsen. Da das Gestein unter der Insel Olkiluoto etwa 1,8 Milliarden Jahre alt ist, geht Posiva davon aus, dass es auch weiterhin stabil bleiben wird, so dass gar kein Wasser hineingelangen könnte. Zudem wurde die Tiefe des Endlagers mit 420 Metern so gewählt, dass sie unterhalb der Permafrostgrenze früherer Eiszeiten liegt. Damit lassen sich die destabilisierenden Effekte des wiederholten Frierens und Auftauens auf den Felsen vermeiden.
Insgesamt sind die Brennstoffe durch das KBS-3-Verfahren, also durch drei Schichten von der Außenwelt abgeschirmt: Kupferkanister, Bentonit und den Felsen. Und das möglichst für immer. Denn Onkalo ist als dauerhaftes Endlager geplant. Doch Posiva hält sich eine Hintertür offen.
Vielleicht doch nicht ganz endgültig
Eigentlich könnte der Schacht für immer verschlossen bleiben. Finnland hat die Wiederaufbereitung der verbrauchten Brennelemente aktuell ausgeschlossen, weil die Verfahren bislang zu komplex und zu teuer sind. Außerdem warnen manche Forschende, dass das in den Brennelementen durch Zerfall entstandene Plutonium zur Entwicklung von Nuklearwaffen missbraucht werden könnte.
Doch Posiva geht davon aus, dass künftige Technologien eine günstigere Wiederaufbereitung ermöglichen. Daher ist Onkalo so angelegt, dass sich der Atommüll während der Befüllung in den nächsten 100 Jahren – und mit mehr Aufwand sogar danach – wieder ausgraben lässt.
Anfang 2025 führte Posiva einen Probelauf der Anlagen ohne radioaktives Material durch. Dabei wurden mehrere Kanister versiegelt und unter Tage gebracht sowie einige Meter Tunnel testweise mit Bentonit aufgefüllt. Um die Entnahme der Kanister zu testen, brachte die Firma einen davon wieder an die Erdoberfläche.
Obwohl diese Tests erfolgreich waren, wartet Posiva noch auf die Betriebsgenehmigung durch das zuständige Ministerium. Dazu muss die finnische Behörde für Strahlungs- und Nuklearsicherheit ihr Gutachten fertigstellen. Die Frist dazu wurde bereits zweimal verlängert, zuletzt bis Ende 2025. Schon vor diesem Verfahren dauerten die Prozesse zur Entscheidungsfindung und Standortsuche Jahrzehnte.
Steuereinnahmen gegen Endlager
Noch in den 1980er Jahren exportierte Finnland seinen Atommüll zur Wiederaufbereitung unter anderem in die Sowjetunion. Doch seit 1994 ist die Ausfuhr untersagt, sodass Energieversoger seither gezwungen sind, nach einem Endlager in Finnland zu suchen.
Eine umfangreiche Studie des zuständigen Ministeriums prüfte hunderte mögliche Standorte, von denen Ende der 1990er Jahre nur noch vier infrage kamen, darunter die Gemeinden Eurajoki und Loviisa. Da sich dort auch die zwei finnischen Kernkraftwerke befinden, müssten die Energieanbieter kein zusätzliches Land ankaufen und die Brennelemente nicht weit transportieren.
Die Entscheidung fiel schlussendlich auf die Gemeinde Eurajoki, die geringere Ausgleichszahlungen als ihre Konkurrenz annahm. Bei der Entscheidung spielte auch die Vertrautheit der Bevölkerung mit Nukleartechnologien sowie wirtschaftliche Umstände – wie die Beschäftigungssituation – eine wichtige Rolle. Das stellte der Historiker für Nukleartechnologien Robert Jacobs in einer Studie im »Hiroshima Peace Research Journal« fest. Dem stimmt im Gespräch mit »Spektrum« auch Pasi Tuohimaa zu, Communications Manager für Posiva: »Je weniger Menschen über Radioaktivität wissen, desto mehr Angst haben sie. Ein starkes ›nukleares‹ Selbstverständnis der Bevölkerung ist auch von Vorteil. Die Entscheidung für Eurajoki wurde aber unter anderem auch deswegen getroffen, weil dort mehr und größere Reaktoren stehen als in Loviisa.«
»Das ist strukturelle Korruption«Jari Natunen, Umweltbiochemiker
Doch es gibt Stimmen, die den Auswahlprozess kritisieren. »Posiva erhielt die Umweltgenehmigungen von derselben Gemeinde, die von diesem Unternehmen stark abhängig ist, während andere Projekte mit denselben Auswirkungen Genehmigungen von einer übergeordneten Behörde benötigen würden«, kritisiert Jari Natunen die Vorgehensweise bei der Standortsuche. Er ist Umweltbiochemiker und arbeitet unter anderem für die NGO MiningWatch Finland. »Das ist strukturelle Korruption. Die Wünsche der Industrie werden einfach als richtig angesehen, und die Bevölkerung soll sich nicht um Dinge kümmern, die sie nicht verstehen kann oder soll.«
Erosion und Korrosion
Natunen gibt zu bedenken, dass der Hauptbestandteil der Brennelemente, das Uran-238, eine Halbwertszeit von mehr als vier Milliarden Jahren hat und beim Zerfall extrem viele verschiedene radioaktive Produkte erzeugt. Die 420 Meter Tiefe könnten nicht garantieren, dass das Lager über Jahrmillionen vor der Erosion von Gletschern zukünftiger Eiszeiten sicher sei. Das dann noch immer vorhandene Uran könnte in so einem Fall nach außen dringen.
Der Umweltbiochemiker beanstandet auch, dass Posivas Modelle zu möglichen Lecks im Endlager das Problem der biologischen Anreicherung von Polonium vernachlässigen. Polonium kann über mehrere Schritte in der Zerfallsreihe von Uran-238 entstehen. Die Gefahr dabei ist, dass sich Polonium besonders effektiv durch die Nahrungskette in Lebewesen anreichern kann. Durch die höhere Konzentration ist es dann viel schädlicher.
Pasi Tuohimaa von Posiva zeigt sich jedoch zuversichtlich: »Wir garantieren, dass wir den Atommüll für 100 000 Jahre von Menschen und der Natur isolieren können. Nach nur etwa 1000 Jahren ist die Radioaktivität fast auf einem natürlichen Niveau.« Natunen widerspricht dem. Laut ihm sei die hohe Konzentration der radioaktiven Stoffe in Onkalo nicht mit der viel niedrigeren natürlich vorkommenden Konzentration in Gesteinen vergleichbar.
Und auch die Kupferkanister sorgen für Diskussionen. NGOs in Schweden sehen die langfristige Integrität der Kanister als nicht ausreichend bestätigt. Sie beziehen sich dabei auf die Forschung von Peter Szakálos und Christofer Leygraf vom Royal Institute of Technology in Stockholm, deren Ergebnisse nahelegen, dass die Kanister aufgrund von Korrosion keine 100 000 Jahre dicht seien. Die schwedischen und finnischen Behörden zeigten sich davon jedoch unbeeindruckt und stützen sich auf andere Studien, welche die langfristige Stabilität der Kanister bestätigen.
Neue Religionen, Legenden und genmanipulierte Katzen
Unabhängig von der Sicherheit des KBS-3-Verfahrens muss man sicherstellen, dass niemand den Atommüll aus Versehen oder mit bösen Absichten ausgräbt. Auch hier vertraut Pasi Tuohimaa von Posiva den Prognosen seiner Firma: »Solange es Menschen gibt, werden die natürlich wissen, dass es dieses Endlager gibt. Und auch wenn es eine Katastrophe gäbe und die Menschheit ausgelöscht würde, wäre das Lager sicher.«
Doch kann man sich sicher sein, dass Menschen in der Zukunft über Endlager wie Onkalo Bescheid wissen? Dieser Frage widmet sich die nukleare Semiotik. Erste Untersuchungen dazu wurden in den 1980er Jahren von der Human Interference Task Force in den USA durchgeführt. Sie kam zu dem Schluss, dass der Ort des Endlagers möglichst uninteressant für zukünftige Generationen sein sollte – also beispielsweise keine Bodenschätze enthalten sollte. Zudem sprach sie sich dafür aus, Warnungen in beständigen Medien wie Felswänden festzuhalten.
Der Bericht einer weiteren Arbeitsgruppe an den Sandia National Laboratories in New Mexico versuchte im Jahr 1993, Richtlinien für Warnungen über nukleare Endlager zusammenzufassen. Diese sollten zum Beispiel in Piktogrammen vermittelt werden. Man könne sich nämlich nicht sicher sein, dass unsere Sprachen auch noch in der fernen Zukunft bestehen.
Allerdings lehrt uns die Geschichte, dass solche Warnungen oftmals eine gegenteilige Wirkung haben. So befeuerten derartige Schriften auf antiken ägyptischen Gräbern die Neugierde von Archäologen und Grabräubern. Ein anderes Beispiel sind die Tsunamisteine in Japan, die vor über 1000 Jahren aufgestellt wurden, um davor zu warnen, nicht näher an der Küste zu wohnen, als die Steine stehen. Diese wurden oftmals ignoriert, da große Tsunamis selten auftreten und diese Katastrophen mit der Zeit vergessen werden.
Man könnte religiöse Institutionen schaffen, die das Wissen um das Endlager weitergeben
Um die Risiken eines Endlagers nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, gab es auch ungewöhnliche Vorschläge: Man könnte beispielsweise religiöse Institutionen schaffen, die das Wissen um das Endlager weitergeben. Der Gedanke dahinter war, dass sich in unserer bisherigen Geschichte gezeigt hat, dass es solchen Institutionen sehr gut gelingt, Wissen über lange Zeiträume zu bewahren. Eine andere Idee bestand darin, Katzen gentechnisch so zu manipulieren, dass sie ihre Farbe ändern, wenn sie Radioaktivität ausgesetzt sind. Es sollte dazu auch die Volksweisheit etabliert werden, diese gefärbten Katzen zu vermeiden. Zu diesem Zweck ließ der Podcast »99% Invisible« 2014 sogar eigens ein Lied komponieren, das als Ohrwurm die Jahrtausende überstehen sollte.
Für welche Variante sich die Betreiber von Onkalo entscheiden, wird voraussichtlich erst nach der endgültigen Schließung in etwa 100 Jahren feststehen. Denn sie haben großes Interesse daran, das Wissen darüber so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Michael Madsen schlägt in seinem Film »Into Eternity« eine weitere Lösung vor: Die Menschen könnten über Generationen Legenden – und damit Warnungen – über das unauslöschliche Feuer und sein tiefes Grab im Felsen an ihre Nachfahren überliefern. Dabei sollten sie sich auch immer daran erinnern, es zu vergessen.
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