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Herzgesundheit: Die Kraft der Zuversicht

Angst und Ärger sind schlecht fürs Herz-Kreislauf-System. Eine positive Lebenseinstellung kann die Gefäße hingegen schützen. Wie arbeiten Gehirn und Herz zusammen?
Eine Person hält ein großes, rotes, herzförmiges Kissen vor sich, so dass das Gesicht verdeckt ist. Im Hintergrund ist ein Jahrmarkt mit bunten Lichtern und Fahrgeschäften zu sehen. Die Szene vermittelt eine fröhliche und lebendige Atmosphäre.
Wer optimistisch durchs Leben geht, erleidet – statistisch gesehen – seltener einen Herzinfarkt. Fachleute wissen inzwischen, warum.

Am 11. September 2001 entführten islamistische Terroristen vier Passagierflugzeuge der American Airlines. Sie steuerten zwei Maschinen in die mehr als 400 Meter hohen Bürotürme des World Trade Center in New York, die daraufhin kollabierten. Eine dritte lenkten sie ins Pentagon, den Sitz des Verteidigungsministeriums in Washington. Das vierte Flugzeug stürzte ab, als die Passagiere sich gegen die Attentäter zur Wehr setzten. Insgesamt forderten die Anschläge fast 3000 Todesopfer. Noch heute, ein knappes Vierteljahrhundert später, ist 9/11 für viele Menschen in den USA ein traumatisches Datum.

Drei Jahre nach dem Terrorakt erschien im »Journal of the American College of Cardiology« eine wissenschaftliche Studie. Sie sollte klären, welche gesundheitlichen Spuren die Schreckenstaten hinterlassen hatten. Als Stichprobe dienten 132 Männer und Frauen aus New York City und Umgebung, denen bereits vor 2001 ein Defibrillator implantiert worden war. Die Geräte sind kaum größer als eine Streichholzschachtel und werden in einer kleinen Operation unterhalb des Schlüsselbeins eingesetzt. Sie erkennen automatisch lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen. Im Bedarfsfall können sie dann elektrische Impulse abgeben, um die Schlagfrequenz zu normalisieren.

Sie zeichnen zudem über Jahre hinweg minuziös auf, zu welchen Zeiten solche Arrhythmien auftreten. Als die Medizinerinnen und Mediziner diese Daten auswerteten, stießen sie auf eine Auffälligkeit: In den vier Wochen nach dem 11. September 2001 waren die Herzen der Patienten und Patientinnen besonders häufig aus dem Takt geraten. Die Implantate hatten in jener Zeit mehr als doppelt so oft einschreiten müssen wie in dem Monat vor dem Terrorakt. Und das lag nicht etwa daran, dass aufgrund der Zerstörung des World Trade Center die Luft ausgesprochen stark mit Staub, Rauch und Asche belastet gewesen war: In Florida, mehr als 1500 Kilometer weiter südlich, erbrachte eine ähnliche Studie dieselben Befunde.

Negative Emotionen erhöhen Risiko für Herzinfarkt

Diese Ergebnisse bestätigen einen Zusammenhang, der seit den 1950er Jahren in zahllosen Untersuchungen wieder und wieder gefunden wurde: Angst, Wut, Trauer und andere negative Emotionen schlagen aufs Herz. So verzeichnete Athen nach einer Serie von Erdbeben Anfang der 1980er Jahre eine erhöhte Zahl herzbedingter Todesfälle. Auch in wirtschaftlichen Krisenzeiten werden Infarkte häufiger. Selbst die Aufregung während der Fußball-WM 2014 in Brasilien (die ja für die deutsche Mannschaft durchaus positiv verlief) war manchen offenbar zu groß: Zu dieser Zeit stieg hierzulande das Risiko, mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert zu werden, um fünf Prozent. Demnach können auch Ereignisse eine unheilvolle Wirkung entfalten, die man beim besten Willen nicht als existenzbedrohend bezeichnen kann.

Unser Gefühlsleben hat folglich offensichtlich einen großen Einfluss auf die Gesundheit unseres Herz-Kreislauf-Systems, ähnlich wie Sport, Ernährung oder Rauchen. Doch warum ist das so? Was ist das Bindeglied zwischen dem, was wir empfinden, und dem Hohlmuskel, der unermüdlich Blut durch unseren Körper pumpt und die Zellen so mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt? »Emotionen sind Motivatoren«, erklärt Christoph Herrmann-Lingen, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Herzzentrum Göttingen. »Sie bringen uns dazu, auf eine Umweltsituation passend zu reagieren – also etwa gegen einen Aggressor zu kämpfen oder vor einem gefährlichen Tier davonzulaufen. Zugleich versetzen sie den Körper in einen Zustand, der ihn zu dieser Reaktion befähigt.«

Das Herz-Kreislauf-System wird zu einem großen Teil durch das vegetative Nervensystem gesteuert. Genauer gesagt: durch dessen zwei Hauptakteure und Gegenspieler, den Sympathikus und den Parasympathikus. Der Parasympathikus dominiert, wenn wir emotional ausgeglichen sind, uns ausruhen oder schlafen. Er bildet ein weit verästeltes Kommunikationsnetz, über das das Gehirn fast alle inneren Organe regulieren kann. Das geschieht über den Neurotransmitter Azetylcholin: Der Botenstoff wird von den parasympathischen Nervenendigungen ausgeschüttet, dockt an Rezeptoren auf der Oberfläche von Zellen an und aktiviert dadurch Signalwege, die die Regeneration des Körpers fördern. Unter anderem dämpft Azetylcholin die Herzaktivität. Wichtigster Bestandteil des Parasympathikus ist der Vagusnerv.

Der Blutdruck geht hoch, das Herz schlägt schneller

Wenn wir in Wut oder Panik geraten, drosselt zunächst der Vagusnerv seine Aktivität. »Die ersten Anstiege der Pulsfrequenz sind vor allem auf diesen Effekt zurückzuführen«, betont Herrmann-Lingen. »Der Körper löst in diesem Moment gewissermaßen die Bremse.« Erst danach kommt der Sympathikus ins Spiel und drückt noch zusätzlich aufs Gas: Über ihn kann das Gehirn unter anderem direkt den Sinusknoten beeinflussen – den Haupttaktgeber im Herzen. Die Nervenendigungen des Sympathikus schütten dort Noradrenalin aus. Der Botenstoff beschleunigt den Pumpvorgang, erhöht aber zugleich die Gefahr von Herzrhythmusstörungen. Noradrenalin sorgt zudem dafür, dass sich die Blutgefäße unter der Haut verengen. Im Fall von Verletzungen reduziert das den Blutverlust.

Gleichzeitig erhöht sich dadurch der Blutdruck. Dazu trägt auch die Nebennierenrinde bei, die verschiedene blutdruckregulierende Hormone ins Blut abgibt. Das Gehirn registriert die Steigerung über spezielle Messfühler in den Gefäßwänden. »Als Konsequenz reguliert es die Schmerzwahrnehmung herunter«, erläutert Herrmann-Lingen. »Dieser Effekt hilft uns ebenfalls, Verletzungen besser wegzustecken.« Allerdings bewirkt die Druckzunahme bisweilen auch, dass Einlagerungen in den Arterienwänden – sogenannte Plaques – einreißen. An der betroffenen Stelle kann sich dann ein Blutgerinnsel bilden, das das Gefäß verschließt. Folge kann dann, je nach Ort des Verschlusses, ein Herzinfarkt oder Schlaganfall sein. Manchmal werden auch Bestandteile der eingerissenen Plaques vom Blutstrom weggeschwemmt und verstopfen auf ihrer Reise durch den Körper andere Gefäße.

Die Hirn-Herz-Achse | Wenn wir uns ärgern oder wütend sind, wirkt sich das auf unser Herz-Kreislauf-System aus. Zuerst drosselt der Vagusnerv seine Aktivität. Er gehört zum parasympathischen Nervensystem und hat eine dämpfende Wirkung auf Herzschlag und Blutdruck. Dann kommt der Sympathikus in Aktion, dessen Nervenendigungen im Sinusknoten Noradrenalin freisetzen. Der Sympathikus sorgt zudem dafür, dass die Nebenniere Hormone ausschüttet, die die Blutgefäße verengen. Das Herz beginnt nun, schneller zu schlagen, und der Blutdruck steigt. Haben sich in den Arterien bereits Ablagerungen, sogenannte Plaques, gebildet, können diese durch den hohen Blutdruck einreißen. In der Folge entstehen Blutgerinnsel, die die Gefäße an der Stelle verschließen. Lösen sich Teile davon, können sie zum Gehirn gelangen, wo sie einen Schlaganfall auslösen.

Sehr intensive negative Emotionen können folglich lebensgefährliche Konsequenzen haben. Besonders gut ist dieser Zusammenhang für ein Gefühl untersucht, das wohl die meisten Menschen hin und wieder empfinden: Ärger. Ein Forschungsteam der Harvard Medical School hat dazu 2014 die Ergebnisse von neun verschiedenen Studien analysiert. Wenn wir uns über etwas stark ärgern, steigt demnach in den zwei Stunden danach das Risiko, einen Infarkt oder Schlaganfall zu erleiden. Dass jemand sich aufregt, sich ans Herz fasst und umkippt, ist also kein Klischee aus der Fernsehserie »Die Schwarzwaldklinik«. 

Vor allem sind Menschen gefährdet, die regelmäßig auf 180 sind. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest eine schwedische Studie, an der fast 50 000 Erwachsene im Alter von 56 bis 94 Jahren teilnahmen. Sie gaben in einem Fragebogen an, wie oft sie starken Ärger verspürten. Neun Jahre später wurde erfasst, wer von den Versuchspersonen in dieser Zeit kardiovaskulär erkrankt oder an einer solchen Erkrankung verstorben war. Besonders häufig betraf das diejenigen, die angekreuzt hatten, sich mindestens einmal in der Woche zu ärgern – ihr Risiko war um fast ein Viertel erhöht.

Der Körper reagiert innerhalb von Sekunden

Die ersten Effekte negativer Emotionen auf Blutdruck, Gefäße und Herz lassen sich schon nach wenigen Sekunden beobachten. Sie verschwinden normalerweise aber auch schnell: Die Gefäße weiten sich wieder, der Puls wird langsamer, der Blutdruck sinkt. Immer wiederkehrender emotionaler Stress kann die Adern jedoch nachhaltig schädigen. Er trägt vermutlich zur Bildung der schon oben erwähnten arteriosklerotischen Plaques bei – jener Einlagerungen, die bei einem Blutdruckanstieg einreißen und dann Gefäßverschlüsse hervorrufen können.

Plaques entstehen dadurch, dass Cholesterin (genauer gesagt seine Transportform LDL-Cholesterin) in der Gefäßwand deponiert wird. Dabei kommt es zu einer Entzündungsreaktion. Als Folge wandern Fresszellen des Immunsystems zu den betroffenen Stellen und nehmen das LDL-Cholesterin auf. Sie verwandeln sich dabei in sogenannte Schaumzellen, die die Entzündung noch verstärken und so weitere Fresszellen anlocken. »Durch diesen Teufelskreis wächst die Plaque weiter und weiter, wodurch sich das Gefäß zunehmend verengt«, erklärt Christoph Herrmann-Lingen.

Doch welche Rolle spielt das emotionale Erleben für die Herzgesundheit? Dieser Frage sind Fachleute aus den USA 2017 in einer Langzeitstudie nachgegangen. Darin werteten sie Hirnscanner-Daten von fast 300 Frauen und Männern aus. Sie konzentrierten sich dabei auf eine Hirnregion, die eine wichtige Rolle beim Verarbeiten von Gefühlen spielt: den sogenannten Mandelkern, fachsprachlich Amygdala. Die kirschkerngroße Struktur sorgt beispielsweise dafür, dass uns beim Anblick einer Schlange die Furcht packt oder dass wir beim Tod eines nahen Menschen trauern.

In den dreieinhalb Jahren nach Studienstart bekamen 22 Versuchspersonen eine Herz-Kreislauf-Erkrankung. Besonders oft waren Probandinnen und Probanden betroffen, die anfangs eine hohe Amygdala-Aktivität aufwiesen. Je aktiver die Region war, desto größer war das Risiko. Gleichzeitig wiesen Laboruntersuchungen bei dieser Gruppe auf eine gesteigerte Stoffwechselaktivität im Knochenmark hin. Dort bilden sich unter anderem die Vorläufer der Fresszellen – jener Immunzellen, die eine so wichtige Rolle bei der Entstehung der Arteriosklerose spielen. Dazu passt, dass bei den Betroffenen auch die Werte für arterielle Entzündungen erhöht waren.

Eine Aktivierung des Mandelkerns scheint demnach das Immunsystem zu stimulieren und so Entzündungsreaktionen zu verstärken. Menschen, bei denen die Amygdala ständig überdurchschnittlich stark erregt ist, entwickeln daher vermutlich häufiger eine Arteriosklerose und als Konsequenz auch öfter Herzprobleme. Das kann etwa passieren, wenn man schnell genervt ist und sich ständig über Kleinigkeiten maßlos aufregt. In der Fachwelt spricht man in diesem Zusammenhang auch von »hostility«, also Feindseligkeit. Sie ist eine Komponente des »Typ-A-Verhaltensmusters«.

Hibbelige Herzpatienten

Der Begriff geht auf die US-Kardiologen Ray Rosenman und Meyer Friedman zurück. Einer Anekdote zufolge hatte Rosenman einen Polsterer beauftragt, die Stühle aus seinem Wartezimmer zu reparieren. Der wunderte sich darüber, dass an den Stühlen vor allem der vordere Rand abgewetzt war. Offensichtlich waren die Wartenden so hibbelig, dass sie nur auf der Kante saßen und dauernd aufsprangen. Diese Beobachtung brachte Rosenman angeblich dazu, darüber nachzudenken, mit welcher Sorte Mensch er es eigentlich zu tun hatte. Kennzeichnend für Menschen vom Typ A ist laut Rosenman und Friedman unter anderem ihr großer Ehrgeiz. Zudem stehen sie permanent unter Zeitdruck: Sie essen im Stehen, haben ständig die nächste Deadline im Blick, sind ungeduldig, lassen andere nicht ausreden.

Inzwischen gilt allerdings als widerlegt, dass diese beiden Faktoren das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen. Für die dritte Komponente, die oben erwähnte Reizbarkeit oder Feindseligkeit, scheint das dagegen tatsächlich zuzutreffen. Auch chronische Angst kann das Herz wohl schädigen. Laut diversen Studien haben Betroffene ein erhöhtes Risiko, kardiovaskulär zu erkranken. Außerdem sind bei ihnen häufig verschiedene Entzündungsmarker im Blut erhöht, und ihre Gefäßwände sind geschädigt. Beides passt gut zu den Ergebnissen der Amygdala-Studie, zumal der Mandelkern gerade bei der Verarbeitung von Furchtreizen eine zentrale Rolle spielt.

»Faktoren wie Zufriedenheit, Optimismus oder ein sinnvolles Leben tragen dazu bei, dass das Risiko für eine kardiovaskuläre Erkrankung sinkt«Julia Boehm, Psychologin

Die schädliche Wirkung negativer Emotionen ist mittlerweile also gut belegt. Doch wie steht es mit positiven Gefühlen? Haben glückliche, zufriedene Menschen gesündere Gefäße? Erleiden sie seltener einen Infarkt oder Schlaganfall? Seit der Jahrtausendwende ist diese Frage zunehmend in den Blick der Forschung geraten – auch dank Julia Boehm: Die Psychologin an der Chapman University im kalifornischen Irvine untersucht seit fast zwei Jahrzehnten den Zusammenhang zwischen psychischem Wohlbefinden und Gesundheit. Darunter versteht sie nicht nur Gefühle wie Freude oder Glück, sondern auch andere Aspekte. Zum Beispiel Optimismus sowie den Eindruck, dass das Leben sinnerfüllt ist und man selbst die Weichen stellen kann, außerdem generell Zufriedenheit mit den Lebensumständen. All diese Faktoren hängen ein Stück weit zusammen. Man kann aber beispielsweise seinen Beruf als erfüllend und sinnvoll empfinden, ohne sich gleichzeitig ausgesprochen glücklich zu fühlen. »Psychologisches Wohlbefinden hat viele Facetten, und positive Emotionen sind nur ein Teil davon«, betont die Wissenschaftlerin.

Wie wirkt sich all das auf Herz und Kreislauf aus? Boehm hat dazu im Jahr 2011 zusammen mit Kollegen und Kolleginnen eine Langzeitstudie veröffentlicht. Testpersonen waren fast 8000 Angestellte des Öffentlichen Dienstes in Großbritannien. Sie beantworteten zu Beginn der Studie eine Reihe von Fragen, die Rückschlüsse auf ihr Wohlbefinden erlaubten: Wie oft waren Sie in den letzten vier Wochen glücklich? Haben Sie das Gefühl, dass Ihr Leben eine Richtung und einen Zweck hat? Wie sehr rechnen Sie damit, in den kommenden Jahren deutlich mehr positive als negative Erfahrungen zu machen? In den fünf Jahren nach der Eingangsbefragung erlitten 291 Teilnehmer einen Angina-pectoris-Anfall oder einen Herzinfarkt. Personen mit hohen Wohlfühlwerten waren deutlich seltener unter den Betroffenen.

Optimismus als Schutzschild

Wer häufiger Ärger, Angst oder Stress verspürt, wird sein Kreuzchen im Wellbeing-Fragebogen wohl eher bei niedrigeren Werten machen. Doch vielleicht ist gar nicht psychisches Wohlbefinden gut fürs Herz, sondern stattdessen das Fehlen negativer Emotionen, das die Schutzwirkung hervorruft? Dieser Effekt spiele sicher mit hinein, meint Boehm. »Dennoch lassen sich die Assoziationen, die wir finden, nicht allein dadurch erklären«, betont sie. »Faktoren wie Zufriedenheit, Optimismus oder ein sinnvolles Leben tragen ganz unabhängig davon dazu bei, dass das Risiko für eine kardiovaskuläre Erkrankung sinkt.«

Worauf ist die Schutzwirkung zurückzuführen? Ist dafür tatsächlich ausschlaggebend, wie wohl man sich in seiner Haut fühlt? Oder liegt es an etwas anderem – etwa daran, dass Menschen, die mit sich und mit ihrem Leben zufrieden sind, gesündere Verhaltensweisen an den Tag legen? »Menschen mit hohen Wellbeing-Werten rauchen zum Beispiel seltener, sind körperlich aktiver, essen mehr Früchte und Gemüse und haben mehr Sozialkontakte«, erklärt Boehm. Die Forscherinnen und Forscher haben diese Einflüsse aus ihren Ergebnissen herausgerechnet, ebenso wie biologische Faktoren wie Blutdruck oder Cholesterinspiegel. Dennoch blieben die Ergebnisse nahezu unverändert.

Gerade ein intaktes soziales Netzwerk ist für ein gesundes Herz-Kreislauf-System offenbar ausgesprochen wichtig. Womöglich spielen bei dieser Beobachtung wieder Entzündungsprozesse eine wichtige Rolle. »Wenn unsere Vorfahren auf sich gestellt waren, waren sie viel größeren Gefahren ausgesetzt als in der Gruppe«, erklärt Christoph Herrmann-Lingen. »Es gibt Hinweise darauf, dass unser Immunsystem darauf reagiert: Wenn wir uns einsam fühlen, werden genetische Programme angeschaltet, die uns befähigen, mit Bedrohungen besser fertigzuwerden.« Dazu gehöre zum Beispiel, dass mehr Entzündungszellen gebildet werden. Wenn durch eine Verletzung Bakterien eindringen, könne der Körper sie dann effektiver bekämpfen.

Psychologisches Wohlbefinden entfaltet seine Wirkungen demnach wahrscheinlich über ganz unterschiedliche Wege. So legen Experimente mit Mäusen nahe, dass auch das Belohnungssystem im Gehirn dabei eine wichtige Rolle spielen könnte. In einer Studie stimulierten Fachleute aus Israel Nervenzellen, die zu diesem wichtigen neuronalen Schaltkreis gehören. Die Nager erholten sich daraufhin besser von einem Infarkt. Verantwortlich dafür war vermutlich unter anderem ein Protein, das in der Leber gebildet wird und für die Reparatur von Gewebeschäden wichtig ist. Gänzlich geklärt sind die Zusammenhänge aber noch nicht.

Eine Frage der Bewertung

Immer klarer wird jedoch, dass sich der Einfluss von Emotionen auf Herz und Gefäße auch nutzen lässt. Schlüssel dazu sind psychologische Behandlungsansätze, die auf den Abbau von Ängsten, Depressionen und Stress sowie eine größere Gelassenheit abzielen. Studien zufolge senken sie bei Patienten und Patientinnen nach einem Herzinfarkt oder einer Bypass-Operation das Risiko, an Herz-Kreislauf-Versagen zu versterben. »Dazu muss den Betroffenen jedoch zuallererst bewusst werden, dass ihre Einstellung ein Teil des Problems ist«, betont der Psychologe Stefan Salzmann von der Universität Marburg. »Und dann müssen sie auch noch bereit sein, Energie zu investieren, um etwas daran zu ändern.«

Möglichkeiten dafür gibt es viele. Etwa nicht ständig auf dem Smartphone durch die vielen Katastrophenmeldungen aus aller Welt zu scrollen, sondern sich darauf zu besinnen, worauf man selbst Einfluss hat: bei der Wahl seine Stimme abzugeben, sich für ein wichtiges Projekt in der Gemeinde zu engagieren oder etwas für den Umweltschutz zu tun. »Oft entstehen negative Emotionen auch durch die Art und Weise, wie ich eine Situation bewerte«, sagt Salzmann. »Wenn mich der Kollege nicht grüßt, muss das nicht bedeuten, dass er sauer auf mich ist – worauf ich dann selbst verärgert reagiere –, sondern er war vielleicht einfach in Gedanken.« Das sei ein Beispiel für automatische Denkmuster, an denen man arbeiten könne. Langfristig lerne man dadurch, Situationen entspannter zu sehen.

Ein anderer Ansatz ist es, negative Emotionen einfach hinzunehmen und ihnen damit weniger Gewicht zu geben: Okay, da habe ich halt etwas zu gereizt reagiert, was soll's. »Im Alltag haben wir oft den Eindruck, wir müssten immer besser werden und alle Aspekte unseres Lebens optimieren, auch unsere Gefühle«, erklärt der Marburger Psychologe. »Das kann zusätzlichen Stress bedeuten.« Durch Akzeptanz und Achtsamkeit könne man dieser Falle ein Stück weit entgehen. Entspannungstechniken seien ein weiterer hilfreicher Baustein auf dem Weg zu mehr Gelassenheit.

Pläne schmieden für eine schnellere Genesung

Lange Jahre haben sich Psychotherapien vor allem darauf fokussiert, vermeintliche Defizite auszugleichen. Inzwischen gibt es jedoch mehr und mehr Interventionen, die die Stärkung positiver Emotionen in den Blick nehmen. Durchaus mit Erfolg, wie etwa eine Studie aus dem Jahr 2017 zeigt, an der auch Stefan Salzmann beteiligt war. Testpersonen waren insgesamt 124 Bypass-Patientinnen und -Patienten. Ein Teil von ihnen erhielt ein spezielles präoperatives Gesprächsangebot. Darin wurden die Betroffenen ermuntert, Erwartungen für die Zeit nach der Operation zu formulieren. Sie sollten zum Beispiel detaillierte Pläne schmieden, wie sie wieder ihren Hobbys nachgehen würden. Eine Vergleichsgruppe erhielt zwar ebenfalls psychologische Unterstützung, fokussierte sich aber nicht auf die erhofften Verbesserungen nach dem Eingriff.

»Tatsächlich konnten wir bei den Patientinnen und Patienten aus der Erwartungsgruppe sechs Monate später einen positiven Effekt feststellen«, erklärt Salzmann. »Sie waren beispielsweise weniger durch ihre Krankheit beeinträchtigt als die Vergleichsgruppe und gaben an, eine höhere Lebensqualität zu haben.« Zudem fanden die Fachleute Hinweise darauf, dass die Entzündungsaktivität im Körper geringer war. Salzmann führt momentan zusammen mit Kollegen und Kolleginnen eine größere Anschlussstudie durch, um diese Ergebnisse zu erhärten.

Optimismus scheint also eine gute Medizin zu sein. Es ist daher sicher bei vielen körperlichen Erkrankungen sinnvoll, nicht nur Medikamente oder Chirurgie zu bemühen, sondern flankierend auch psychologische Faktoren in den Blick zu nehmen. Der gleichen Ansicht ist die kalifornische Psychologin Julia Boehm. Allerdings warnt sie zugleich vor zu hoch gesteckten Erwartungen: »Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wird durch viele Faktoren beeinflusst – Erbanlagen, Ernährung, Verhalten. Psychologisches Wohlbefinden und negative Emotionen sind daher nur zwei Teile eines viel größeren Puzzles.«

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  • Quellen

Ajoolabady, A. et al., Cell Death & Disease 10.1038/s41419–024–07166–8, 2024

Boehm, J. K. et al., Health Psychology 10.1037/a0023124, 2011

Gordan, R. et al., World Journal of Cardiology 10.4330/wjc.v7.i4.204, 2015

Tawakol, A. et al., The Lancet 10.1016/S0140–6736(16)31714–7, 2017

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