Wahrnehmung: Lassen Sie sich nicht täuschen!

Optische Täuschungen machen Spaß und führen praktisch jeden hinters Licht. Aber haben Sie sich jemals gefragt, ob man lernen kann, nicht auf die Illusionen hereinzufallen? Unsere neuesten Forschungsergebnisse legen nahe, dass das möglich ist. Zunächst einmal sagen optische Täuschungen viel darüber aus, wie wir Menschen Dinge wahrnehmen. Schauen Sie sich etwa das Bild oben an.
Die beiden pinkfarbenen Kreise sind identisch, aber der rechte wirkt größer. Warum? Das liegt daran, dass wir den Kontext einbeziehen, um zu verstehen, was wir da sehen. Etwas, das von kleineren Dingen umgeben ist, ist in der Regel ziemlich groß. Unser visuelles System berücksichtigt solche Informationen und beurteilt daher den pinkfarbenen Kreis auf der rechten Seite als größer als den auf der linken. Diese Illusion hat der deutsche Psychologe Hermann Ebbinghaus bereits im 19. Jahrhundert entdeckt. Seitdem untersuchen Psychologinnen und Psychologen diese und ähnliche geometrische Täuschungen.
Wie sehr Sie sich täuschen lassen, hängt davon ab, wer Sie sind. Frauen sind zum Beispiel anfälliger für optische Täuschungen als Männer – sie sehen die Dinge eher im Kontext. Kleinkinder lassen sich nicht täuschen. Für ein fünfjähriges Kind sehen die beiden pinkfarbenen Kreise gleich groß aus. Denn es braucht Zeit, um zu lernen, wie man Kontexthinweise interpretiert.
Auch psychische Störungen wirken sich auf die Wahrnehmung von optischen Illusionen aus. Menschen mit Autismus oder Schizophrenie erliegen ihnen seltener, weil sie dazu neigen, dem zentralen Kreis mehr Aufmerksamkeit zu schenken und den umgebenden Kreisen weniger.
Die Kultur, in der Sie aufgewachsen sind, beeinflusst ebenfalls, wie sehr Sie den Kontext beachten. Untersuchungen haben ergeben, dass Menschen in Ostasien ganzheitlicher wahrnehmen und dabei mehr Teile des Ganzen berücksichtigen. Wir im Westen nehmen die Umgebung hingegen analytischer wahr und konzentrieren uns eher auf zentrale Objekte. Diese Unterschiede lassen vermuten, dass die Menschen in Ostasien anfälliger für Illusionen sind. Und tatsächlich werden Japaner offenbar viel eher als Briten von dieser Art Bilder getäuscht, wie eine Studie zeigte.
Solche Unterschiede können allerdings auch von der Umgebung abhängen. Japaner leben in der Regel in Städten, und dort ist es wichtiger, Größenverhältnisse von Objekten richtig einzuschätzen. Das erfordert wiederum, mehr auf die Umgebung zu achten. Mitglieder des nomadischen Himba-Stamms in der fast unbewohnten namibischen Wüste lassen sich dagegen von der obigen Ebbinghaus-Illusion nicht täuschen.
Psychologen: Sensibel für den Kontext
Dass optische Täuschungen von Geschlecht und Alter abhängen, von Kultur und von psychischen Störungen: All das ist bereits lange bekannt. Allerdings wusste die Wissenschaft bisher nicht, ob Menschen ihre Wahrnehmung so verändern können, dass die Illusionen bei ihnen nicht wirken.
Ein Hinweis darauf kam aus einer unserer früheren Arbeiten: Darin verglichen wir, wie Mathematiker und Sozialwissenschaftler Illusionen wahrnehmen. (Da wir an Universitäten arbeiten, liegt es nahe, die eigenen Kollegen zu untersuchen.) Es zeigte sich, dass Sozialwissenschaftler, zum Beispiel Psychologen, optischen Täuschungen stärker erlagen.
Als Sozialwissenschaftler müssen wir viele Faktoren berücksichtigen. Vielleicht macht uns das mit der Zeit sensibler für den Kontext und verändert die Art und Weise, wie wir Dinge betrachten. Aber umgekehrt könnte es ebenso sein, dass die Studienfachwahl mit der visuellen Wahrnehmung zusammenhängt. Einer von uns (Martin Doherty) studierte zunächst Physik; seinen Abschluss machte er aber schließlich in Psychologie. Zufälligerweise ist seine Wahrnehmung von Illusionen viel stärker ausgeprägt als üblich!
Radiologen: Blick fürs Detail
Bislang waren Forschende der Meinung, man habe keinen Einfluss darauf, ob man sich optisch täuschen lässt oder nicht. Unsere aktuelle Forschung stellt diese Ansicht jedoch in Frage. Radiologen etwa müssen in der Lage sein, auf Bildern schnell das Wichtigste zu erkennen. Dazu müssen sie oft bestimmte Details auf den Aufnahmen ignorieren – eine Fähigkeit, die sie ausgiebig trainieren. Lassen sie sich daher weniger durch Illusionen täuschen?
Das ist tatsächlich der Fall, wie wir festgestellt haben. In einer Studie haben wir 44 Radiologinnen und Radiologen mit mehr als 100 Studierenden aus der Psychologie und der Medizin verglichen. Unten sehen Sie eines unserer Bilder, das wir in den Experimenten verwendet haben. Der linke pinkfarbene Kreis ist sechs Prozent kleiner als der auf der rechten Seite. Die meisten Probandinnen und Probanden schätzten ihn jedoch als größer ein.
Nun ein zweites Bild aus der Studie: Die Mehrheit der Nichtradiologen sah das linke Bild immer noch als größer an – dabei ist es zehn Prozent kleiner. Die meisten Radiologen dagegen lagen mit ihrer Einschätzung richtig.
Erst als der Unterschied fast 18 Prozent betrug, wie im dritten Bild, durchschauten auch die meisten Nichtradiologen die Illusion.
Radiologinnen und Radiologen sind zwar nicht völlig immun gegen die optische Täuschung, aber viel weniger anfällig dafür. Wir haben auch Ärztinnen und Ärzte getestet, die gerade erst mit ihrer radiologischen Ausbildung begonnen hatten. Im Schnitt ließen sie sich von den optischen Illusionen ähnlich oft täuschen wie Nichtradiologinnen und -radiologen. Das legt nahe, dass die geringere Anfälligkeit für optische Täuschungen das Ergebnis der Ausbildung ist.
Doch gemäß heutiger Theorien über Fachwissen sollte das eigentlich nicht möglich sein. Schachprofis etwa werden dank Übung besser im Schachspielen, aber in nichts anderem. Unsere Ergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass man durch die Ausbildung in der medizinischen Bildanalyse besser darin wird, manchen optischen Täuschungen zu entgehen.
Es gibt also noch viel zu erforschen. Besonders faszinierend wäre, wenn Mediziner ihre radiologische Expertise verbessern könnten, indem sie mit optischen Illusionen trainieren. Und wie können Sie lernen, optische Täuschungen zu durchschauen? Ganz einfach. Fünf Jahre Medizinstudium und dann sieben weitere Jahre Radiologieausbildung genügen.

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