Tierverhalten: Orang-Utans kompensieren Schlafmangel mit längeren Nickerchen

Orang-Utans haben eine ähnliche Strategie wie wir, mit schlechtem Nachschlaf umzugehen: Sie machen tagsüber längere Nickerchen. Das berichtet eine Forschungsgruppe um Alison Ashbury vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie (MPI-AB) in Konstanz. Das Team hat wild lebende Orang-Utans im indonesischen Regenwald auf Sumatra beobachtet. Die Fachleute sammelten Daten von 53 erwachsenen Tieren über einen Zeitraum von 14 Jahren hinweg.
Wilde Orang-Utans schlafen in nestähnlichen Bauten, die sie hoch oben im Blätterdach aus Ästen flechten und mit Blättern polstern, was in der Regel um die zehn Minuten dauert. Meist schlummern sie allein, außer Muttertieren, die sich das Nest mit ihren säugenden Jungen teilen. Im Morgengrauen verlassen sie das Ruhelager, um den Tag zu beginnen.
Dieses Verhalten macht es nicht ganz einfach, die Tiere beim Schlafen zu beobachten. »Vom Boden aus können wir Orang-Utans in ihren nächtlichen Nestern normalerweise nicht sehen, aber wir können sie hören«, erläutert Caroline Schuppli vom MPI-AB, die an der Studie mitwirkte, in einer Pressemitteilung. Während der Nachtzeit werden die Tiere ruhig, was den Fachleuten als Anzeichen für Inaktivität diente. Laut den gesammelten Daten dauerten die nächtlichen Ruhephasen der Orang-Utans im Schnitt fast 13 Stunden. Frühere Forschungsarbeiten hatten bereits gezeigt, dass die Tiere den Großteil davon tatsächlich schlafend verbringen.
Wenn Orang-Utans in der Nähe von Artgenossen lagern, schlafen sie nachts oft weniger – warum, ist nicht ganz klar. Möglicherweise ziehen sie soziales Zusammensein dem Schlummer vor, oder sie stören sich gegenseitig bei der Nachtruhe, oder beides. Deutlich ist aber der Kompensationseffekt, den die Forschungsgruppe beobachtet hat: Wenn die Tiere nachts relativ wenig geschlafen hatten, machten sie längere Tagesnickerchen. Für jede Stunde des verlorenen Nachtschlummers schliefen sie dann tagsüber fünf bis zehn Minuten mehr. »Es ist möglich, dass diese Nickerchen den Orang-Utans helfen, sich physiologisch und kognitiv nach einer schlechten Nachtruhe wieder zu erholen, genau wie bei uns Menschen«, vermutet Mitautorin Meg Crofoot vom MPI-AB.
Die Orang-Utans der untersuchten Population bauen relativ oft »Tagesnester«, die sie meist in weniger als zwei Minuten flechten, also deutlich schneller als Nachtlager. Dennoch sind die Tagesnester hinreichend stabil und sicher zum Ausruhen, wovon die Tiere häufig Gebrauch machten: An mehr als 40 Prozent der Beobachtungstage hielten sie mindestens ein Nickerchen. Die Population ist bekannt dafür, Werkzeuge zu gebrauchen und kognitiv anspruchsvolle Verhaltensweisen zu zeigen – Eigenschaften, die möglicherweise robuste Mechanismen zum Kompensieren von Schlafmangel erfordern. »Entweder brauchen die Tiere diese hochwertigen Nickerchen, um ihren kognitiven Anforderungen gerecht zu werden, oder ihre Fähigkeiten kommen dadurch zu Stande, dass sie so oft hochwertige Nickerchen in Tagesnestern machen«, sagt Schuppli.
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