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News: Organische Quantenchemie

Die Quantenmechanik ist mehr als eine Gedankenspielerei oder ein theoretisches Konstrukt. Sie beeinflusst unsere Welt stärker, als den meisten Menschen bewusst ist – und macht erst recht nicht vor der Chemie halt.
Tunneleffekt
Eigentlich grenzt es an Schummelei: Da steht ein Teilchen vor einem Hindernis, und obwohl es eigentlich nicht genug Energie hat, dieses zu überwinden, befindet es sich plötzlich, einfach so, auf der anderen Seite, als ob die Barriere nie existiert hätte.

Tunneln nennt man diesen Effekt, der ganz und gar dem gesunden Menschenverstand widerspricht, aber in der Quantenwelt gang und gäbe ist. Sogar bei chemischen Reaktionen bewegen sich die beteiligten Atome manchmal mittels Tunneln von Ort zu Ort – wenn sie klein genug sind und die Barriere nicht zu hoch ist. Deswegen hat man solche Effekte bisher auch nur bei sehr kleinen Atomen wie zum Beispiel Wasserstoff nachgewiesen.

Kohlenstoff dagegen, der immerhin zwölfmal schwerer ist als Wasserstoff, stellt da schon ein ganz anderes Kaliber dar. Aber genau dieses Atom wollten Peter Zuev und seinen Kollegen von der University of Nevada, Minnesota und Washington sozusagen in flagranti beim Tunneln ertappen.

Als geeignete Falle stellten sie dazu das Molekül 1-Methylcyclobutylfluorocarben her. Dieses besteht im Wesentlichen aus einem Ring mit vier Kohlenstoffatomen, an dem eine Methyl-Gruppe und eine kurze Kette aus einem Kohlenstoff- und einem Fluor-Atom hängen.

Unter geeigneten Umständen reiht sich das Kohlenstoffatom, welches sich außerhalb des Vierer-Rings befindet, in den Reigen ein, und es entsteht Cyclopenten. Für diesen Vorgang wird aber nach den Gesetzen der klassischen Physik Energie benötigt. Es sei denn, das Atom nutzt den quantenmechanischen Tunneleffekt und umgeht damit die Energiebarriere.

Um dieses Hindernis dabei möglichst auf konventionellem Weg unüberwindbar zu machen, kühlten die Wissenschaftler die Moleküle auf acht Kelvin ab, wobei sie als Lösungsmittel flüssigen Stickstoff und Argon verwendeten. Bei dieser extrem kalten Temperatur befindet sich das Ringmolekül im niedrigst möglichen Quantenzustand, und das anhängende Kohlenstoffatom dürfte eigentlich nicht genügend Energie haben, um die Distanz zum Ring zu überwinden.

Dennoch wandelten sich die Carbene nach 16 Stunden deutlich nachweisbar um. In Stickstoff wurde hierfür eine Reaktionsgeschwindigkeit von 4,0·10-6 pro Sekunde und im Argon von 4,0·10-5  pro Sekunde gemessen. Dabei kann sich das Kohlenstoffatom nur mittels Tunneln bewegt haben. Denn ohne diesen Effekt sollte die Reaktionsrate um 152 Größenordnungen kleiner sein – also praktisch null.

Damit konnten Zuev und seine Kollegen nachweisen, dass auch bei Reaktionen mit relativ großen Atomen Quanteneffekte eine Rolle spielen können. Und das wiederum bedeutet, dass selbst bei niedrigsten Temperaturen - wie sie zum Beispiel im Weltall herrschen - chemische Reaktionen mit organischen Molekülen möglich sind.

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