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Federn: Evolution eines Meisterwerks

Mit Federn schmückten sich bereits manche Dinosaurier. Doch erst bei ihren Nachfahren, den Vögeln, entwickelten sich diese biologischen Strukturen zur Perfektion und halfen, den Luftraum zu erobern.
Ein einzelner Flügel eines Vogels, der sich von links nach rechts erstreckt, vor einem schwarzen Hintergrund. Die Federn sind in einem lebhaften Rot und tiefem Schwarz gefärbt, was einen starken Kontrast erzeugt. Die Struktur der Federn ist detailliert sichtbar, wobei die unterschiedlichen Schichten und Texturen hervorgehoben werden.
Federn wie diese beim Zwergflamingo (Phoeniconaias minor) haben sich im Lauf einer hunderte von Millionen Jahren langen Evolution entwickelt.

Im Oktober 2022 stellte ein Vogel mit der Codebezeichnung B6 einen neuen Weltrekord auf, der außerhalb der Ornithologengemeinde kaum Beachtung fand. B6, eine junge Pfuhlschnepfe (Limosa lapponica), flog in elf Tagen von ihrem Brutplatz in Alaska zu ihrem Winterquartier in Tasmanien und legte dabei ohne eine einzige Pause rund 13 500 Kilometer zurück. Zum Vergleich: Nur wenige Passagierflugzeuge, wie die Boeing 777 mit einer Tragflächenspannweite von über 60 Metern und einem der stärksten Düsentriebwerke der Welt, schaffen nonstop ein solche Strecke. B6 – ein Tier, das bequem auf der Schulter eines Menschen Platz nehmen könnte – landete auf dem Weg zur gegenüberliegenden Seite des Planeten nicht, fraß nicht, trank nicht und hörte niemals auf zu flattern, wobei es rund um die Uhr eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 50 Kilometer pro Stunde beibehielt.

Zu dieser erstaunlichen sportlichen Leistung trugen zahlreiche Faktoren bei, darunter Muskelkraft und ein hoher Stoffwechselumsatz. Die Weltreise von B6 beruht aber auch auf den bemerkenswerten mechanischen Eigenschaften einer der bekanntesten und doch rätselhaftesten Strukturen in der Biologie: Federn. Sie wärmten B6 auf seinem nächtlichen Flug über dem Pazifik, schützten den Vogel unterwegs vor Regen und bildeten die Tragflächen, die ihn in der Luft hielten und nahezu 250 Stunden lang vorwärtstrieben, ohne ihren Dienst zu versagen.

Weltenbummler | Pfuhlschnepfen (Limosa lapponica) gehören zu den ausdauerndsten Langstreckenfliegern der Vogelwelt. Jahr für Jahr legen sie auf ihrem Zug zum Teil über 10 000 Kilometer zurück.

Da Vogelfedern schon seit Langem bewundert, genutzt und erforscht werden, sollte man meinen, dass wir mittlerweile alle ihre Geheimnisse kennen. Und doch kristallisieren sich immer neue Erkenntnisse über diese zauberhaften Gebilde heraus: von ihrem evolutionären Ursprung bis hin zu ihrem Wachstum, ihrer Entwicklung und ihrer Aerodynamik.

Gefiederte Saurier

Unter allen Lebewesen, mit denen wir heute unseren Planeten teilen, besitzen nur die Vögel ein Gefieder. Deshalb erscheint es durchaus nachvollziehbar, dass Federn jahrhundertelang als einzigartiges Merkmal dieser Wirbeltierklasse galten. Eine Reihe bahnbrechender Fossilfunde machte jedoch seit den 1990er Jahren klar, dass sie bereits zuvor weit verbreitet waren: bei mehreren Abstammungslinien der Theropoden, den auf zwei Beinen laufenden, fleischfressenden Dinosauriern. Die Vögel haben diese Gebilde dann von ihren Theropoden-Ahnen geerbt. Aufgrund der Entdeckung von gefiederten Dinosauriern begannen die Forscher, den Ursprung und die Evolution der Federn sowie insbesondere ihre Bedeutung für die Anfänge der Flugfähigkeit genauer aufzuklären. Heute wissen wir, dass nicht nur etliche Dinosaurier Federn besaßen; Vorstufen davon lassen sich sogar vermutlich bis zum gemeinsamen Vorfahren der Dinosaurier und ihren fliegenden Vettern, den Pterosauriern, zurückverfolgen (siehe »Gefiederte Flugsaurier«, »Spektrum« Oktober 2022, S. 24). Borsten, eine flauschige Körperbedeckung und andere relativ einfache, federähnliche Strukturen zierten wohl eine ganze Schar verschiedener Saurier – bei Weitem nicht nur jene, die wir durch glückliche Zufälle als Fossilien gefunden haben.

Das Gefieder der Nichtvogeldinosaurier beschränkte sich aber nicht nur auf Borsten und Flausch. Die flachen, breiten Federn, die das Fliegen ermöglichen und die wir an den Flügeln sowie anderen Körperteilen der heutigen Vögel beobachten, bezeichnet man als Konturfedern. Und auch diese tauchten bereits auf, bevor es Vögel gab. Eine ganze Gruppe von Dinosauriern, zu der sowohl die Vögel als auch Arten wie Velociraptor gehören, bezieht sogar ihren Namen von dem lateinischen Wort »penna« für Feder: die Pennaraptora. An Fossilien früher Vertreter jener Gruppe entdeckte man ein Federkleid, das auf den ersten Blick nahezu modern aussieht.

Die Flugfähigkeit der frühen Pennaraptoren blieb heftig umstritten. Manche Arten flogen ganz offensichtlich nicht, wie ihre im Verhältnis zur Körpergröße winzigen »Flügel« verraten. Diesen Tieren dienten die Konturfedern vermutlich nur zum Imponiergehabe. Andere Pennaraptoren jedoch, darunter der kleine, mit vier Flügeln ausgestattete Waldbewohner Microraptor, lassen sich nicht so einfach deuten. Viele Diskussionen um ihre Flugleistung drehten sich um die Asymmetrie der Federfahnen, also der beiden flachen Abschnitte einer Feder beiderseits des Mittelschafts. Bei heutigen Vögeln zeichnen sich die am Mittelhandknochen ansetzenden Handschwingen durch asymmetrische Fahnen aus: Die Außenfahne ist schmaler als die Innenfahne. Man könnte also vermuten, dass eine solche Asymmetrie für das Fliegen wichtig war. Und da Fossilien von Microraptor und seinen Verwandten ebenfalls asymmetrische Federn besaßen, vertreten manche Fachleute die Ansicht, dass diese Tiere offensichtlich fliegen konnten.

Fahnensymmetrie | Schwungfedern eines Vogelflügels weisen eine typische Asymmetrie auf: Die Außenfahne ist deutlich schmaler als die Innenfahne (oben). Dagegen sind die Deckfedern, die der Wärmeisolation dienen, symmetrisch aufgebaut (unten).
Aerodynamisch asymmetrisch | Eine Schwungfeder erweist sich als aerodynamisch günstig gebaut, wenn ihre Innenfahne mindestens dreimal breiter ist als ihre Außenfahne.

Neuere Untersuchungen durch Experten für die Biomechanik des Flugs einschließlich meiner selbst haben derartige Vorstellungen von der Federfahnenasymmetrie revidiert. Wie unsere Forschungsarbeiten zeigten, hat sich die Form der Federn vor allem so optimiert, dass sie sich auf raffinierte Weise verdrehen und biegen können, was die Flugleistung erheblich verbessert. Die anatomische Asymmetrie als solche hat nicht viel zu bedeuten. Wichtiger ist vielmehr, dass die Feder aerodynamisch asymmetrisch ist, und dazu muss die innere Fahne mindestens dreimal breiter sein als die äußere. Ist das Verhältnis kleiner, verdreht sich die Feder so, dass der Flug destabilisiert wird.

Der aktive Schlagflug ist während der Evolution der Dinosaurier vermutlich mehrere Mal entstanden

Frühe Pennaraptoren wie Microraptor besaßen keine aerodynamisch asymmetrischen Federn. Das heißt aber nicht, dass sie nicht fliegen konnten. Das Verdrehen spielt nur dann eine Rolle, wenn die Abstände zwischen den Federn dazu groß genug sind. An der Flügelspitze dicht nebeneinanderstehende und sich überlappende Federn bleiben auch ohne Asymmetrie stabil. Wichtig wird sie erst, wenn das Tier seine Handschwingen im Flug auseinanderspreizt, wie es viele heutige Greifvögel tun. Microraptor und seine Verwandten waren also vermutlich zum Flatterflug in der Lage, aber ihre Flügel hatten zwangsläufig eine andere Form als die Schwingen heutiger waldbewohnender Greifvögel. Insbesondere besaß Microraptor relativ lange, schmale Flügel, an deren Spitzen die Federn dicht und ohne Zwischenräume standen. Aerodynamisch entsprachen sie den Flügeln heutiger Habichte, anatomisch waren sie aber ganz anders gebaut.

Flügelspreizung | Greifvögel verbessern mit auseinandergespreizten Handschwingen die Segeleigenschaften.

Aufgrund dieser Befunde sowie neuer Daten über die Flugmuskulatur der den Vögeln nahestehenden Dinosaurier kam eine wissenschaftliche Arbeitsgruppe (in der ich als Biophysiker teilnahm) unter Leitung von Michael Pittman von der Chinesischen Universität Hongkong 2020 zu dem Schluss, dass der aktive Flug – also der Schlagflug im Gegensatz zum Gleitflug – während der Evolution der Dinosaurier vermutlich mehrere Mal entstanden ist. Allerdings blieb lediglich eine einzige derartige Abstammungslinie in Form der heutigen Vögel erhalten. Nur bei diesen erlangten die Federn den Grad der Formveränderung, die wir heute beobachten. Ihre Fähigkeit, sich genau auf die richtige Weise zu verdrehen, machte das Fliegen bei geringer Geschwindigkeit viel effizienter. Denn ein Flügel mit auseinandergespreizten Federn verhält sich so, als wäre er länger und schmaler, als es den anatomischen Verhältnissen entspricht. Außerdem wird die Flügelspitze dadurch widerstandsfähiger gegen einen Strömungsabriss. Hierbei trennt sich die Luftströmung vom Flügel, was zu einem plötzlichen Verlust des Auftriebs führt, der den Vogel in der Luft hält. Es handelt sich also um eine lebensnotwendige Anpassung, die eine ganze Reihe flugakrobatischer Manöver ermöglicht.

Manövriermeister | Das in Nordamerika heimische Präriehuhn (Tympanuchus cupido) spreizt die Schwungfedern seines Flügels auseinander und erreicht so eine größere Manövrierfähigkeit.

Für einen effizienten Gleitflug brauchen Vögel in der Regel lange, schmale Flügel – Musterbeispiele liefern Seevögel wie Albatrosse oder Sturmvögel. Die neu entwickelten gespreizten Flügelspitzen ebneten den Weg für die Evolution einer Vielzahl von Gleitfliegern, die auch mit breiteren Flügeln segeln können, etwa Geier oder Habichte. Die aerodynamischen Vorteile ermöglichten ebenso die spektakulären Leistungen von Raufußhühnern und anderen Schnellfliegern, die sich meistens auf dem Erdboden aufhalten, aber rasch auffliegen und fliehen, sobald sie gestört werden. Außerdem verleihen die Schlitze an den Flügelspitzen einer Vielfalt verschiedener Vögel von Singvögeln bis hin zu Tukanen, die in Wäldern und anderen beengten Umgebungen leben, eine deutlich größere Wendigkeit. Die bessere Manövrierfähigkeit dürfte zusätzlich dazu beigetragen haben, dass die Vögel mit den Pterosauriern konkurrieren und letztlich das Massensterben am Ende der Kreidezeit überstehen konnten (siehe »Herrscher des Urzeithimmels«, »Spektrum« November 2020, S. 12).

Winddicht verhakt

Die Konturfedern, die wir mit dem Fliegen in Verbindung bringen, stellen bei Vögeln nicht den einzigen Federtyp dar. Vielmehr unterscheiden sich die Federn an verschiedenen Körperteilen in Größe, Form und Funktion. Wir finden ein breites Spektrum unterschiedlicher Formen, die von den großen, relativ steifen Konturfedern an Flügeln und Schwanz bis zu den kurzen, flauschigen, körpernahen Daunen reichen. Alle bestehen aus einem zentralen Schaft (Rhachis), von dem die weicheren Federäste ausgehen. Bei Schwungfedern greifen die Äste mittels feiner Häkchen ineinander wie die Zähne eines Klettverschlusses und bilden so die glatte, winddichte Oberfläche der Federfahnen. Die Äste der Daunen sind dagegen eher locker aufgebaut und flauschig, sodass sie Wärme besser speichern können. Viele andere Federn kombinieren verschiedene Aspekte dieser beiden Typen. So sitzen an den Spitzen der Deckfedern, die dem Vogelkörper seine Stromlinienform verleihen, sowohl miteinander verhakte Fahnen als auch Federäste, die wie bei Daunen nicht ineinandergreifen. Die Borstenfedern, die meist im Gesicht stehen und vermutlich zum Schutz und zur Sinneswahrnehmung dienen, vereinigen in sich den steifen Schaft der Konturfedern und die flauschige Basis der Daunen.

In den letzten Jahren ließ sich nach und nach aufklären, durch welchen verwickelten Prozess sich die Federn entwickeln. Wie Schuppen, Borsten und Haare stellen auch die Federn Hautanhangsgebilde dar (siehe »Mathematik des Federkleids«, »Spektrum« September 2022, S. 44). Dass sie aus Strukturen in der Haut entstehen, weiß man schon länger. Aber wie kann ein Tier an verschiedenen Körperteilen anatomisch unterschiedliche Federn hervorbringen?

Federschaft | Der Federschaft (Rhachis) ist mit einem schaumartigen, gewichtssparenden Material gefüllt.

Unter Leitung von Cheng-Ming Chuong von der University of Southern California analysierten meine Kollegen und ich die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Arten von Konturfedern und deren mechanischen Eigenschaften. Eine solche Feder beginnt als Röhre, die sich dann der Länge nach öffnet und die beiden Fahnen bildet. Mehrere Gene und Moleküle bestimmen durch ihre Wechselwirkungen untereinander und mit der Umwelt über die Verzahnung der Federäste, über die Größe und die Form des Schafts sowie über dessen schaumartige Füllung, wodurch er eine im Verhältnis zum Gewicht besondere Steifheit erhält. Wie wir feststellten, sind die Federtypen bezüglich ihrer Steifigkeit, ihrer Verwindungsfestigkeit sowie der Verteilung des Schaums im Schaft unterschiedlich spezialisiert. Die Variationen beruhen zum Teil auf unterschiedlichen Genen, zum größten Teil aber auf der Genregulation, die festlegt, wann die Erbfaktoren ein- oder ausgeschaltet werden, beziehungsweise wie aktiv sie während der Federentwicklung sind.

Gleichzeitig wuchs in der Wissenschaft aber auch das Interesse für eine andere Kategorie der Federn: das Prachtkleid, mit denen Partnerinnen angelockt werden. Es betört uns mit bunten Farben wie beim glitzernden Hals eines Kolibris oder mit auffälligen Formen wie beim Schwanz eines Pfaus. Nach der hergebrachten Lehrmeinung gelten solche Prachtgefieder als ausschließliches Produkt der sexuellen Selektion, bei der die Partnerwahl die Evolution eines Merkmals vorantreibt. Heutzutage interpretieren Fachleute auf der ganzen Welt, darunter auch ich, die Federn des Prachtkleids eher als komplexe Kompromisse zwischen den Zwängen der Sozialbiologie und der Biomechanik.

Schmuckwerk | Mit auffällig langen Federn schmücken sich die Männchen etlicher Vogelarten. Bei den Fahnen- (Caprimulgus longipennis) und den Flaggennachtsschwalben (Caprimulgus vexillarius) aus Afrika sitzen die Schaufedern an den Handschwingen, während die auf Neuguinea lebendende Stephanie-Paradieselster (Astrapia stephaniae) sowie der in Mittelamerika heimische Quetzal (Pharomachrus mocinno) verlängerte Schwanzfedern aufweisen (von links nach rechts).

Wichtig dabei ist: Die langen Federn des Prachtkleids wachsen nicht an allen Körperstellen. Am häufigsten findet man sie zwischen unterem Rücken und Schwanz, wo sie die Flugfähigkeit vergleichsweise wenig beeinträchtigen. Beim Quetzal (Pharomachrus mocinno) beispielsweise, einem kleinen, farbenfrohen Vogel in den Nebelwäldern Mexikos und Mittelamerikas, können die Schwanzfedern der Männchen während der Paarungssaison bis zu einem Meter lang werden. Das entstand vermutlich nicht ausschließlich aufgrund der sexuellen Selektion. Vieles deutet darauf hin, dass die Schwanzfedern einiger Vögel zumindest eine gewisse aerodynamische Kraft liefern, die ausreicht, um einen großen Teil der durch sie hinzukommenden Masse zu tragen. Die Schwanzdecken des Quetzals haben ihre ineinandergreifende Struktur verloren, sodass ihre Fahnen ein Mittelding zwischen Kontur- und Daunenfedern darstellen. Sie lassen einen großen Teil der Luftströmung durch, ohne viel Auftrieb zu erzeugen, und verhindern so vermutlich eine zu starke Destabilisierung. Die auffälligen Federn steigern zwar den Aufwand beim Fliegen, weil sie für zusätzlichen Luftwiderstand sorgen. Aber dieser Preis dürfte geringer sein, als man früher angenommen hatte.

Die filigrane Struktur des Prachtgefieders und insbesondere der Schwanzdecken ist möglicherweise auch feiner justiert als bislang gedacht. Der Aufbau der Federn gewährleistet ein Gleichgewicht zwischen Steifigkeit, Gewicht und Form. Die Federn müssen selbst dann, wenn sie extrem lang sind, ihre Gestalt einigermaßen beibehalten, um als auffälliges Signal zu wirken. Sie dürfen aber nicht so steif sein, dass sie den Vogel bei böigem Wind oder in engen Kurven destabilisieren. Bei einem ganz bestimmten Grad der Flexibilität kommen die Federn am besten zur Geltung, ohne die Flugleistung maßgeblich zu beeinträchtigen.

Gespenstische Stille

Zu den Aspekten an Federn, die mich schon seit Langem faszinieren, gehört ihre Anpassungsfähigkeit. Unter unterschiedlichen Bedingungen und evolutionärem Druck sind sie auf alles Mögliche optimiert: auf Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit bis hin zu Wärmeisolation oder Imponierverhalten. Einige der interessantesten derartigen Anpassungsleistungen findet man bei den Eulen.

Ein besonders auffälliges Merkmal der Eulen ist ihr Gesichtsschleier. Dieser breite, halbkreisförmige Fächer aus Federn rund um Augen und Ohren verleiht den Vögeln ihr charakteristisches Aussehen. Der Schädel einer Eule ist eigentlich recht lang und schmal, aber die Federn, die ihn einhüllen, verändern den Umriss des Tiers völlig. Der Gesichtsschleier beeinflusst nicht nur das Äußere, sondern lenkt den Schall auch bemerkenswert gut in das Gehör des Vogels. Zusammen mit den empfindlichen Strukturen von Mittel- und Innenohr vermag die Eule dadurch die Herkunft eines Geräusches so genau zu orten, dass sie ein Beutetier ansteuern kann, ohne es überhaupt zu sehen. Erst beim endgültigen Fang verlässt sie sich dann doch auf ihr Augenlicht.

Schleiereule | Der auffällige Gesichtsschleier einer Schleiereule (Tyto alba) spiegelt sich nicht im Schädelknochen wider (links), sondern beruht vielmehr auf dem Kopfgefieder (rechts).

Im Lauf der Jahre habe ich mit einer ganzen Reihe von Eulen gearbeitet, insbesondere mit Exemplaren, die nach Verletzungen gesund gepflegt wurden. Ein solches Tier konnten wir nicht freilassen, weil es durch einen Zusammenstoß mit einem Auto vollkommen erblindet war. Warf man jedoch Futter an einen seiner Sitzplätze, reichte dem Vogel das leise Geräusch aus, um genau darauf herabzustoßen.

Schalldämpfer | Dank der kammartig gezähnten Außenfahnen der vordersten Handschwingen vermag die Schleiereule ihre Beute unbemerkt im Flug zu jagen.

Aber selbst mit ihrem außergewöhnlichen Hörvermögen kämen Eulen nicht weit, wenn ihre Federn nicht einige weitere Anpassungen besäßen. Andere nachtaktive Tiere hören ebenfalls sehr gut, und einem Jäger, dessen Gefieder während des Flugs raschelt, fiele es schwer, sich seiner wachsamen Beute zu nähern. Außerdem könnte er ein leise am Boden schleichendes Beutetier nicht wahrnehmen, wenn das Rascheln der eigenen Federn die Geräusche seines Zielobjekts übertönte. Beide Probleme haben Eulen durch die Entwicklung von Merkmalen gelöst, die sie im Flug unhörbar machen.

Wie leise die Nachtjäger agieren, ist wirklich verblüffend. Selbst hochempfindliche, richtig kalibrierte und ausgerichtete Mikrofone, die man in einem schalltoten Raum auf höchste Empfindlichkeit einstellt, nehmen von einer fliegenden Eule praktisch kein Geräusch auf. Eulen sind geradezu gespenstisch lautlos: Selbst wenn sie so dicht über unseren Kopf hinwegfliegen, dass wir den Luftzug spüren, hören wir absolut nichts. In einem dunklen Raum sind sie dadurch im Grunde unauffindbar. Und die Fluggeräusche der Eulen, die man bei »Harry Potter« und in anderen Filmen hört? Wurden künstlich hinzugefügt.

Lautloser Flug der Eule | Eulen besitzen raffiniert gebaute Handschwingen, deren Federn eine kammartig gezähnte Außenfahne sowie eine flauschig ausgefranste Innenfahne aufweisen, sodass die Luft geräuschlos vorbeiströmt.

Diese Tarnung bewerkstelligen Eulen mit einigen verschiedenen Anpassungen ihres Gefieders. Zunächst einmal besitzen die Federn eine samtartige Oberfläche, die das Geräusch dämpft, das entsteht, wenn sie sich gegeneinander bewegen. Wichtiger ist aber, dass die Außenfahne der Federn an den Handschwingen eine Reihe kammähnlicher Strukturen trägt, während die Innenfahne flauschig ausgefranst ist. Der Kamm zerschneidet die Luft und ruft so genannte Mikrowirbel hervor. Solche winzigen Verwirbelungen sorgen dafür, dass die Hauptluftströmung dicht beim Flügel bleibt. Laut dem Vokabular von Aerodynamikern erzeugen die Kämme »Vortizität in der Grenzschicht«. Passiert die derart veränderte Luftströmung dann die Fransen an der Innenfahne, ergibt sich insgesamt eine Heckströmung ohne zusammenhängende lineare Druckwellen und damit auch ohne Geräusch. Anders gesagt: Bei den Wechselwirkungen zwischen Federn und Luft entstehen keine Schwingungen, die Schall erzeugen könnten.

Eulen jagen bereits seit mehr als 50 Millionen Jahren verstohlen durch den Nachthimmel

Diese Spezialisierung reicht lange in der Evolution zurück. Die heutigen Eulenvögel gliedern sich in zwei Familien: die Schleiereulen (Tytonidae) sowie die Eigentlichen Eulen (Strigidae). Ihr letzter gemeinsamer Vorfahre lebte vor mindestens 50 Millionen Jahren. Da die Vertreter beider Familien dermaßen lautlos fliegen können, entstand die Fähigkeit dazu vermutlich schon vorher. Mit anderen Worten: Eulen jagen bereits seit mehr als 50 Millionen Jahren verstohlen durch den Nachthimmel.

Hubschrauber | Die äußerst steifen Federn beim Flügel eines Kolibris wie hier beim Annakolibri (Calypte anna) unterstützen den charakteristischen Schwirrflug.

Wie nicht anders zu erwarten, findet man bei Vögeln mit extremer ökologischer Spezialisierung ein besonders angepasstes Gefieder. Federn können sich unter anderem an eine bestimmte Lebensweise adaptieren, indem ihre Steifigkeit zu- oder abnimmt. Die steifsten Formen gibt es ausgerechnet bei zwei Vogelgruppen, die sonst unterschiedlicher kaum sein könnten: Kolibris und Pinguine.

Kolibris haben sich mit sehr steifen Federn an die außerordentlich hohen Schlagfrequenzen und die ungewöhnlichen Flatterbewegungen angepasst, mit denen sie vor Blüten schweben und Nektar saugen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Vögeln können Kolibris nicht nur mit dem Abwärts-, sondern auch mit dem Aufwärtsschlag ihrer Schwingen einen beträchtlichen Auf- und Vortrieb erzielen. Dazu drehen sie die Schulter so, dass die Flügel vollständig verkippen. Damit das funktioniert, müssen sie sehr steif sein. Einen Teil der Festigkeit liefern die verstärkten Knochen im Kolibriflügel; den Rest steuern die Federn mit ihrem extrem steifen Schaft bei.

Schwirrflug des Kolibris | Kolibris erzeugen sowohl beim Ab- als auch beim Aufschlag der Flügel Auftrieb, sodass sie in der Luft stehen können.

Die flugunfähigen Pinguine haben sich dagegen an das Leben im Wasser und an Land angepasst. Ihr Gefieder ist so stark spezialisiert wie bei kaum einem anderen Vogel: Die gesamte Körperbedeckung hat sich in ein dicht gepacktes Mosaik winziger Federn verwandelt. Jede einzelne ist äußerst steif, und zusammen bilden sie über den Körper eine Oberflächenstruktur, welche die Grenzschicht des Wassers beeinflusst, wenn der Pinguin taucht. Letztlich fängt der raue Federmantel eine Wasserhülle ein und hält sie fest. Unterm Strich vermindert sich dadurch der Widerstand, sodass das Schwimmen weniger Energieaufwand erfordert. Außerdem birgt das dichte Gefieder gerade so viel Luft, dass sich ein gewisser Isoliereffekt ergibt, ohne den Pinguin nach oben zu treiben, und unterstützt damit die Fettschicht, die den Vogel warm hält.

Spezialisierte Federn des Pinguins | Die im Gefieder eines Pinguins eingeschlossene Luft isoliert den Körper. Die Federspitzen außen halten eine Grenzschicht des umgebenden Wassers fest und vermindern so den Strömungswiderstand.

Da Pinguine nicht den Beschränkungen durch das Fliegen unterliegen, konnten sie die eher typische Federausstattung ihrer Vorfahren zugunsten eines neuen Federkleids aufgeben, das den Wasserwiderstand und den Auftrieb vermindert. Diese Federn stellen einen entscheidenden Teil eines ganzen Pakets an Anpassungen dar, mit denen die Pinguine zu den unangefochtenen Meistertauchern der Vogelwelt avancierten, die auf der Suche nach Krill, Fischen und anderen Beutetieren Tiefen von mehr als 500 Metern erreichen können.

Federn stellen ein großartiges Modellsystem dar, um zu verstehen, wie komplexe Strukturen in der Evolution entstehen und wie Anatomie und Verhalten sich gegenseitig im Lauf der Zeit beeinflussen. Deshalb verwundert es nicht, dass auch die angewandte Forschung Notiz von den vielen besonderen Merkmalen der Federn genommen hat. Dies hat bereits erfolgreiche technische Innovationen ermöglicht.

So diente der Mechanismus, der die Äste der Konturfedern verbindet, als Grundlage für den Klettverschluss zur vorübergehenden Befestigung. Die schalldämpfenden Fransen der Eulenfedern führten zu leiseren Lüftungssystemen. Und die Oberflächenstruktur sowie die Prinzipien der Grenzschichtsteuerung von Pinguinfedern inspirierten Robotertechniker zu neuen Prototypen. Zweifelsohne werden Federn in Zukunft noch zu weiteren solchen klugen Erfindungen führen. Dazu müssen wir nur unserer Kreativität Flügel verleihen.

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