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Ostsee: Wider den letzten Fisch im Netz

In der Ostsee dürfen Fischer seit Jahren immer weniger Heringe und Dorsch fangen. 2021 sollen die Quoten noch niedriger sein. Dabei setzt längst nicht nur der Fischfang den Tieren zu.
Fischerboot

Das klassische Fischbrötchen mit saurem Hering aus deutschen Gewässern könnte schon bald Seltenheitswert haben: Am 19. und 20. Oktober 2020 haben die EU-Fischereiminister über die zulässigen Fangmengen für die Fischbestände der Ostsee im Jahr 2021 entschieden. Nachdem der Heringsbestand in der Nordsee schon 1977 durch Überfischung zusammengebrochen war, sich dann aber wieder erholt hatte, sieht es nun in der westlichen Ostsee düster aus. Diesmal sind die Fischer allerdings nicht schuld an der Misere.

Bereits Ende August hatte die Europäische Kommission ihre Empfehlungen an den Ministerrat vorgestellt, laut derer die Fangquoten für Dorsch und Hering weiter gesenkt werden sollen. Besonders hart trifft es die Heringsfischerei. Fing man Ende der 1980er Jahre in der westlichen Ostsee noch an die 100 000 Tonnen Hering, lag die Fangmenge 20 Jahre später noch bei einem Fünftel und wurde bis 2020 auf nur noch rund 3000 Tonnen im Jahr eingeschränkt. Nun soll die Quote noch einmal halbiert werden. Die Kommission orientiert sich an den Erhebungen des Internationalen Rates für Meeresforschung, kurz ICES, ging aber diesmal in einzelnen Punkten noch über die Empfehlungen der Wissenschaftler hinaus.

Der Deutsche Fischerei-Verband kritisierte die Kommissionsvorschläge in einer Pressemitteilung scharf als »drakonische Maßnahmen« und hoffte auf eine Korrektur durch den Ministerrat. Die weitere Einschränkung der Heringsfischerei werde »einigen Fischern das Genick brechen«, heißt es in der Mitteilung. Bei Westdorsch und Sprotte bleibe vollkommen unklar, warum entgegen der Empfehlung des ICES eine Unternutzung der Bestände vorgeschlagen werde.

»Das wird einigen Fischern an der deutschen Ostseeküste endgültig das Genick brechen«
Deutscher Fischerei-Verband

Christopher Zimmermann, Leiter des staatlichen Thünen-Instituts für Ostseefischerei in Rostock, der Deutschland im ICES vertritt, zeigt Verständnis für die Fischer: »Meistens ist es klüger, die Quoten nicht auf null runterzufahren, weil man sonst das Aus für die gesamte Küstenfischerei riskiert.« Die Politik müsse auch sozioökonomische Aspekte berücksichtigen, und das Beispiel Nordseehering habe gezeigt, dass sich die Fischereistrukturen nicht mehr wiederbeleben lassen, wenn sie einmal verloren sind. Umweltverbände dagegen begrüßten die Vorschläge der Kommission als eine überfällige Berücksichtigung ökologischer Zusammenhänge und forderten einen totalen Fangstopp für den Hering der westlichen Ostsee. (pdf)

Die Kinderstube der Heringe gerät durcheinander

Der Heringsbestand in der westlichen Ostsee hat sich trotz immer strengerer Quoten seit Jahren nicht erholt. Lange rätselten die Meeresforscher über die Ursachen, inzwischen scheint aber der Schuldige gefunden: Die durch den Klimawandel bedingte Erwärmung der Ostsee bringt den Lebenszyklus der Heringe aus dem Takt. Ein großer Teil der Heringe in der westlichen Ostsee wandert im Frühjahr zum Laichen in den Greifswalder Bodden, eine nur zehn Meter tiefe und 500 Quadratkilometer große Meerespfanne südöstlich von Rügen.

Am Ende des Winters sammeln sich die Heringe in großen Schwärmen, und wenn eine bestimmte Wassertemperatur erreicht ist, strömen die Heringe in das Laichgebiet, wo jedes Weibchen mehrere zehntausend Eier hinterlässt. Diese Laichwanderung findet durch die Klimaerwärmung immer früher statt, und zusätzlich beschleunigt sich die Entwicklung vom Ei zur Fischlarve in wärmerem Wasser. Unter dem Strich erreichen die Miniheringe deswegen bereits zwei bis drei Wochen früher das Stadium, in dem sie dringend auf ihre Lieblingsnahrung, die winzigen Larven von Kleinkrebsen, angewiesen sind. Die wachsen aber nur, wenn die Krebseltern ausreichend Algen zu futtern hatten – und Algen brauchen Licht.

Die jahreszeitliche Taktung der Kleinkrebse hängt also maßgeblich von der Tageslänge ab und wird nicht von der Klimaerwärmung beeinflusst. Das führt dazu, dass die Krebse zur »normalen« Zeit erscheinen, die Heringslarven aber mittlerweile früher. »Wie immer in der Ökologie gibt es da eine irre Plastizität, das heißt, es verhungern nicht alle kleinen Heringe, aber wirklich ausreichend Nahrung haben nur die allerletzten Larven, die Zuspätkommer«, erläutert Zimmermann. Allein dadurch werde es in Zukunft nur noch halb so viel große Heringe geben wie vor 30 Jahren, schätzt der Fischereiexperte. Aktuelle Studien zeigen außerdem, dass Heringslarven bei Temperaturen über 16 Grad Celsius unter Herzrhythmusstörungen leiden, was geringere Wachstumsraten zur Folge hat. Außerdem hat die Überdüngung der Ostsee und die damit verbundene Wassertrübung dazu geführt, dass Seegräser nur noch in flacheren Bereichen vorkommen, wo die Fischeier schlechter vor Sturm und Wellen geschützt sind.

Das seien alles Einflüsse, für die zwar die Fischer nichts könnten, sagt Zimmermann, aber es gebe eben auch keine andere Möglichkeit, um den Heringsbestand zu stabilisieren, als den Fischereidruck drastisch zu reduzieren. Der Bestand müsse in den nächsten fünf Jahren wieder aufgebaut werden, könne dann aber auch wieder nachhaltig genutzt werden. Derweil versuchen die verbliebenen deutschen Fischer mit kleineren Anlandungen und möglichst viel regionaler und direkter Vermarktung über die Runden zu kommen. Vor allem Fischer mit großen Schleppnetzkuttern werden wohl vom Abwrackprogramm der Bundesregierung Gebrauch machen.

Vom Brotfisch zum Sorgenkind

Neben dem Hering ist der Dorsch der wichtigste Fisch für die Fischer. Die Art unterteilt sich in der Ostsee in zwei Bestände, die beide in den letzten 30 Jahren extrem zurückgegangen sind. Beim Östlichen Dorsch ist die Lage besonders dramatisch. Dort sind die Erträge von 100 000 Tonnen um die Jahrtausendwende auf unter 12 000 Tonnen im vergangenen Jahr gefallen. Schon für dieses Jahr waren Anlandungen praktisch nur noch als Beifang erlaubt, und das soll nach den Plänen der Kommission auch so beibehalten werden. »Da geht es nur noch darum, den Bestand nicht ganz zu verlieren, damit er sich vielleicht irgendwann in fernerer Zukunft wieder erholen kann, wenn sich die Umweltbedingungen verbessert haben«, kommentiert Zimmermann.

Ist ein Bestand erst einmal stark dezimiert, kann es bis zu seiner Erholung länger dauern. Der größte Heringsbestand der Welt, der Norwegische Frühjahrslaicher, brauchte dafür mehr als 20 Jahre, nachdem er Ende der 1960er Jahre zusammengebrochen war.

»Für eine zukunftsfähige Fischerei brauchen wir dringend bessere Daten, auch von den kleineren Booten«
Christopher Zimmermann, Fischereibiologe

Ein Problem sei die unzureichende Kontrolle der Fangquoten, sagt Zimmermann. So kämen in Mecklenburg-Vorpommern auf 340 Fischer und über 110 Anlandeorte nur 35 Inspektoren. Größere Schiffe würden per Satellitentechnik überwacht und müssten über jeden Fang Logbuch führen, bei den kleineren Booten unter acht Meter Länge sei der Kontrolldruck aber minimal, weil sie nur einmal im Monat angeben müssten, wann sie wo und was gefangen haben.

»Für eine zukunftsfähige Fischerei brauchen wir dringend bessere Daten, auch von den kleineren Booten«, sagt Zimmermann. Eine Möglichkeit sei die Smartphone-App MoFi (Mobile Fisheries Log), die den Dokumentationsaufwand für die Fischer minimieren soll. Auch über den Einfluss der Freizeitfischer auf die Fischbestände ist noch wenig bekannt. Erste Untersuchungen zeigen aber, dass er nicht zu unterschätzen ist. So rechnet der Rat für Meeresforschung beim westlichen Dorsch damit, dass die Hobbyfischer mehr als ein Fünftel (22 Prozent oder 1300 Tonnen) der gesamten Fangmenge fischen. Darum gibt es auch in diesem Bereich gesetzliche Einschränkungen. Momentan dürfen Angler maximal fünf  Exemplare am Tag aus dem Wasser ziehen, und laut dem Kommissionsvorschlag soll das auch so bleiben.

Die Ostsee ist ein Spezialfall

Das Ökosystem der Ostsee reagiert im Vergleich zu anderen Meeresgebieten besonders empfindlich auf Umweltveränderungen. Durch Schleswig-Holstein und Dänemark ist die Ostsee von der Nordsee getrennt. Dadurch kann nur wenig sauerstoffreiches, salzhaltiges Meerwasser in die Ostseewanne einströmen. So ist die Ostsee bereits von Natur aus ein sauerstoffarmes Meer. Überdüngung und Klimaerwärmung verschärfen den Sauerstoffmangel und führen zu großen, nahezu sauerstofffreien »Todeszonen« am Meeresgrund – was insbesondere für die Dorsche als Bodenbewohner ein Problem ist.

Die gute Nachricht ist, dass sich ostseeweit einige Fischbestände positiv entwickeln. Leider gilt das aber vor allem für den nördlichen und mittleren Teil der Ostsee. Im Westen, also in dem für deutsche Fischer wichtigen Teil, sieht es dagegen schlechter aus. »Aus deutscher Sicht ist die Lage besonders schlimm«, so Zimmermann, da mit dem Westhering der »Brotfisch« der Fischer ausfalle. Aus seiner Sicht wäre es deshalb wünschenswert, bei den stabileren Beständen wie Westdorsch, Sprotte und Scholle ein positives Signal an die Fischer zu senden. Es müsse klar werden, dass sich die Schonung und nachhaltige Nutzung der Fischbestände langfristig auch lohne.

Die wirtschaftlich wichtigsten Fischarten der Ostsee

Hering (Clupea harengus): Der Atlantische Hering ist einer der wichtigsten Speisefische der Welt. In der Ostsee unterscheiden Biologen vier Heringsbestände (Westlicher, Zentraler, Rigaer und Bottnischer Hering), von denen es dreien verhältnismäßig gut geht. Der Westliche Hering allerdings hat durch Klimawandel, Überdüngung und Überfischung so stark gelitten, dass die Fischerei inzwischen fast ganz zum Erliegen gekommen ist.

Dorsch (Gadus morhua): Dorsch ist der in der Ostsee gebräuchliche Name für den Atlantischen Kabeljau. Die Art kommt in der Ostsee in zwei Beständen (West- und Ostdorsch) vor. Dorsche gehen am Meeresboden auf die Jagd nach Fischen, Muscheln und Krebsen. In der östlichen Ostsee müssen sie aber auf Grund von Sauerstoffmangel in Bodennähe oft in höhere Wasserschichten ausweichen, wo sie sich dann hauptsächlich von Sprotten und anderen Fischen ernähren. Da dieser Nahrung wichtige Inhaltsstoffe fehlen, leiden solche Dorsche an Mangelernährung.

Sprotte (Sprattus sprattus): Die Sprotte ist ein stromlinienförmiger, silbrig glänzender Fisch. Äußerlich ähnelt er dem Hering, und wie dieser tritt er in großen Schwärmen auf. Bezogen auf die Fangmenge ist die Sprotte die wichtigste Fischart der Ostsee. Sie wird hauptsächlich mit großen Trawlern gefangen und direkt zu Fischfutter verarbeitet. Derzeit dürfen rund 250 000 Tonnen im Jahr angelandet werden.

Scholle (Pleuronectes platessa): Am Meeresboden lebende Plattfische wie Scholle, Flunder, Kliesche, Stein- und Heilbutt sind begehrte Speisefische. Den deutschen Fischern gehen sie meist als »erwünschter Beifang« ins Netz. Eine kleine Erfolgsgeschichte liefert dabei die Scholle: Nachdem zu Rekordzeiten Ende der 1970er Jahre mehr als 4500 Tonnen Ostsee-Scholle gefangen wurden, sackten die Fänge im Jahr 1993 auf nur noch 80 Tonnen ab. Seit Mitte der 1990er Jahre stabilisierte sich der Bestand dann wieder, und in den vergangenen Jahren wurden wieder regelmäßig über 1500 Tonnen angelandet. Die Menge an tatsächlich gefangenen Schollen dürfte aber nach Einschätzung des Internationalen Rates für Meeresforschung bis zu doppelt so hoch liegen, da auf Grund restriktiver Quoten viele Schollen auf See wieder über Bord geworfen wurden.

(Der Artikel wurde nach den Beschlüssen aktualisiert)

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