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Virusevolution: Pandemie dezimierte Grippevarianten

Die Corona-Maßnahmen machten die Grippe selten - und ganze Abstammungslinien und Varianten starben wohl aus. Das allerdings ist nicht nur eine gute Nachricht, fürchten Fachleute.
Hustender Mann mit Maske

Die ausgefallenen Grippewellen der Jahre 2020 und 2021 haben weit reichende evolutionäre Konsequenzen für das Virus. Die dramatisch geringere Zahl an Ansteckungen weltweit ließ mutmaßlich eine erhebliche Anzahl von Viruslinien verschwinden – darunter womöglich sogar eine in der aktuellen Impfung gegen Grippe enthaltene Variante. Das berichtet eine Arbeitsgruppe um Vijaykrishna Dhanasekaran von der University of Hong Kong in einer Vorabveröffentlichung. Das Team analysierte Daten des weltweiten Grippeüberwachungs- und Bekämpfungssystems GISRS der Weltgesundheitsorganisation WHO, in das globale Überwachungs- und Sequenzdaten einfließen. Dabei zeigte sich unter anderem, dass die Yamagata-Linie von Influenza B, gegen die auch in der Saison 2021/2022 geimpft wird, seit April 2020 womöglich ausgestorben ist.

Ursache des Variantensterbens bei der Grippe sind die weltweiten Infektionsschutzmaßnahmen und Reisebeschränkungen gegen Corona. Sie führen dazu, dass sich viele Ansteckungsketten totlaufen und regionale Ausbrüche nicht in andere Gebiete weiter verbreitet werden. Insbesondere die saisonalen Grippewellen der gemäßigten Breiten basieren darauf, dass das Virus im Winter aus anderen Weltgegenden eingeschleppt wird, in denen es zuvor zirkulierte. Das gilt besonders für den Subtyp H3N2, der jedes Jahr im Sommer ausstirbt und nur in Südostasien dauerhaft verbreitet wird. Das ist womöglich auch der Grund, weshalb von diesem Virus gleich drei der acht wichtigsten Varianten in der Pandemie verschwanden.

Rätselhaft ist das Schicksal der Yamagata-Linie von Influenza B, von der für die Analyse keinerlei Sequenzdaten mehr zur Verfügung standen. Lediglich einzelne Fälle registrierte das weltweite Überwachungssystem. Das seien aber so wenige, dass es sich womöglich um falsch positive Fälle handele, mutmaßt Dhanasekaran auf Twitter. Es ist aber auch denkbar, dass das Virus einfach durch die Lücken in der Überwachung schlüpft. Unter Umständen kursiere die Linie unbemerkt in China, wo es keine so strikten Landesweiten Corona-Maßnahmen gab, schreibt der Virologe Kevin R. McCarthy von der University of Pittsburgh. Das jedenfalls gilt für die nach dem australischen Bundesstaat Victoria benannte zweite Hauptlinie von Influenza B, die in China sogar größere Epidemien auslöste.

Das Verschwinden der Viruslinien ist nur bedingt eine gute Nachricht. Die meisten Fachleute sind sich einig, dass das Verschwinden der saisonalen Grippe während der Pandemie die zukünftigen Wellen nach dem Ende der Corona-Maßnahmen wesentlich schwerer verlaufen lassen kann. Zum einen sinkt der Immunschutz durch vorherige Infektionen im Lauf der Zeit, und zum anderen sind die Viruslinien regional sehr ungleich verteilt. Es ist möglich, dass die nächste große Influenzawelle zumindest in manchen Teilen der Welt von zuvor seltenen Viruslinien ausgeht, die nur schlecht vom Impfstoff abgedeckt werden und gegen die in der Bevölkerung kaum Schutz durch frühere Infektionen besteht.

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