Direkt zum Inhalt

News: Pandoras Code

Die Aufgabe des Immunsystems ist es, auf Angriffe von Fremdkörpern zu reagieren. Doch eine Frage brachte Wissenschaftler seit langem zum Grübeln: Wie schaffen Immunzellen es, ihre Reaktion auf eindringende Mikroorganismen so abzustimmen, daß die körpereigenen Zellen verschont bleiben? Die Antwort scheint in einer Art Sicherheitssystem zu liegen. Nur der richtige Code kann den Gegenschlag ermöglichen.
Paul M. Allen, Professor für Pathologie an der Washington University School of Medicine in St. Lois und seine Kollegen untersuchten T-Helferzellen, eine der wichtigsten Komponenten des zellulären Immunsystems. T-Helferzellen patrouillieren im Körper auf der Suche nach schädlichen Mikroorganismen. Sie interagieren mit den B-Zellen, anderen zum Immunsystem gehörigen Zellen, die einen Eindringling erst erkennbar machen. Die B-Zellen nehmen einen der Fremdkörper auf und präsentieren Fragmente seiner Proteine auf ihrer Zelloberfläche. T-Helferzellen analysieren diese Fragmente – die Antigene – wie Polizisten, die ein Fahrzeugkennzeichen überprüfen. Werden fremde Kennzeichen gefunden, wird eine Abwehr-Reaktion induziert. Die T-Zellen-Rezeptoren treten aber nur recht schwach mit den Antigenen in Wechselwirkung. Deswegen fragten sich Wissenschaftler lange, wieso die Reaktion der Zellen auf eine enorme Zahl unterschiedlicher Antigene, die nie mit ihnen in Kontakt kamen, so extrem spezifisch sein kann.

Der T-Zellen-Rezeptor besteht aus verschiedenen Proteinen. Die Teile, die in das umgebende Milieu ragen, analysieren die Antigene der B-Zellen und veranlassen die inneren Abschnitte, die Zelle zu aktivieren. Wissenschaftler glaubten einige Zeit, daß das auslösende Signal darin bestände, daß Phosphatgruppen an zwei lange Rezeptor-Bestandteile – die Zeta-Ketten – gebunden würden. Jede Zeta-Kette durchdringt die Zellmembran und besitzt im Zellinnern sechs einzelne Bindestellen für Phosphate. Von der Plasmamembran ausgehend werden diese Stellen mit A1, A2, B1, B2, C1 und C2 bezeichnet. Wie genau die Aktivierung stattfindet, war jedoch nicht bekannt.

Nun haben die Wissenschaftler sechs Antikörper produziert, die jeweils eine andere Bindestelle erkennen – jedoch nur, wenn ein Phosphat gebunden ist. "Dies gab uns die Möglichkeit festzustellen, wann die jeweilige Stelle phosphoryliert wurde und unter welchen Bedingungen dies geschah", führt Allen aus.

Sie entdeckten, daß sich im Ruhezustand zwei Phosphat-Gruppen an der Zeta-Kette der Helferzelle befinden. Die Phosphate sitzen an den Stellen B1 und C2. Die Forscher fanden auch heraus, daß B2 nur dann Phosphat binden kann, wenn A2 phosphoryliert ist. Darüberhinaus kann C1 nur dann phosphoryliert werden, wenn A1 bereits eine Phosphatgruppe besitzt. Es müssen sowohl A1 wie auch A2 bereits phosphoryliert sein, bevor eine Phosphatgruppe an B2 oder C1 binden kann. Daß heißt, daß die sechs Phosphate sich in einer festgelegten Reihenfolge anlagern müssen. Der Code, der die Türe öffnet, lautet: B1 – C2 – A1 – A2 – B2 – C1. Nur einen Teil des Codes einzugeben ist genauso sinnlos, wie die Eingabe eines falschen Sicherheitscodes bei einem elektronischen Schloß (Science vom 23. Juli 1998).

Eine Helferzelle wird nur dann vollständig aktiviert, wenn alle sechs Phosphate an den entsprechenden Stellen gebunden sind. Allen betont jedoch, daß die beiden Phosphate, die schon im Ruhezustand vorhanden sind, diesen Vorgang einleiten müssen.

Die Studie weist darauf hin, daß die Eingabe des "Sicherheitscodes" Zeit läßt, um das Antigen noch einmal zu überprüfen. Es wird vermieden, daß die Helferzelle eine voreilige Entscheidung darüber trifft, wen sie angreift. "Der Rezeptor muß lange genug in Anspruch genommen werden, um alle sechs Phosphate an die Zeta-Ketten zu binden", sagt Allen. "Dann sagt die T-Zelle 'In Ordnung, ich habe die Kriterien erfüllt, also kann ich jetzt weitermachen.' Wenn das Antigen aber zu dem Wirtskörper gehört, würde nicht der vollständige Code eingegeben werden, was die T-Zellen davon abhält, die körpereigenen Zellen anzugreifen." Daraus ergibt sich aber schon die nächste Frage, auf die nun eine Antwort gefunden werden soll: Warum lösen fremde Antigene eine vollständige Phosphorylierung aus, eigene Antigene jedoch nicht?

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.