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Schmerzmittel: Ist Paracetamol in der Schwangerschaft weniger sicher als gedacht?

Nehmen Schwangere Paracetamol, steigt laut einer aktuellen Untersuchung das Risiko für Verhaltensauffälligkeiten bei ihren Kindern. Die Aussagekraft der Studie ist jedoch begrenzt.
Eine schwangere Frau nimmt eine Tablette
Als eines von wenigen Schmerzmitteln gilt Paracetamol als relativ sicher während der Schwangerschaft – auch wenn das seit einigen Jahren kontrovers diskutiert wird.

Medikamente in der Schwangerschaft sind ein sehr sensibles Thema. Zu groß ist die Angst einer werdenden Mutter, ihrem ungeborenen Kind zu schaden. Als eines von wenigen Schmerzmitteln gilt Paracetamol als relativ sicher während der Schwangerschaft – auch wenn das seit einigen Jahren kontrovers diskutiert wird. In einer neuen US-amerikanischen Studie wollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Pennsylvania State University nun Hinweise darauf gefunden haben, dass die Einnahme von Paracetamol in der Schwangerschaft später zu Schlaf- und Aufmerksamkeitsstörungen bei Kleinkindern führen kann. Ihre Ergebnisse haben sie im Fachjournal »PLOS ONE« veröffentlicht. Nicht an der Studie beteiligte Fachleute weisen allerdings auf die auf die begrenzte Aussagekraft der Studie hin.

Als Datenquelle diente den Forschenden die First Baby Study, eine prospektive Kohortenstudie in Pennsylvania mit 2422 Mutter-Kind-Paaren. Die werdenden Mütter hatten in einem Telefoninterview während der 35. Schwangerschaftswoche darüber Auskunft gegeben, welche Medikamente sie genommen hatten. 41,7 Prozent der Befragten sagten, sie hätten auf das Schmerzmittel Paracetamol zurückgegriffen. Anschließend wurde das Verhalten der Kinder im Alter von drei Jahren bewertet. Allerdings schätzte nicht etwa ärztliches oder psychologisches Fachpersonal das Verhalten der Kinder ein, sondern die Mütter selbst. Sie bewerteten Aussagen wie »kann nicht stillsitzen«, »vermeidet es, anderen in die Augen zu sehen« oder »möchte nicht allein schlafen« anhand einer Skala. Dabei handelt es sich um einen standardisierten Fragebogen, die so genannten Child Behavior Checklist.

Nach einer Anpassung der Ergebnisse um potenzielle Störfaktoren wie etwa pränatalem Stress konnten die Forschenden eine erhöhtes Risiko dafür feststellen, dass Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft Paracetamol eingenommen hatten, später Schlaf- und Aufmerksamkeitsprobleme zeigten. Der Zusammenhang ist allerdings schwach ausgeprägt.

Studie hat methodische Schwächen

Wolfgang Paulus, Oberarzt und Leiter der Beratungsstelle für Reproduktionstoxikologie an der Universitätsfrauenklinik Ulm, ist von der methodischen Qualität der Studie nicht überzeugt: »Eine kausale Verknüpfung zwischen der Einnahme von Paracetamol in der Schwangerschaft und neurologischen Defiziten der Kinder ist keinesfalls nachgewiesen.« Zum einen bemängelt er das Studiendesign, das nicht für die Erfassung der Auswirkungen von Paracetamol auf den Nachwuchs angelegt war. Vielmehr sei es dabei um den Zusammenhang zwischen Entbindungsart und nachfolgender Geburt gegangen. Auch die Datenerhebung bezüglich der Medikamenteneinnahme in der Schwangerschaft sieht er kritisch, da weder nach der Dosierung noch nach der Einnahmedauer gefragt wurde. »Angesichts der unterschiedlichen Stadien der Sensibilität in der kindlichen Entwicklung ist das aber von Bedeutung«, sagt Paulus.

Zudem könnten solche Fragebögen zwar als Screening-Instrument dienen, um gefährdete Kinder zu identifizieren, sie seien jedoch weder für eine quantitative Bewertung der neurologischen Entwicklung validiert noch ein Diagnoseinstrument für etwa ADHS. »In Studien zu ADHS und Autismus muss man die Vererbbarkeit dieser Erkrankungen bedenken. Unter Berücksichtigung der genetischen Veranlagung verschwinden teilweise die Assoziationen zu den genannten Störungen«, sagt Paulus. Hinzu komme, dass sich die Kinder bis zur Befragung in ihrem familiären Umfeld befanden, das als gravierende Einflussgröße zu betrachten sei. »Möglicherweise unterscheiden sich Mütter, die während der Schwangerschaft häufiger zu Paracetamol greifen, in ihren Verhaltensmustern während der Erziehung ihrer Kinder auch von Schwangeren, die bewusst auf die Medikamenteneinnahme verzichten.«

»Paracetamol ist nach wie vor ein gut dokumentiertes, sicheres Analgetikum während der Schwangerschaft«Wolfgang Paulus, Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe

Wie aber könnte man denn nun genauer untersuchen, ob die Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft Einfluss auf die Kinder hat? Ann Bauer, Postdoc im Zentrum für Autismusforschung und -bildung an der US-amerikanischen University of Massachusetts Lowell, schlägt vor, dass künftige Studien die Verwendung von Müttertagebüchern in Betracht ziehen sollten, um Dosis, Häufigkeit und Gründe für die Einnahme von Paracetamol präziser zu erfassen. »Noch besser wäre es, eine App zur Datenerfassung auf dem Mobiltelefon zu verwenden, die die Mutter täglich auffordert, die Medikamenteneinnahme zu notieren«, sagt sie.

Grundsätzlich gibt sich Bauer der Studie gegenüber jedoch etwas aufgeschlossener als Wolfgang Paulus. »Die Studie steht im Einklang mit einer Vielzahl von Forschungsergebnissen, die einen Zusammenhang zwischen pränataler Exposition mit Acetaminophen, dem Wirkstoff von Paracetamol, und Aufmerksamkeitsproblemen bei den Nachkommen vermuten lassen«, sagt sie. »Wenn sich dieser Befund reproduzieren lässt, könnte er wichtig sein, da Schlafstörungen bei Menschen mit Verhaltensstörungen, ADHS und Autismus häufig auftreten.« Das deute insgesamt darauf hin, dass Frauen über die Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft informiert und davor gewarnt werden sollten.

Zwar betont auch Wolfgang Bauer, dass man Paracetamol in der Schwangerschaft nur so kurz und niedrig dosiert wie möglich einnehmen sollte. Er warnt jedoch ausdrücklich davor, auf andere Schmerzmedikamente mit potenziell noch problematischerem Wirkungsprofil auszuweichen: »Paracetamol ist nach wie vor ein gut dokumentiertes, sicheres Analgetikum während der Schwangerschaft.«

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