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Immunsystem: Parade im Schritttempo

Wenn es richtig ernst wird, holt man am besten ganz schnell Hilfe - was die hektischen Alarmmelder unseres Immunsystems zum Glück recht flott beherrschen. Noch wichtiger scheint allerdings, dass sie beim Hilfeschrei ruhig bleiben und nicht stottern.
Dendritische Zelle
Ihr Äußeres hat der Aufklärungsabteilung unserer Körperabwehr den Namen gegeben: Auf der Oberfläche der "dendritischen Zellen" prangen zweig- und bäumchenartige Dornen und Drähte, auf den ersten Blick ganz ähnlich den Dendriten auf einer Durchschnittsnervenzelle. Mit diesem Antennenwald patrouillieren die dendritischen Immunzellen emsig in den Außenbezirken unseres Körpers, stets auf der Suche nach möglicherweise gefährlichen Eindringlingen und Krankheitserregern.

Stoßen ihre Sensoren auf eine körperfremd erscheinende Gefahr, so gehen sie zum Angriff über, stülpen ihren Körper über Fremdprotein oder Bakterium und schließen es in einem Bläschen in ihrem Inneren ein, wo es baldmöglichst in kleine Einzelteile zerlegt und verdaut wird.

Das allerdings ist nicht viel mehr als ein guter Start für ein wirklich wehrhaftes Immunsystem – denn allzu oft steht zu Beginn einer Infektion eine plötzlich aufgetauchte Übermacht von eingedrungenen Bakterien ein paar wenigen, zufällig vorbeikommenden Dendritzellspähern gegenüber. Dann beginnt die zweite, eigentliche Aufgabe der dendritischen Zellen: nach dem Erstkontakt Alarm zu schlagen und den weitaus besser bewaffneten T-Zell-Spezialisten zu Hilfe zu rufen.

Bereitschaftsdienst von Anfang an

Für fast jeden denkbaren Feind hat ein gut sortiertes Immunsystem schließlich von Geburt an eine maßgeschneiderte, hochwirksame Antwort parat: Einer der unzähligen, jeweils ganz speziellen T-Zell-Typen, die schon im Embryo gebaut wurden, wird exakt einen verräterischen Angriffspunkt – ein Antigen – des körperfremden Eindringlings erkennen und attackieren können. Nur muss die für diese gezielte Immunantwort verantwortliche spezielle T-Zelle – die vielleicht seit geraumer Zeit unbeschäftigt im Lymphknoten vor sich hindämmert – im entscheidenden Augenblick den Befehl bekommen, in Aktion zu treten, sich selbst zu vervielfältigen und eine Massenattacke auf das nur von ihr erkannte Antigen zu starten.

Eben diesen Befehl übermitteln die dendritischen Zellen: Sie präsentieren der gesamten unübersehbaren Armada der unterschiedlichen verfügbaren T-Zellen die verdauten Bruchstücke des aufgenommenen Fremdlings und hoffen darauf, dass einer im T-Zell-Arsenal das zur Schau gestellte Antigen erkennt, aktiv wird und die spezifische Immunantwort startet, um der irgendwo im Körper lauernden Invasoren-Übermacht Saures zu geben.

Um ihre Sirenenfunktion zu erfüllen, schalten dendritische Zellen in der Gegenwart von Antigenen sofort in einen charakteristischen Hilferuf-Modus: Sie nehmen so viele Antigene wie möglich auf und zerbröseln sie, stoppen ansonsten jeden anderen Zellimport und ändern ihr Schritttempo von der üblichen flinken Patrouillengeschwindigkeit hin zu einem gemächlichen Knet-Kriechen, bei dem sie ihren Zellkörper maximal verformbar machen, um auch in kleine Geweberitzen eindringen zu können. Nur in diesem Modus scheint es ihnen möglich, auch in die Lymphgewebe vorzudringen, wo die Mehrzahl der T-Zellen darauf wartet, von den dendritischen Zellen alarmiert zu werden.

Langsam, laut und deutlich

Die dendritischen Alarmgeber arbeiten, kurz zusammenfasst, nur dann effizient, wenn sie im Lymphgewebe, erstens, langsam und biegsam genug und, zweitens, mit deutlich sichtbar präsentierten Antigenen an den T-Zellen vorbei paradieren. Gabrielle Faure-André vom Institut Curie in Paris und ein internationales Team von Kollegen hatten sich für beide Mechanismen interessiert und gefragt, wie die unterschiedlichen Funktionen im Inneren einer dendritischen Zelle koordiniert werden.

Die dendritischen Zellen präsentieren Antigene auf ihrer Außenseite immer nur als Anhängsel eines speziellen, in der Membran verankerten Trägerproteins, dem MHC-Komplex, welcher jeder Körperzelle als Ausweis und Rückversicherung gegenüber den gefährlichen Abwehrzellen dient: Ohne MHC würde eine antigenpräsentierende Zelle selbst als fremd eingestuft und vernichtet.

Ausweise sollten allerdings nie in fremde Hände gelangen – und so leisten sich alle Immunzellen einen ziemlichen Aufwand ab dem Augenblick, wo das MHC-Protein in ihrer Eiweißproduktionsanlage entsteht, dem ribosomenbedeckten endoplasmatischen Retikulum: Die zupackenden Bindungsstellen des MHC-Proteins – die später einmal ein Antigen binden sollen, um es als Signal zu präsentieren – werden für die Dauer des Transports des frischen MHC durch die Zelle mit einem Platzhalterprotein namens "Li" oder "CD74" gesättigt, damit am MHC nicht aus Versehen wichtige körpereigene Peptide andocken. Zusätzlich verankert ein Ende von Li den MHC-Li-Komplex in der Membran.

Geht alles glatt, integrieren sich die MHC-Li-Komplexe schließlich in die Membranen der antigenhaltigen Vesikel der dendritischen Zellen. Dort sorgen ein niedriger pH-Wert und das Enzym Cathepsin dafür, dass die Bindestellen des MHC wieder freigeschnitten werden – und sich sofort die dort herumschwimmenden Antigene greifen. So entstehen die MHC-Antigen-Signale, die später die T-Zellen aktivieren.

Zellbremse am Ausweis

So weit, so gut und schon in großen Zügen bekannt. Wieso aber werden die dendritischen Zellen in dem Augenblick so langsam und multiverformbar, in dem sie die Antigene gegriffen haben, fragten sich Faure-André und Co? Auf die Spur brachte sie schließlich die Beobachtung, dass das Li-Protein sich nicht nur in Membranen integriert und gerne an den MHC-Komplex bindet, sondern ein überhängender Zipfel gleichzeitig auch noch Kontakt aufnimmt mit Myosinfilamenten der Zelle.

Myosin ist zusammen mit Aktin für viele Bewegungsprozesse verantwortlich – wird daran aber von Li zunächst einmal gehindert. Erst wenn das an MHC gebundene Li durch Cathepsin abgebaut wird, werden auch die Myosinfilamente wieder frei, ihre Aufgabe zu übernehmen, meinen die Forscher: Die Beweglichkeit der gesamten Zelle erhöht sich drastisch, und das Einwandern in die engen Spalten des Lymphgewebes wird möglich.

Ganz schön effizient, aber auch recht unerwartet, dass so scheinbar unterschiedliche Zellmechanismen wie Antikörperpräsentation und Bewegung über ein gemeinsames Protein-Bindeglied sinnvoll gekoppelt werden, kommentieren Veronika Lukacs-Kornek und Shannon Turley vom Dana-Farber Cancer Institute in Boston. Wie die Bewegung der dendritischen Zellen genau abläuft, sollte ihrer Meinung nach nun schleunigst noch genauer untersucht werden – denn offenbar schieben die Myosin- und Aktinproteinfäden der antigenpräsentierenden Zellen sich zwar wild aneinander entlang, was den Zellsack extrem flexibel macht. Anders als bei der gerichteten Fortbewegung anderer Körperzellen ist das bewegliche Proteinnetz aber nicht durch Integrin-Anker an der eigentlichen Wand der Zellen starr befestigt. Wie dann eine koordiniert-sinnvolle Bewegung möglich sein soll, bleibt vorerst ein weiteres, noch völlig rätselhaftes Geheimnis des Immunsystems.

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  • Quellen
Faure-Andre, G. et al.: Regulation of Dendritic Cell Migration by CD74, the MHC Class II–Associated Invariant Chain. In: Science 322, S. 1705–1709, 2008.

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