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Polyzystisches Ovarialsyndrom: Folgenreiche Störung im Hormonhaushalt

Das polyzystische Ovarialsyndrom belastet Körper und Psyche Betroffener. Wie es entsteht, ist noch nicht gänzlich geklärt, doch seine Symptome lassen sich behandeln.
Eine Frau sitzt auf einem Sofa und hält einen Schwangerschaftstest in der Hand. Sie stützt ihren Kopf mit der anderen Hand und wirkt enttäuscht.
Frauen mit PCOS haben häufig Schwierigkeiten damit, schwanger zu werden. Viele erfahren erst dadurch von ihrer Hormonstörung.

Caro ist zwölf Jahre alt, als sie das erste Mal ihre Periode bekommt. Bis zu ihrer nächsten Blutung vergehen sechs Monate, danach kommen ihre Tage unregelmäßig. Die Frauenärztin, die sie auf Grund der häufig ausbleibenden Regel aufsucht, habe ihr Globuli empfohlen, erinnert sie sich. Der Gynäkologe, den sie im Anschluss sieht, habe sie zwar nicht untersucht, ihr aber die Antibabypille verschrieben. Damit würde sie auch größere Brüste kriegen, habe er gesagt. Caro ist zu dem Zeitpunkt 14.

Sie nimmt die Pille die nächsten sieben Jahre lang ein. Mit Anfang 20 beginnt sie mit Kraftsporttraining. Aus Angst, die Hormone könnten ihr Muskelwachstum hemmen und weil sie zu der Zeit keinen Partner hat, setzt sie die Arznei schließlich ab. Daraufhin bleibt Caros Periode weiterhin aus. Zu vier Frauenärzten sei sie in den folgenden Monaten gegangen, erzählt die junge Frau. Sie müsse sich nicht sorgen, sagten die einen, es könne schon passieren, dass die Blutung nach längerer Einnahme der Antibabypille eine Zeit lang unregelmäßig kommt. Sie solle abwarten, sagen die anderen, sich freuen, dass sie gerade keine Periode habe. Einer verschreibt ihr entgegen ihren Wünschen wieder hormonelle Verhütung. Eigentlich möchte sie nur ihre Tage zurück.

Keine Blutung, dafür Pickel und Körperhaare

In dieser Zeit beginnt Caros Körper sich zu verändern. Sie bekommt starke Akne und manchmal wird ihr Gesicht ohne erkennbaren Anlass feuerrot. Gelegentlich schmerzt ihre Haut abends so sehr, dass sie nicht einschlafen kann. Obwohl sie weiterhin Sport macht und sich gesund ernährt, nimmt sie zu: Während sie zuvor 60 Kilogramm wog, sind es bald 75. Obendrein verliert sie die Hälfte ihrer Kopfhaare. Zugleich beginnen dicke dunkle Härchen um Caros Wangen, Kinn und Oberlippe zu wachsen. »Wenn man sich als Frau so krass verändert, das ist heftig«, erinnert sie sich. Von den Frauenärzten fühlt sie sich nicht ernst genommen. Ein Hautarzt, an den sie sich wendet, will ihr ein starkes Aknemedikament verschreiben. Das habe sie nicht gewollt, sagt sie. »Ich wollte einfach nur wissen, was los ist!«

Als Caro die Veränderungen ihres Körpers bei Google eingibt, stößt sie rasch auf PCOS, das polyzystische Ovarialsyndrom. Der Gynäkologe, zu dem sie daraufhin geht, nimmt endlich einige Untersuchungen vor, anhand derer er die Diagnose stellen kann. Er schaut sich ihre Eierstöcke im Ultraschall an und misst die Testosteronkonzentration in ihrem Blut. Bezahlt hat sie dafür aus eigener Tasche, erzählt Caro.

Weltweit sind zwischen 5 und 18 Prozent der weiblichen Bevölkerung von der Hormonstörung betroffen

PCOS kann sich über eine Reihe von Beschwerden bemerkbar machen. Zu ihnen zählen eine irreguläre Periode, verstärkter Haarwuchs im Gesicht und ein unerfüllter Kinderwunsch. Weltweit leiden zwischen 5 und 18 Prozent der weiblichen Bevölkerung unter der Hormonstörung. Etwa jede zweite Betroffene weiß nicht, dass ihre Probleme auf PCOS zurückgehen oder sie erfährt es erst spät. In Deutschland diagnostizieren Ärztinnen und Ärzte das Syndrom anhand der Rotterdam-Kriterien. Von drei Merkmalen – seltene bis hin zu völlig ausbleibenden Regelblutungen, ein Übermaß an männlichen Geschlechtshormonen und follikeldurchsetzte Eierstöcke im Ultraschall – müssen mindestens zwei vorliegen. Als selten gilt eine Menstruation, wenn die Zeitspanne zwischen den Blutungen mehr als fünf Wochen beträgt. Der Androgenüberschuss kann entweder über einen Bluttest oder körperliche Auffälligkeiten nachgewiesen werden, etwa Akne, talgige Haut, Haarausfall und übermäßiges Haarwachstum an Stellen, die eher typisch für männliche Behaarung sind. Die Eierstöcke gelten als polyzystisch, wenn sich mittels transvaginaler Ultraschalluntersuchung mehr als zwölf Follikel in einem davon identifizieren lassen.

Themenwoche Fruchtbarkeit

Auf dem Weg zur Befruchtung

Bei manchen klappt es ganz schnell, während der Kinderwunsch anderer lange unerfüllt bleibt. Dafür gibt es mehrere mögliche Gründe: von Störungen im weiblichen Zyklus bis hin zu unfitten Spermien. Welche Beschwerden sollten Frauen besonders ernst nehmen, wenn sie sich um ihre Fruchtbarkeit sorgen? Was hat es mit der Hormonstörung PCOS auf sich, und wie lässt sie sich behandeln? Welche Möglichkeiten haben Paare, wenn die erwünschte Schwangerschaft auf sich warten lässt? Antworten auf diese und weitere Fragen liefert »Spektrum.de« in einer Themenwoche.

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PCOS – eine Ausschlussdiagnose

Fachleute übten Kritik an den Rotterdam-Kriterien. Der Bedarf, hier nachzubessern, entstand vor allem durch Fortschritte bei den Ultraschalltechnologien. Die Bildgebung sei den vergangenen Jahren immer detaillierter geworden, erklärt Bettina Böttcher, Frauenärztin an der Klinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin der Uniklinik Innsbruck. Zudem werden mehr solche Untersuchungen durchgeführt. Heute erfüllt rund jede vierte Frau mit regelmäßigen Zyklen im Ultraschallbild das entsprechende Rotterdam-Kriterium.

Seit 2018 gibt es eine internationale Leitlinie für PCOS, die ein Panel aus Expertinnen und Experten 2023 überarbeitete. Darin ist nicht mehr von 12, sondern 20 Follikeln die Rede. Außerdem listet sie bei Erwachsenen einen erhöhten Spiegel des Anti-Müller-Hormons als Alternativkriterium zum Ultraschallbefund. Damit wollte man Fachgruppen außerhalb der Frauenheilkunde die Diagnostik erleichtern, erklärt die Hamburger Frauenärztin und Reproduktionsmedizinerin Barbara Sonntag. Der Hormonwert habe jedoch seine Tücken: Die Konzentration des Botenstoffs kann von Frau zu Frau und über die Altersspanne hinweg stark schwanken, was die Interpretation der Ergebnisse erschwert.

PCOS ist und bleibt eine Ausschlussdiagnose – es gibt keinen eindeutigen Test, mit dem es sich nachweisen lässt. Vielmehr müssen zuerst andere Ursachen für unregelmäßige Blutungen und für erhöhte Hormonspiegel geprüft werden. Darunter fallen zum Beispiel Tumoren der Nebenniere oder Störungen in der Cortisolproduktion, wie sie beim adrenogenitalen Syndrom vorkommen. Ein Überschuss kann auch dann zu Stande kommen, wenn eine Person vermehrt Androgene zu sich nimmt.

»Mit der Diagnosestellung sollte man eigentlich bis acht Jahre nach der ersten Periode warten«Bettina Böttcher, Gynäkologische Endokrinologin

Schwierige Diagnose in der Jugend

Bei Mädchen und jungen Frauen lässt sich PCOS noch schwerer erkennen als bei Erwachsenen, erklärt Bettina Böttcher. Im Anschluss an die erste Periode sind bei Teenagern häufig mehr als zwölf Follikel im Eierstock sichtbar. Die Ovarien deshalb bereits als polyzystisch zu klassifizieren, wäre falsch. Darum sind bei Jugendlichen nur zwei der drei Diagnosekriterien entscheidend, nämlich die unregelmäßigen Zyklen und der Hormonüberschuss. Doch auch das erscheint problematisch, denn »kurz nach Beginn der Menstruation sind unregelmäßige Blutungen oder Beschwerden wie Akne normal«, erläutert Böttcher. »Darum sollte man mit der Diagnosestellung eigentlich bis acht Jahre nach der ersten Periode warten.« Ärztinnen und Ärzte bringt das in eine schwierige Lage. Einerseits hilft es Betroffenen, möglichst bald von der Hormonstörung zu erfahren – was ihnen eine angemessene Beratung und Behandlung ermöglicht. Andererseits gilt es, eine Fehldiagnose zu vermeiden, wenn hinter den Beschwerden nur eine vorübergehendes Hormonungleichgewicht oder eine andere Erkrankung steckt.

Stutzig werden sollten Mädchen, wenn die Periode zwei Jahre nach der ersten Blutung weiterhin unregelmäßig kommt, wenn sich Akne oder Haarausfall nicht bessern und sich für diese Befunde keine andere Ursache finden lässt. »Es gibt auch Anzeichen dafür, dass Jugendliche später mal PCOS entwickeln«, erklärt Bettina Böttcher. Als gefährdet gelten Mädchen, die schon vor dem achten Lebensjahr erstmals menstruieren, deren Pubertät verzögert abläuft, die mit Beginn der Periode übermäßig zunehmen und besonders starke Akne oder Körperbehaarung entwickeln.

An der Uniklinik Erlangen sucht ein Team um Ralph Dittrich und Laura Lotz aktuell nach neuen Biomarkern, anhand derer man PCOS schon bei jungen Menschen erkennen könnte. Das Ziel der Wissenschaftler ist es, Faktoren zu finden, die sich ohne invasive Untersuchungen bestimmen lassen. Welche genau im Fokus ihrer Arbeit stehen, unterliege dem Betriebsgeheimnis des Kooperationspartners Roche, erklärt Studienleiterin Laura Lotz per E-Mail. Hierzu könne und dürfe sie deshalb noch keine Auskunft geben. Anfang 2025 rekrutiert das Team gerade Probandinnen. Insgesamt sollen 350 Personen an der Studie teilnehmen.

Suche nach den Ursachen

Ansonsten passiert eher wenig an der Forschungsfront. Weiterhin rätselhaft ist, weshalb es überhaupt bei manchen Frauen zu der Hormonstörung kommt. Erbfaktoren spielen vermutlich eine Rolle. Ein Übersichtsartikel aus dem Jahr 2017 beziffert die Erblichkeit von PCOS mit bis zu 70 Prozent. »Aber es gibt nicht das eine Gen, das für die Erkrankung verantwortlich ist«, so Bettina Böttcher. Dafür ist das Erscheinungsbild viel zu heterogen. Man versuche derzeit jedoch, Subtypen der Störung zu definieren, die sich in ihrem Symptomprofil unterscheiden, erklärt Barbara Sonntag. Zum Beispiel einen reproduktiven und einen metabolischen Typ – damit verbunden sind möglicherweise genetische Unterschiede.

Etwas mehr weiß man darüber, welche Veränderungen im Körper von Betroffenen stattfinden. An den heranreifenden Follikeln im Eierstock sitzen so genannte Thekazellen. Ihre Aufgabe ist es, Androgene herzustellen und diese freizusetzen. Angestoßen wird der Prozess durch Hormone aus dem Gehirn. Normalerweise schwankt deren Spiegel im Verlauf des Zyklus – bei PCOS ist das aber nicht so. Warum, ist noch nicht ganz klar. Die Folgen sind jedoch bekannt: Die Zellen bleiben dauerhaft aktiv und bilden zu viel Androgen. Das stört die gesunde Follikelreifung und den Eisprung.

»Es kann genauso gut eine schlanke wie eine übergewichtige Frau unter PCOS leiden«Bettina Böttcher, Gynäkologische Endokrinologin

Hinzu kommt, dass zahlreiche Frauen mit PCOS eine Insulinresistenz entwickeln. Das heißt, ihr Körper spricht nicht mehr ausreichend auf das Stoffwechselhormon an, woraufhin die Bauchspeicheldrüse größere Mengen davon produziert. Das kann zu einem Diabetes Typ II führen. Insulin ist vor allem für seine Rolle bei der Regulation des Blutzuckerspiegels bekannt. Es stimuliert aber auch Thekazellen, wodurch diese noch mehr Androgene herstellen. Daneben fördert es indirekt die Androgenproduktion, und zwar über die Botenstoffe LH und FSH. Beide werden in der Hirnanhangdrüse hergestellt. FSH sorgt in der ersten Phase des Menstruationszyklus dafür, dass ein Follikel zur Eizelle heranreift. Im Anschluss triggert LH den Eisprung. Bei PCOS verschiebt sich das Gleichgewicht der Signalmoleküle in Richtung LH, was die Androgensynthese noch mehr anfacht. Weil es den Eierstöcken an FSH mangelt, differenzieren weniger Follikel aus. Das alles kann sich dann als unerfüllter Kinderwunsch bemerkbar machen.

Unklar ist, ob die Insulinresistenz zur Entstehung von PCOS beiträgt oder sich erst im Rahmen der Erkrankung ausbildet. Außerdem entwickelt nicht jede Frau mit einer solchen Stoffwechselstörung unweigerlich PCOS, und auch der umgekehrte Fall tritt nicht bei allen ein. Die beiden können also miteinander, ebenso aber einzeln auftreten. Früher habe man vermutet, dass PCOS gehäuft bei Adipositas auftritt, erklärt Bettina Böttcher. Das habe sich nicht bestätigt. »Es kann genauso gut eine schlanke wie eine übergewichtige Frau unter PCOS leiden.«

Untersuchungen zeigen immer wieder, dass die Störung sich nicht auf die Eierstöcke beschränkt. So geht sie oft mit einem höheren Risiko für Herz-Kreislauf-Beschwerden und Gebärmutterkrebs einher. Eine finnische Registerstudie aus dem Jahr 2023 fand für Betroffene ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko, und zwar über alle Todesursachen hinweg, aber auch spezifisch in Bezug auf Stoffwechsel- und kardiovaskuläre Erkrankungen. Patientinnen sollten deshalb ihr Gewicht im Blick haben und regelmäßig Blutdruck, Blutzucker und Blutfette untersuchen lassen. Diese Empfehlung gilt übrigens ebenso für ihre männlichen Verwandten, erklärt Bettina Böttcher.

Erfüllbarer Kinderwunsch

Was betroffene Frauen in die Arztpraxen führt, ist oft ihr unerfüllter Kinderwunsch. Viele sorgen sich, ob sie überhaupt jemals schwanger werden können. PCOS erschwere dies zwar, doch meistens könne man den Patientinnen trotzdem zu einer Schwangerschaft verhelfen, beruhigen die Gynäkologinnen Bettina Böttcher und Barbara Sonntag. Laut einer Bevölkerungsstudie aus Schweden, in die Daten von fast 50 000 Probandinnen mit der Hormonstörung und mehr als 200 000 mit geregelten Zyklen einflossen, hatten beide untersuchten Gruppen ähnlich hohe Chancen, ein Kind zu bekommen.

Die Herausforderung bestehe vielmehr im richtigen Timing, denn der Zyklus sei einfach nicht regelmäßig genug, erklärt die Expertin für Kinderwunschtherapie Bettina Böttcher. Wenn ein Eisprung stattfindet und auch die anderen Voraussetzungen erfüllt sind – die Eileiter sind frei, also nicht verwachsen, und die Spermienqualität stimmt –, sei eine Schwangerschaft ganz normal möglich. Im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung dient eine niedrig dosierte Hormontherapie dazu, periodische Zyklen zu fördern. Führt das nicht zum gewünschten Erfolg oder liegen weitere Probleme vor, kann eine künstliche Befruchtung weiterhelfen.

Unterm Strich benötigen Patientinnen mit PCOS oft länger und brauchen etwas mehr Unterstützung, bis sich ihr Kinderwunsch erfüllt. In der oben erwähnten Bevölkerungsstudie brachten Frauen mit der Störung außerdem insgesamt weniger Kinder zur Welt als die Vergleichsgruppe. Ein möglicher Mitgrund ist, dass eine Schwangerschaft mit PCOS häufiger mit Komplikationen wie Präeklampsie, Schwangerschaftsdiabetes sowie Fehl- und Frühgeburten einhergeht. Auch in den Monaten vor der Geburt ihres Kindes benötigen Betroffene also eine intensivere medizinische Betreuung als Frauen ohne die Hormonstörung.

Die Hürden auf dem Weg, schwanger zu werden, und die Sorge, dass es am Ende doch nicht klappen wird, belasten viele Patientinnen psychisch. Dazu kommt häufig eine Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper. Manchmal verändert dieser sich dramatisch und vermeintlich grundlos in eine unerwünschte Richtung, was auf das Selbstwertgefühl schlägt. Laut einem Überblicksartikel aus dem Jahr 2018 geht PCOS mit einem erhöhten Risiko für Depressionen, Angstzuständen, bipolaren Störungen und Zwangsstörungen einher. Eine 2024 veröffentlichte Studie fand eine mehr als achtfach größere Wahrscheinlichkeit für einen Suizidversuch.

»Da wir noch nicht verstanden haben, was PCOS verursacht, können wir auch keine ursächliche Therapie anbieten«Barbara Sonntag, Gynäkologin

Auch Caro litt unter ihren Beschwerden: Sie habe sich so hässlich gefühlt, dass sie das Haus nicht mehr verlassen wollte, erzählt sie. Sie habe viel geweint, hätte zwischendurch nicht weitergewusst und jede Hoffnung verloren. Gewünscht hätte sie sich einen Arzt, der sie ernst nimmt und sie eingehend untersucht. Anhand ihres Leidenswegs zeigt sich: Eine psychologische Begleitung kann bei PCOS ebenso relevant sein wie die Linderung körperlicher Symptome.

Störende Beschwerden bekämpfen

»Da wir noch nicht verstanden haben, was PCOS verursacht, können wir auch keine ursächliche Therapie anbieten«, betont Barbara Sonntag. Bei Zyklusstörungen und starken physischen Veränderungen, die dem Androgenüberschuss geschuldet sind, können kombinierte orale Kontrazeptiva helfen. Sie unterdrücken männliche Geschlechtshormone und versorgen den Körper mit Östrogen. Bei Adipositas und Insulinresistenz im Zusammenhang mit PCOS hat sich das Medikament Metformin bewährt. Es verbessert die Empfindlichkeit der Gewebe für Insulin, wodurch dessen Konzentration im Blut abfällt. Zusätzlich reduziert der Wirkstoff auch das Testosteron in den Eierstöcken. Daneben empfiehlt sich eine Gewichtsreduktion. »Bei adipösen Frauen kann schon einen Gewichtsverlust von wenigen Kilo dazu führen, dass der Zyklus regelmäßig wird und es dadurch zum Eisprung kommt«, betont Bettina Böttcher. Woran das liegt, sei nicht klar.

PCOS müsse nicht zwangsläufig behandelt werden. Entscheidend sei, dass der Körper ausreichend mit Östrogen versorgt ist. »Bei ungefähr vier Regelblutungen pro Jahr kann man davon ausgehen«, so die Frauenärztin. Bei weniger könne es zu Problemen kommen, zum Beispiel mit der Knochendichte.

Derzeit testen Forschende in sieben europäischen Ländern in einem EU-finanzierten Projekt ein Kombinationspräparat für jüngere Patientinnen. Darin enthalten sind Spironolacton, das als Antiandrogen wirkt, sowie Pioglitazon und Metformin, die beide die Insulinsensitivität erhöhen. Eine personalisierte Ernährungs- und Lebensstilberatung gehört ebenfalls zur Behandlung. Die Untersuchung läuft zwar noch, doch die Leiterin des norwegischen Studienarms Eszter Vanky beschreibt in einer E-Mail vorläufige Beobachtungen: Mehrere Teilnehmerinnen würden bereits über häufigere und regelmäßigere Menstruationen berichten, und einige von ihnen hätten an Gewicht verloren. Das sei viel versprechend, aber aktuell wisse man nicht, wie deutlich dieser Effekt am Ende ausfallen wird. Ebenfalls unklar ist, ob die Wirkung auf die Studienmedikamente, die Lebensstiländerungen, den Placeboeffekt oder eine Mischung daraus zurückgeht.

»Hätte ich früher gewusst, was ich habe, hätte ich mir so viel Stress, Nerven und Geld gespart«Caro, Betroffene

In Zukunft könnten auch Arzneien wie das Abnehmmedikament Ozempic eine Rolle in der Behandlung von PCOS spielen. Eine 2019 veröffentlichte Metaanalyse hatte ergeben, dass solche Wirkstoffe die Insulinsensitivität deutlich verbessern und das Körpergewicht sowie den Bauchumfang stärker verringern als Metformin. Dem Malariamedikament Artemisinin ähnelnde Arzneien könnten ebenfalls interessant werden. Ein chinesisches Team um Qi-qun Tang von der Fudan Universität in Schanghai beschrieb in einer 2024 publizierten Arbeit, ein derartiger Stoff senke den Spiegel männlicher Geschlechtshormone und den des Anti-Müller-Hormons im Blut und verbessere zudem den Zustand der Ovarien. Die Gabe bewirkte den Daten zufolge auch, dass sich die Menstruation bei Patientinnen mit PCOS normalisierte. Solche Behandlungen befinden sich noch in frühen Studienphasen – bis sie in großen klinischen Untersuchungen getestet und dann bei entsprechendem Erfolg zugelassen werden, kann es also noch dauern.

Die Hormonstörung ist kontrollierbar

Mit 28 Jahren blickt Caro ernüchtert auf ihre medizinische Odyssee zurück. Wenn sie heutzutage zum Frauenarzt geht, erwähnt sie ihre Diagnose nicht mehr, weil sie nicht das Gefühl hat, dass ihr geholfen wird. »Meine Gesundheit liegt in meiner Hand«, ist sie überzeugt. Rund 30-mal habe sie ihr Gesicht bereits einer Laserbehandlung unterzogen, was sie um die 5000 Euro gekostet habe. Dazu kämen Aknebehandlungen in Höhe zwischen 5000 und 7000 Euro. »Ein teurer Spaß«, sagt sie trocken. Um anderen Frauen einen ähnlichen Leidensweg zu ersparen, klärt sie in den sozialen Medien über die Störung auf und welche Beschwerden sie bei ihr auslöste. »Hätte ich früher gewusst, was ich habe, hätte ich mir so viel Stress, Nerven und Geld gespart.«

Obgleich PCOS aktuell nicht heilbar ist, so lässt sich die Hormonstörung doch einigermaßen gut kontrollieren, betonen die Frauenärztinnen Böttcher und Sonntag. »Die Situation ist sicher noch nicht zufrieden stellend«, so Barbara Sonntag, »aber immer noch deutlich besser als bei Erkrankungen, bei denen ich einfach sagen muss: Sorry, ich kann nichts tun.«

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  • Quellen

Fong, S. L. et al.: Polycystic ovarian morphology and the diagnosis of polycystic ovary syndrome: Redefining threshold levels for follicle count and serum anti-Müllerian hormone using cluster analysis. Human Reproduction 32, 2017

Joham, A. E. et al.: Polycystic ovary syndrome. The Lancet Diabetes and Endocrinology 10, 2022

Ollila, M. M. et al.: OR35–06 polycystic ovary syndrome Is associated with an increased mortality risk. Journal of the Endocrine Society 7, 2023

Teede, H. J. et al.: Recommendations from the 2023 international evidence-based guideline for the assessment and management of polycystic ovary syndrome. The Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism 108, 2023

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