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Klinische Studien: Per App zur klinischen Studie

Das Smartphone als Messinstrument? Die mPower-Studie ergründet per I-Phone-App, wie stark motorische und kognitive Fähigkeiten bei Parkinsonpatienten im Alltag schwanken.
Mann mit Smartphone in der Hand

Smartphones können heutzutage ja eine Menge: Sie sind mobiles Büro, Fitnesscoach, Kommunikationsmittel und Entertainmentcenter, um nur einige Möglichkeiten zu nennen. Dass sie sich darüber hinaus auch für klinische Forschung nutzen lassen, zeigt nun die mPower-Studie zur Parkinsonerkrankung.

Die gemeinnützige Forschungsorganisation Sage Bionetworks aus Seattle (USA) und Forscher der University of Rochester in New York bastelten mit Hilfe von Apples ResearchKit eine App, mit der das Smartphone als Messgerät und Notizbuch fungiert. Seit März 2015 steht sie in den USA zum Download bereit. Die Studie zielt darauf ab, die Parkinsonerkrankung und insbesondere das Auf und Ab der einzelnen Symptome besser zu verstehen.

Morbus Parkinson ist eine neurodegenerative Erkrankung, deren typische Symptome – Zittern, verlangsamte Bewegungen und Muskelstarre – im Krankheitsverlauf immer deutlicher zu Tage treten. Eine Heilung ist bislang nicht möglich, die verfügbaren Therapien können die Beschwerden lediglich lindern. Wie stark einzelne Symptome ausgeprägt sind, variiert jedoch von Patient zu Patient und kann auch von Tag zu Tag schwanken.

Engmaschiger aufzuzeichnen, in welchem Maß einzelne Symptome auftreten und wie die eingenommenen Medikamente sich darauf auswirken, scheint da eine logische Konsequenz zu sein. Ebenso, dass die Wissenschaftler dazu auf ein Instrument zurückgreifen, das mittlerweile in fast jedem Haushalt zu finden ist. Mit seinen eingebauten Sensoren bietet sich das Smartphone als Messgerät für Zuhause an.

Profitieren würden beide Seiten – Betroffene wie Wissenschaftler. Für Patienten bietet die App die Möglichkeit, sozusagen ihre Tagesform festzuhalten. Also: Welche Symptome sind da, wie stark sind sie, wie fühle ich mich damit? Und sie können beobachten, ob und wie sich diese im Lauf der Zeit verändern. Forschern eröffnet die Fülle an Daten neue Einblicke in das vielgestaltige Krankheitsbild Morbus Parkinson und zeigt im besten Fall auf, wo neue therapeutische Maßnahmen ansetzen könnten.

Neue Technik – neue Wege

An der klinischen Beobachtungsstudie "Mobile Parkinson Observatory for Worldwide, Evidence-based Research (mPower)" kann grundsätzlich jeder US-Amerikaner teilnehmen, der volljährig ist und ein I-Phone besitzt. Mit Hilfe von Fragebögen geben die Probanden selbst Auskunft über ihr Befinden und ihren Gesundheitszustand, unter anderem auch darüber, ob bei ihnen Parkinson diagnostiziert wurde. Zum anderen führen sie mit ihrem Smartphone einfache Aufgaben durch, bei denen kognitive und motorische Fähigkeiten gefragt sind. In einem Test beispielsweise erfassen die Sensoren des Smartphones, wie oft ein Proband in 20 Sekunden mit zwei Fingern abwechselnd auf zwei Punkte des Displays tippen kann (so genannter Tapping-Test). Diese Übung erfordert Fingerfertigkeit und Schnelligkeit, beides Fähigkeiten, die eine fortschreitende Parkinsonerkrankung einschränkt.

Die App als solche hat durchaus bereits Einzug in die klinische Forschung gehalten. Stöbert man in der Datenbank ClinicalTrials.gov der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde, tauchen über 200 klinische Studien im Zusammenhang mit dem Suchbegriff "mobile app" auf. Die Anwendungsmöglichkeiten sind vielgestaltig: Amerikanische Wissenschaftler des Massachusetts General Hospital in Boston erproben, ob eine App Krebspatienten dabei unterstützen kann, besser mit ihren Ängsten umzugehen. In 30-minütigen Modulen vermittelt sie Entspannungstechniken oder unterstützt die Patienten dabei, ihren Alltag aktiv zu gestalten. Eine Studie deutscher Forscher geht der Frage nach, ob eine App, die Gesichter auf Fotos künstlich altern lässt, Jugendliche dazu bewegen kann, mit dem Rauchen aufzuhören oder gar nicht erst damit zu beginnen. Die App simuliert, wie unser Selfie in 15 Jahren aussähe, wenn wir jeden Tag eine Packung Zigaretten rauchen würden.

App zur mPower-Studie (Screenshots) | Wer an der mPower-Studie mitwirken möchte, den leitet die App durch alle Phasen – von der Registrierung über die Einwilligung nach erfolgter Aufklärung bis hin zum praktischen Part. Die Teilnehmer beantworten Fragen zu ihrem Befinden und absolvieren eine Reihe von Übungen, die motorische und kognitive Fähigkeiten erfordern.

Bemerkenswert an der mPower-Studie ist jedoch, wie konsequent alles auf das mobile Interface zugeschnitten ist. Das beginnt damit, dass der interessierte Teilnehmer die App bequem im Apple-Store herunterladen kann. Im Anschluss klärt die App umfassend über die Studie auf, so dass sich Interessierte dann für oder gegen eine Teilnahme entscheiden können. Im Fachjargon spricht man von "Einwilligung nach erfolgter Aufklärung", ein fundamentaler Bestandteil jeder klinischen Studie. Ein Besuch im Studienzentrum wird damit überflüssig. Das kommt vermutlich vor allem Patienten zugute, die auf Grund ihrer Parkinsonerkrankung stark in ihrem Bewegungsradius eingeschränkt sind. In einer technikaffinen Welt könnte es darüber hinaus bei einigen Personen die Hemmschwelle senken, an einer klinischen Studie teilzunehmen.

Gleichzeitig geht Sage Bionetworks noch einen Schritt weiter, denn "als Wissenschaftler habe man auch eine moralische Verpflichtung gegenüber den Studienteilnehmern, den wissenschaftlichen Wert der gespendeten Daten so groß wie möglich zu gestalten", kommentieren zwei der Studienautoren in "Nature Biotechnology". Deshalb muss jeder Teilnehmer entscheiden: Sollen die eigenen Studienergebnisse nur den an mPower beteiligten Forschern oder auch anderen Wissenschaftlern weltweit zur weiteren Analyse zur Verfügung stehen?

Gut 78 Prozent der Studienteilnehmer willigten ein, dass andere Wissenschaftler ihre Daten nutzen dürfen, um neue Einsichten zu gewinnen und die Forschung voranzutreiben. Im besten Fall diente dies den Patienten in Form einer verbesserten Therapie. Um diesem großen Zuspruch Rechnung zu tragen, entwickelten die Verantwortlichen der mPower-Studie ein einfaches Verfahren, das den Zugang regelt: Jeder kann sich bewerben, muss sich aber in einem anschließenden Prozess qualifizieren. Wer diesen erfolgreich durchläuft, kann die Studiendaten nutzen, um das von ihm umrissene Vorhaben anzugehen. Dazu stehen den Forschern sowohl die beantworteten Fragebögen als auch die Messungen der Sensoren in verschlüsselter Form zur Verfügung; sie lassen sich also nicht mehr einer bestimmten Person zuordnen. Dieser mehrstufige Prozess – nur verschlüsselte Daten ohne direkten Bezug zu einer Person werden geteilt, interessierte Forscher müssen sich akkreditieren – soll einerseits die Studienteilnehmer schützen und andererseits einen verantwortungsbewussten Umgang mit den erhobenen Messwerten und Informationen sicherstellen.

Das Messgerät Smartphone funktioniert

Nach den ersten sechs Monaten zogen die Leiter der mPower-Studie nun eine Zwischenbilanz. Die Fragebögen und Testaufgaben, die Probanden mit Hilfe ihres Smartphones und der App bewältigten, scheinen ein probates Mittel, um zu erfassen, wie Morbus Parkinson den Einzelnen betrifft. Einerseits schnitten gesunde Personen anders ab als Parkinsonpatienten. Andererseits zeigte sich auch, wie die Medikamente die Leistung der Patienten beeinflussten. In einem Webinar stellte Sage Bionetworks den Beispielfall einer 55 Jahre alten Probandin vor, die den Tapping-Test beinahe täglich zweimal absolvierte. An den meisten Tagen konnte sie deutlich öfter mit ihren Fingern auf das Display trommeln, nachdem sie ihre Medikamente eingenommen hatte. Aber eben auch nicht an allen. Dass sie ihre Tagesform in den sechs Monaten so häufig und so regelmäßig festhielt, erlaubt umfassende Einblicke in das tägliche Auf und Ab im Leben von Parkinsonpatienten. Es zeigt, wie die Medikamente den Menschen oft, aber nicht immer im Alltag zu helfen scheinen. So könnte ein behandelnder Arzt die Medikation zukünftig feiner auf den einzelnen Patienten abstimmen.

Verglichen mit klassischen Studien birgt die Mobilität von mPower wohl einen entscheidenden Nachteil: Die Teilnehmer entscheiden selbst, ob und wann sie die App nutzen, welche Fragen sie beantworten und welche der gestellten Aufgaben sie durchführen. Vielleicht kommen dem anfänglichen Elan auch Alltag und Vergesslichkeit in die Quere, wie das wohl bei den meisten guten Vorsätzen früher oder später passiert. Dadurch ergibt sich für jeden Probanden ein ganz eigenes Set an Messwerten und Informationen, das mehr oder weniger umfangreich ist. Mit dieser Unvollständigkeit müssen die Studienleiter leben.

Noch bis Februar 2017 werden Menschen die mPower-App auf ihrem Smartphone antippen, Fragen beantworten und auf das Display trommeln. Dann erst endet die Beobachtungsstudie und kann in Gänze beurteilt werden. Doch die Analyse – nicht nur durch die Studienleiter selbst – ist bereits eingeläutet: Die ersten Forscher haben sich akkreditiert und können mit den Messwerten arbeiten, die Sage Bionetworks regelmäßig zu aktualisieren beabsichtigt. Welche Erkenntnisse die "qualifizierten" Wissenschaftler aus den Daten ziehen werden und wann sie diese der Fachwelt präsentieren, ist noch nicht abzusehen. Man darf aber gespannt sein. Das Experiment geht weiter.

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