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Pestizide: Insekten sind auch in Naturschutzgebieten belastet

Die Zahl der Insekten in Deutschland ist in den letzten Jahrzehnten dramatisch geschrumpft. Als eine Ursache gelten Pestizide. Sie lassen sich auch in Naturschutzgebieten nachweisen.
Insekten in Malaise-Falle

Viele Naturschutzgebiete in Deutschland sind klein und oft umgeben von landwirtschaftlichen Nutzflächen. Was dort passiert, hat auch Auswirkungen auf die Biotope, etwa weil Regen Düngemittel einwäscht oder der Wind Pestizide verdriftet. In welchem Umfang dies geschieht, zeigt eine Studie in »Scientific Reports« der freien Biologen Thomas Hörren und Martin Sorg vom Entomologischen Verein Krefeld mit einem Team um Gotthard Meinel vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung in Dresden. Der Krefelder Verein hatte 2017 mit einer Studie zum großen Insektenschwund in Deutschland bereits das Licht auf das Insektensterben gerichtet.

Die Biologinnen und Biologen hatten mit so genannten Malaise-Fallen Insekten in 21 Schutzgebieten in verschiedenen Teilen Deutschlands gefangen und die Proben anschließend auf Pflanzenschutzmittel untersucht. Die Analyse erfolgte dabei auf 92 unterschiedliche Wirkstoffe, darunter gängige Fungi- und Insektizide in der Landwirtschaft. Zu den untersuchten Biotopen gehörten auch nach europäischen Richtlinien streng geschützte Ökosysteme wie Kalk- oder Silikatmagerrasen. In den Malaise-Fallen fanden sich zudem unterschiedlichste Insekten von Schwebfliegen über Schmetterlinge bis hin zu Käfern – eine große Bandbreite an Arten und ökologischen Gilden.

Im Schnitt wies die Arbeitsgruppe in den Insektenproben in jedem Schutzgebiet 16 unterschiedliche Pestizide nach, im Maximum fanden sich sogar 27 Pflanzenschutzmittel. Dazu zählten verschiedene Insektizide, die über breite Anwendung eine Vielzahl an Insekten töten sollen und die selbst noch bei kleinen Konzentrationen die biologische Leistungsfähigkeit der Tiere beeinträchtigen können, etwa indem sie die Orientierung oder die Fortpflanzungsfähigkeit der Kerbtiere beeinträchtigen. Ebenfalls festgestellt wurden Herbizide und Fungizide: Pflanzengifte können Nahrungspflanzen der Insekten dezimieren oder wie die Fungizide ebenfalls indirekt die Wirbellosen schädigen. Selbst das von der Europäischen Union mittlerweile gebannte Neonicotinoid Thiacloprid trat noch in 16 der Habitate auf, wahrscheinlich weil noch Restbestände aufgebraucht wurden.

»Über die Kombinationswirkungen ganzer Cocktails verschiedener Pestizide und deren Abbauprodukte auf Insekten weiß man noch viel zu wenig. In den Zulassungsprüfungen wird im Regelfall nur auf Einzelwirkstoffe geprüft«, schreiben die Wissenschaftler in einer Mitteilung. Die Insekten nehmen laut der Studie die Pestizide entweder direkt auf landwirtschaftlich genutzten Flächen in einem Umkreis von zwei Kilometern auf. Oder die Pestizide werden durch Wasser und Wind in die Biotope eingetragen. Dabei sind sie den Einflüssen der benachbarten Nutzflächen meist unmittelbar ausgesetzt, da es keine Pufferzonen oder nur sehr kleine zwischen beiden Arealen gibt.

Insekten in Malaise-Falle | In Malaise-Fallen werden unterschiedliche Insekten gefangen und in Alkohol konserviert, um sie untersuchen zu können – eine Standardmethode der Biologie.

Die meisten Naturschutzgebiete in Deutschland sind klein, zwei Drittel der Gebiete umfassen weniger als 50 Hektar, so dass Insekten mit ihrem oft größeren Flugradius ein- und ausfliegen. In vielen Schutzgebieten ist zudem oft auch konventionell land- oder forstwirtschaftliche Nutzung erlaubt. Für Hörren und Sorg stellen sich daher auch zwei Fragen: »Wie steht es hier zu Lande um eine ausreichend qualifizierte, interdisziplinäre Naturschutzforschung, wenn solche Daten erstmals im Jahr 2021 aufgedeckt werden? Und warum ist bis heute biodiversitätsfördernder Ackerbau ohne Pestizideinsatz sowohl innerhalb als auch am direkten Rand neben wertvollsten Schutzgebieten eine Ausnahmeerscheinung?«

Bis zum Inkrafttreten der neuen Pflanzenschutzanwendungsverordnung im September 2021 war lediglich die Anwendung von sehr bedenklichen Mitteln in Schutzgebieten verboten. Seit der Novellierung dürfen auch bestimmte Herbizide und Insektizide, die als bienengefährlich oder bestäubergefährlich eingestuft werden, nicht mehr hier eingesetzt werden. Vorherige Studien hatten Pestizide vor allem im Boden und im Wasser nachgewiesen. Dank ihrer neu entwickelten Methode konnten die Wissenschaftler direkt überprüfen, wie stark und mit welchen Pestiziden die Insekten selbst belastet sind.

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