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Ungewöhnliche Mutation: Pferde, Esel und Zebras brechen mit genetischem Prinzip

Einhufer sind enorm ausdauernd und leistungsfähig – nicht zufällig misst man die Leistung von Automotoren in der Einheit Pferdestärke. Offenbar ist ein ungewöhnlicher genetischer Mechanismus für diese Eigenschaft verantwortlich.
Eine Herde brauner Pferde galoppiert dynamisch auf den Betrachter zu, während Staub von ihren Hufen aufgewirbelt wird. Die Szene vermittelt Bewegung und Freiheit in einer natürlichen Umgebung. Der Hintergrund ist ein heller Himmel, der die Silhouetten der Pferde betont.
Die Sauerstoffaufnahme der Muskelzellen von Pferden ist im Vergleich zu ihrem Körpergewicht mehr als doppelt so hoch wie bei menschlichen Spitzensportlern.

Nur wenige andere Säugetiere können es mit den sportlichen Fähigkeiten von Pferden aufnehmen. Ihr Muskelgewebe verbraucht mehr als 360 Liter Sauerstoff pro Minute. Die Sauerstoffaufnahme der Muskelzellen im Vergleich zum Körpergewicht ist damit mehr als doppelt so hoch wie bei menschlichen Spitzensportlern. Doch bisherige Forschungsarbeiten konzentrierten sich weitgehend auf körperliche Merkmale wie Größe, Muskelaufbau oder Gangart, um dieser Besonderheit auf die Spur zu kommen. Ein Forschungsteam der Johns Hopkins University und der Vanderbilt University in den USA hat nun eine Mutation entdeckt, die normalerweise die Produktion eines bestimmten Proteins stoppen würde und sich wohl im Verlauf der Evolution zu einem molekularen Vorteil für Einhufer entwickelt hat. Die spezielle genetische Umcodierung verbessert laut den Forschern maßgeblich den aeroben Stoffwechsel und die Energieproduktion bei Pferden, Eseln und Zebras.

In der Studie, die im Fachmagazin »Science« erschienen ist, konzentrierte sich die Gruppe um Erstautor Gianni Castiglione auf das Gen KEAP1 sowie auf den KEAP1-NRF2-Signalweg, der antioxidative Reaktionen und die mitochondriale Energieproduktion reguliert. Bei Vögeln entwickelte sich dieser Stoffwechselweg, um den durch das leistungsfordernde Fliegen verursachten oxidativen Stress zu bewältigen. Frühen Wirbeltieren half er dabei, sich während des Übergangs vom Wasser zum Land an Umweltstressoren wie UV-Strahlung anzupassen. Während der Analyse des besagten Gens und des zugehörigen Signalwegs stießen die Forscher auf ein Stopp-Codon, das bei anderen Tierarten an der Stelle nicht existiert und die Produktion der Aminosäurekette eigentlich frühzeitig beenden müsste. Das resultierende Protein wäre extrem kurz und entsprechend völlig funktionsunfähig.

Dieser Befund machte die Wissenschaftler stutzig. Es folgten unzählige Experimente, um die Proteinstruktur zu untersuchen und das Rätsel zu lösen. Zu ihrer eigenen Überraschung stellten sie fest, dass hier ein genetischer Mechanismus aktiv ist, von dem man dachte, er sei auf Viren beschränkt. Das Gen KEAP1 codiert normalerweise für ein Protein, das aus mehr als 600 Aminosäuren besteht. Das von dem Team entdeckte Stopp-Codon an Position 15 der Aminosäuresequenz würde aber bedeuten, dass nur 14 Aminosäuren produziert werden, bevor der Translationsprozess abbricht. Das ist viel zu kurz, als dass das Protein seine Aufgaben übernehmen könnte. Und trotzdem scheint das Molekül in Pferdezellen vollständig und funktionsfähig zu sein.

Letztlich lieferte die Analyse mittels Massenspektrometrie die Erklärung. Anstatt den Übersetzungsprozess anzuhalten, wird das Stopp-Codon »überlesen« und als Cystein-Codon interpretiert – die Translation läuft also unbeeindruckt weiter. Ein derartiger Bruch gängiger genetischer Regeln sei zuvor noch bei keinem Wirbeltier für ein Gen wie KEAP1 dokumentiert worden, schreiben die Forscher in ihrer Arbeit.

Wie aber hängt nun diese Punktmutation mit der erhöhten Leistungsfähigkeit von Pferden zusammen? Die Wissenschaftler vermuten, dass die genetische Umcodierung den KEAP1-NRF2-Signalweg verändert: Die mitochondriale Sauerstoffverbrauchsrate sowie die Produktion des Energieträgers ATP wird dadurch gesteigert und der oxidative Stress in der Zelle gleichzeitig vermindert. Dadurch ist die Muskulatur der Pferde leistungsfähiger, da sie pro Zeit mehr Sauerstoff verstoffwechseln und entsprechend mehr Energie umsetzen kann. Eine verblüffende Lösung der Evolution.

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  • Quellen
Science 10.1126/science.adr8589, 2025

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