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Naturschutz: Phosphor macht fett

Wer Vielfalt schützen will, muss die Ursachen ihres Rückgangs kennen - sonst geht so manche Rettungsaktion daneben. Dazu gehört auch, althergebrachte Meinungen auf den Prüfstand zu stellen. Denn das Übel nährt sich manchmal an ganz anderer Wurzel.
Wasjugan-Moor
Sumpf-Stendelwurz | Die gefährdete Sumpf-Stendelwurz (Epipactis palustris), eine Orchidee, lebt an Standorten mit geringer Phosphor-Verfügbarkeit.
Sie sind selten geworden, jene bunten Orchideenwiesen mit ihrem beeindruckenden Artenreichtum. Kaum zu glauben, dass sie eigentlich Zeichen großer Armut sind: Die Böden zu ihren Wurzeln sind ausgesprochen mager an Nährstoffen wie Stickstoff und Phosphor. Doch wie vom Menschen gefördert – jede Mahd oder intensive Beweidung entzieht dem System Nährstoffe –, so vom Menschen vernichtet: Durch Dünger und Luftverschmutzung, die den Boden reicher machen, ebnet er konkurrenzstärkeren Arten den Weg, welche die pflanzlichen Hungerkünstler verdrängen. Wenn dann erstmal Löwenzahn und Co sprießen, ist die Fettwiese perfekt.

Sumpf-Herzblatt | Auch die Rote-Liste-Art Parnassia palustris, das Sumpf-Herzblatt (rechts), ist ein Phosphormangel-Überlebenskünstler.
Um die Magerköstler zur Rückkehr zu bewegen, verordnen Naturschützer solchen Gebieten gern eine Hungerkur: Sie führen die frühere Nutzung als Mähwiese oder Weide wieder ein und versuchen so, den Nährstoffgehalt zu drücken. Die Maßnahmen sind jedoch nicht immer erfolgreich. Vielleicht, weil sich die Anstrengungen auf den falschen Schuldigen konzentrieren?

Denn bislang gilt Stickstoff in unseren Breiten als Mangelfaktor im Boden-Nährstoffangebot. Damit wäre er auch hauptverantwortlich für den Rückgang unter Magerkost prosperierender Arten. So haben zahlreiche Studien und Feldbeobachtungen einen engen Zusammenhang zwischen steigender Produktivität und Stickstoffkonzentration und sinkender Biodiversität gezeigt.

Torfhügel | Aufgewölbte Torfhügel, so genannte Palsen, bieten in der Tundra zahlreichen gefährdeten Arten einen einzigartigen Lebensraum.
Martin Wassen von der Universität Utrecht und seine Kollegen jedoch hegten Zweifel. Nicht immer ist schließlich Stickstoff der limitierende Faktor: In Gewässern beispielsweise begrenzt Phosphor wucherndes Wachstum. Könnte er daher nicht auch an Land die Finger im Spiel haben?

Die Botaniker analysierten von den Niederlanden und Belgien über Polen bis nach Sibirien die Artenzusammensetzung verschiedener feuchter Standorte – von Mooren und Sümpfen bis Feuchtwiesen –, zählten die Rote-Liste-Vertreter als Repräsentanten gefährdeter Magerlebensräume und ermittelten den limitierenden Nährstoff anhand einer Elementanalyse pflanzlicher Biomasse. Der Clou an der Sache: Je weiter die Forscher gen Osten kamen, desto weniger Stickstoff steht für die Pflanzen im Angebot, da der Eintrag durch die Luft immer geringer wird.

Wasjugan-Moor | Ein Blick aus dem Hubschrauber über die endlosen Weiten des Wasjugan-Moores in Westsibirien, die größte noch intakte Moorlandschaft der Welt: Auch hier gedeihen unter Phosphormangel viele pflanzliche Magerkostspezialisten, die in ihrem Bestand bedroht sind, weil ihr Lebensraum immer knapper wird.
Die Ergebnisse zeigten zunächst das bekannte Muster: Gefährdete Arten fanden sich vor allem, wie erwartet, in Gebieten mit magerer Nährstoffversorgung – hier drohte ihnen schließlich keine Konkurrenz. In den Niederlanden und Belgien standen dabei weitaus die meisten auf Böden mit geringem Phosphorangebot. Das passt zur Vermutung, dass die ausgeprägte Stickstoffdüngung durch die Luft hier früher magere Standorte angereichert, die Produktivität gesteigert und damit die Hungerkünstler vertrieben hat – sofern nicht Phosphor für die Schlemmer zum Begrenzungsfaktor wurde. Und: In Polen und Sibirien, wo beide Nährstoffe Mangelware sind, zeigten manche Arten keinerlei Vorliebe für stickstoff- oder phosphorlimitierte Standorte – Hauptsache hager.

Sumpfgebiet | Ein Sumpfgebiet in Westsibirien: Niedrige Phosphorgehalte ermöglichen hier eine artenreiche Vegetation anderswo verdrängter Arten.
Doch so manches passte nicht ins Bild: Bei jenen gefährdeten Arten, die bei den Nährstoffen doch eine Präferenz zeigten, überwogen die Phosphormangeldulder. Außerdem war höchst überraschend und entgegen jeder Erwartung in den meisten mageren Ecken der Niederlande und Belgien keineswegs Phosphor, sondern Stickstoff unterrepräsentiert – siebzig Prozent der gefährdeten Arten drängelten sich dort aber in den phosphorlimitierten Feuchtgebieten. Überhaupt stieg die Zahl der Rote-Liste-Arten an, je stärker sich Phosphor als begrenzender Faktor offenbarte.

Wieso das – gibt es mehr Phosphormangel-Spezialisten als Stickstoffmangeldulder? Das ist unwahrscheinlich, da sich dann die Artenzahl an den beiden Typen von Magerstandorten deutlich unterscheiden müsste – und das tut sie nicht. Auch passt die Erklärung nicht, dass es mehr phosphorlimitierte als stickstoffbegrenzte Standorte gibt: Ausgerechnet im gut gedüngten Beneluxgebiet zeigt sich genau das Gegenteil.

Der Ob bei Nowosibirsk | Das Tal des Ob in der Nähe von Nowosibirsk beeindruckt durch seinen Artenreichtum.
Am wahrscheinlichsten ist, so schließen die Forscher, dass der Mensch mit seinen Aktivitäten phosphorlimitierte Lebensgemeinschaften einfach stärker beeinträchtigt hat. Sei es durch Grundwasserentnahme, die den Fluss von Phosphor bindenden Eisen- und Kalzium-Ionen in Feuchtgebiete mindert, sei es durch den Eintrag von Phosphor über Oberflächengewässer und eine veränderte Dynamik von Überflutung und Trockenfallen – alles Prozesse, welche die Pflanzenverfügbarkeit des Nährstoffes erhöhen und damit den Boden ebnen für die Verdrängung der Magerköstler. Unausweichliche Folge ist, dass diese dann auch entsprechend verstärkt die Roten Listen füllen.

Wenn aber Phosphor das Hauptproblem ist und nicht Stickstoff, dann ist auch klar, warum so manche Pflegemaßnahme wirkungslos bleibt: Anders als Nitrat, das im Bodenwasser gelöst recht schnell auf Reisen geht, bleibt Phosphat, eng an Tonminerale gebunden, an Ort und Stelle und damit noch lange verfügbar. Gerade ehemalige Äcker knabbern noch lange an diesem internen Düngervorrat. Um die Hungerkur erfolgreich zu machen, ist daher ein viel umfassenderer Ansatz als Mähen und Beweiden nötig.

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