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Nobelpreis für Physik 2025: Quantenphysik auf einen Chip gebannt

John Clarke, Michel Devoret und John Martinis wiesen Quantenphänomene auch auf makroskopischer Ebene nach. Mit einem geschickten Versuchsaufbau brachten sie den quantenmechanischen Tunneleffekt auf die Skala elektronischer Schaltkreise. So ebneten sie den Weg für moderne Quantencomputer.
Ein abstraktes Schaltkreis-Diagramm in Blautönen, das komplexe Verbindungen und leuchtende Knotenpunkte zeigt. Die Linien und Punkte symbolisieren elektronische Verbindungen und Datenflüsse, die in einem Netzwerk oder Computerchip vorkommen könnten. Die Darstellung vermittelt ein Gefühl von Technologie und digitaler Vernetzung.
Selbst Bauteile aus Milliarden von Teilchen können sich verhalten wie ein einziges Quantenobjekt.

Die Quantenmechanik hat es nicht leicht. Unverständlich sei sie, gegen jede Intuition, alltagsfern und nur für winzige Teilchen relevant. Zugegeben, einige Schwierigkeiten birgt die Theorie. Doch dafür, dass sie mit mindestens einem dieser Vorurteile aufgeräumt haben, werden die diesjährigen Physik-Nobelpreisträger geehrt. Sie haben bereits vor 40 Jahren Quanteneffekte im Wortsinn begreifbar gemacht und gezeigt: Auch etwas, das mit bloßem Auge sichtbar ist, kann sich quantenmechanisch verhalten.

Vernünftigerweise würde niemand mit Anlauf gegen eine Wand rennen, in der Erwartung, unverletzt auf der anderen Seite anzukommen. Die Gesetze der Quantenmechanik hingegen belohnen solche Unvernunft. Sie erlauben es einzelnen Teilchen, eine Energiebarriere zu durchdringen, zu »tunneln«. Mit gewisser Wahrscheinlichkeit erscheinen sie auf der anderen Seite, obwohl sie dafür eigentlich nicht die nötige Energie gehabt haben.

Doch gilt das nur für einzelne Teilchen? Wo liegt beim Tunneleffekt die Grenze zwischen klassischer und Quantenwelt? Das haben John Clarke, Michel Devoret und John Martinis in den Jahren 1984 und 1985 mit einer Reihe von Experimenten ausgelotet.

Alphazerfall | Seit knapp 100 Jahren ist bekannt, dass der Tunneleffekt für den radioaktiven Alphazerfall verantwortlich ist: Dabei spaltet sich ein kleiner Teil des Atomkerns ab und überwindet eine Potenzialbarriere.

Die drei Forscher experimentierten mit elektronischen Schaltkreisen aus Supraleitern; das sind Bauteile, die Strom ohne elektrischen Widerstand leiten. Dabei waren die supraleitenden Drähte durch eine dünne Schicht getrennt. Auch dann noch kann ein Strom zwischen beiden Hälften fließen, weil einzelne Ladungsträger durch die Barriere tunneln. Das war bereits bekannt: Ein solcher »Josephson-Kontakt« ist nach dem Theoretiker Brian Josephson benannt, der für die Entdeckung seinerseits im Jahr 1973 den Nobelpreis erhielt.

Allerdings ging es Clarke, Devoret und Martinis bei ihren Experimenten um mehr: Sie wollten nachweisen, dass sich sämtliche Teilchen in ihrem supraleitenden Draht wie ein einziges Quantenobjekt verhalten, das den gesamten Schaltkreis ausfüllt. Wenn dem so wäre, ließen sich Milliarden von Objekten gleichzeitig manipulieren. Man hätte also ein makroskopisches elektronisches Bauteil geschaffen, das sich quantenmechanisch kontrollieren und vermessen lässt – auf eine ähnliche Weise wie ein einzelnes Atom im Labor, das man in verschiedene Zustände anregen kann.

Strom im Draht

Theoretisch war bereits klar, was passieren sollte: Dieses makroskopische, teilchenähnliche System sollte zwei unterschiedliche Zustände aufweisen. Einerseits einen, in dem Strom ohne messbare Spannung durch den Draht fließt, andererseits einen Zustand, bei dem man eine Spannung feststellen kann. Zwischen beiden befindet sich eine Energiebarriere. Diese kann das System auf quantenmechanische Weise überwinden, nämlich durch Tunneln. Sollte es gelingen, eine entsprechende Spannung zu messen, die zu der theoretischen Vorhersage passt, hätte man den Übergang vom einen in den anderen Zustand nachgewiesen.

Zwischen dem 6. und dem 13. Oktober geben die Nobelkomitees die Preisträger des Jahres 2025 bekannt. Auf unserer Themenseite »Nobelpreise – die höchste Auszeichnung« erfahren Sie, wer einen der renommierten Preise erhalten hat. Dort können Sie außerdem das Wesentliche über die Laureaten und ihre Forschung nachlesen.

Bereits zuvor haben andere Arbeitsgruppen versucht, dem Effekt in Experimenten nachzugehen. Das Prinzip ist relativ einfach: Man schickt einen zunehmend stärkeren Strom durch den supraleitenden Schaltkreis und schaut, ab wann plötzlich eine Spannung auftritt.

Unterhalb des kritischen Stroms verhält sich das System, als wäre ein Teilchen in einem energetischen Tal gefangen. Es kann weder den Energieberg überwinden noch die Energiebarriere durchdringen und daher keine Spannung hervorrufen. Ab einem gewissen Strom ist ihm das möglich, weil es dann genug Energie erhält, um hindurchzutunneln.

Wie trennt man beide Welten voneinander?

Allerdings können Teilchen auch auf klassische Weise eine Energiebarriere überwinden, nämlich indem sie den ganzen Weg über den Berg nehmen. Ihre Umgebung kann ihnen dafür gewissermaßen einen Schubs geben. Eine solche subatomare Kletterhilfe liefert die Temperatur: Je höher sie ist, desto schneller wackelt auf molekularer Ebene alles umher und desto eher wird das Teilchen zufällig hinübergestoßen. Die Forschungsteams wollten hingegen wahres Quantentunneln feststellen, und das hängt hier nicht von der Temperatur ab, sondern vom Strom.

Ein Problem, das die Forschungsgruppen in den 1980er Jahren hatten: Unerkannte Temperaturschwankungen innerhalb des Experiments lassen es von außen mitunter so wirken, als wäre das Teilchen quantenmechanisch durch die Barriere getunnelt, obwohl es in Wahrheit klassisch darübergehoben wurde. Wie ließ sich unzweifelhaft nachweisen, dass man es mit einem echten Quantenphänomen zu tun hatte? Hinzu kam, dass sich oft entscheidende Parameter des Versuchsaufbaus, die für einen Abgleich mit der Theorie nötig waren, nicht unabhängig bestimmen ließen. Bei den Auswertungen floss so viel zusammen, dass ein mögliches Quantenverhalten nicht mehr klar herauszulesen war.

Mikrowellen als Manipulatoren

Die entscheidenden Ideen hatte John Clarke, der seinerzeit an der University of California in Berkeley forschte, zusammen mit seinem Doktoranden John Martinis und ihrem französischen Kollegen Michel Devoret, der gerade aus Paris nach Berkeley gekommen war.

Mit einem Kupferpulver zwischen Stromquelle und Josephson-Kontakt filterten sie thermisches Rauschen heraus. Nun konnte nur noch der Strom selbst Impulsgeber für das Teilchen sein. Außerdem versetzten sie – als würden sie ein Musikinstrument mit Stimmgabeln untersuchen – das Bauteil durch Mikrowellen in Schwingung und ermittelten anhand der Resonanz einige seiner wesentlichen Eigenschaften. So konnten sie alle maßgeblichen Parameter voneinander entwirren und die theoretische Vorhersage klar mit den Daten abgleichen, die sie im Experiment erhielten.

Supraleitender Schaltkreis | John Clarke, Michael Devoret und John Martinis haben ein Experiment mit einem supraleitenden elektrischen Schaltkreis entworfen, der sich in einem etwa einen Zentimeter großen Chip befindet. Zuvor war der Tunneleffekt nur in Systemen mit einzelnen oder sehr wenigen Teilchen untersucht worden. Doch in den Versuchen der Preisträger äußerte sich das Phänomen in einem Aufbau mit Millionen von Cooper-Paaren, die den gesamten Supraleiter auf dem Chip durchdringen. Dadurch beförderte das Experiment den bizarren Quanteneffekt von der mikroskopischen auf eine makroskopische Ebene.

Übrig blieb ein eindeutiger Befund. Während sie die Temperatur immer weiter absenkten, maßen Clarke, Martinis und Devoret, wie das makroskopische Teilchen im Schaltkreis die Barriere überwand. Zunächst verhielt sich noch alles so, wie es auch bei einem klassischen System zu erwarten war. Doch unterhalb einer Temperatur von etwa 20 Millikelvin (das heißt nur noch knapp jenseits des absoluten Temperaturnullpunkts) sprang es auf eine Art und Weise vom spannungsfreien in den spannungsbehafteten Zustand, der sich bloß quantenmechanisch erklären ließ.

Dabei passte nicht nur der reine Zahlenwert zur theoretischen Vorhersage. Überdies verhielt sich das System überhaupt streng quantenmechanisch, wie die drei Forscher in weiteren Versuchen durch Anregung mit Mikrowellen feststellten. Ähnlich, wie ein Atom nur ganz spezifische Wellenlängen absorbiert, nahm auch das künstliche Riesenteilchen im Stromkreis nur bestimmte Energiemengen auf. Die Daten ließen keinen Zweifel mehr zu: Den drei Forschern war es zum ersten Mal gelungen, im Labor ein makroskopisches Objekt herzustellen, das sich quantenmechanisch verhielt. Ein Draht, den man mit bloßem Auge sehen kann, tunnelte vom einen zum anderen Zustand und wies sogar Energieniveaus auf – wie ein einzelnes Atom!

Quantisierte Zustände | Ein Quantensystem hinter einer Barriere kann nur häppchenweise bestimmte Energiewerte aufnehmen oder abgeben: Das System ist »quantisiert«. Der Tunneleffekt tritt aus statistischer Sicht öfter in höheren Energieniveaus auf als in niedrigeren. Daher lässt sich ein hochenergetisches System nur für kurze Zeit einsperren.

Vom einzelnen Schaltkreis zum Quantencomputer

Heute, 40 Jahre später, lassen sich solche künstlichen Riesenatome immer besser manipulieren – und nutzen. Schon im Jahr 2014 engagierte der Tech-Gigant Google John Martinis, um einen Quantencomputer zu bauen, der auf genau solchen supraleitenden Drähten basiert. Wenige Jahre später verkündete das Unternehmen bereits erste Erfolge, und trotz Konkurrenz durch andere Quantensysteme haben supraleitende Schaltkreise bei der Entwicklung von Quantencomputern weiter eine führende Rolle. Bei einem Interview mit »Spektrum« erklärte Martinis im Jahr 2018, wie sich seine nun mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Entdeckung für Quantencomputer nutzen lässt: »Der Isolator im Josephson-Kontakt ermöglicht es uns, genau zwei unterschiedliche Übergänge anzusprechen, die sich dann überlagern können.« Wie er weiter ausführte, würde man auf so einen elektrischen Schaltkreis normalerweise klassische Physik anwenden. »Aber hier sind die Spannungen und Ströme quantenmechanische Größen, die von einer Wellenfunktion beschrieben werden. Das bedeutet, dass die Ströme in unseren Qubits zugleich in die eine und die andere Richtung fließen.« Es sei, das gab Martinis zu, ein ungewöhnlicher Blick auf die Quantenmechanik. Doch es ist einer, der die Zukunft prägen könnte.

Supraleitende Schaltkreise

Außerdem helfen Quantencomputer dank dieser besonderen Perspektive möglicherweise dabei, weitere Vorurteile gegenüber der Quantenmechanik abzubauen und die Theorie besser zu verstehen. Diese Hoffnung äußerte jedenfalls Michel Devoret im Gespräch mit »Quantum Insider«: »Das Faszinierende am Quantencomputer ist, dass er die Quantenmechanik auf eine bessere Weise vermitteln kann als alles andere, weil man auf den uns gewohnten Skalen mit quantenmechanischem Verhalten experimentieren kann.« Man erlebe sie hier »nicht nur als mathematische Gleichungen, sondern wirklich als etwas ganz Praktisches«.

Im Jahr 1985 hatte indes niemand aus dem Team mit solchen Entwicklungen gerechnet, erinnerte sich John Clarke unmittelbar nach der Verkündung während einer Telefonschaltung: »Wir haben damals nicht erwartet, dass das einmal einen Nobelpreis wert sein würde.« Der von der Ehrung hörbar überwältigte Clarke verlor im Gespräch mit der versammelten Presse immer wieder den Faden. An Quantencomputer hatte erst recht keiner gedacht: »Uns war nicht bewusst, dass die Entdeckung solche Auswirkungen haben würde.« Dabei hat die Ära der Quantencomputer gerade erst begonnen. Nach einem Nobelpreis für die Grundlagen der Quantenkommunikation im Jahr 2022 wird die Quanteninformatik sicher weiter für den einen oder anderen überraschenden Anruf aus Stockholm sorgen.

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  • Quellen

Devoret, M. H. et al., Physical Review Letters 10.1103/PhysRevLett.55.1908, 1985

Martinis, J. M. et al., Physical Review Letters 10.1103/PhysRevLett.55.1543, 1985

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