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Elektromagnetismus: Physiker gewinnen elektrische Energie aus der Erdrotation

Eigentlich sollte es unmöglich sein, Strom zu erzeugen, indem man die Drehung der Erde durch ihr eigenes Magnetfeld ausnutzt. Doch zwei Physiker fanden ein theoretisches Schlupfloch. Nun setzten sie das Prinzip in einem Experiment erfolgreich um.
Eine leuchtende, halb transparente Darstellung der Erde mit Nord- und Südamerika im Vordergrund, umgeben von orangefarbenen Linien, die magnetische Felder symbolisieren. Das Magnetfeld geht von einem leuchtenden Kern in der Erdmitte aus.
Das Magnetfeld der Erde geht von ihrem flüssigen Kern aus und läuft durch den Planeten, ähnlich wie bei einem gigantischen Stabmagneten. Das lässt sich an der Erdoberfläche nicht nur ausnutzen, um mit einem Kompass zu navigieren, sondern sogar zur Energiegewinnung.

In der 200 Jahre alten Theorie des Elektromagnetismus könnte sich ein Hinweis auf eine nahezu unerschöpfliche Energiequelle verbergen. Das unerwartete Schlupfloch haben Physiker in den USA entdeckt und erfolgreich ausgenutzt. Das Team zapfte in einem Experiment die Energie der Erde an, während sich diese durch ihr Magnetfeld bewegt.

Bereits im Jahr 2016 hatten der Astrophysiker Christopher Chyba von der Princeton University und der Planetenwissenschaftler Kevin Hand vom California Institute of Technology in Pasadena ihr Konzept vorgestellt, zunächst rein theoretisch. Es basiert auf zwei grundlegenden Erkenntnissen des Elektromagnetismus und zeigt eine trickreiche Möglichkeit auf, die vermeintlichen Einschränkungen beim Ausnutzen des Erdmagnetfelds zu umgehen.

Das erste Prinzip ist seit mehr als 100 Jahren bekannt: Wenn sich ein Stabmagnet um seine Nord-Süd-Achse dreht, dann rotiert sein Feld nicht mit. Die Oberfläche des Magneten bewegt sich also ständig durch das Magnetfeld. Das gilt genauso für die Erde und ihr Feld.

Die zweite fundamentale Erkenntnis sollte allerdings verhindern, dass sich dieser Effekt nutzen lässt, um daraus elektrische Energie zu gewinnen. Zwar wirkt auf die einzelnen Ladungsträger in einem elektronischen Gerät eine Kraft, wenn sie durch ein Magnetfeld streifen. Aber die sorgt wiederum dafür, dass sich die Elektronen blitzschnell neu anordnen. Dadurch entsteht zwischen ihnen und den übrig gebliebenen Atomrümpfen ein elektrisches Feld, das der äußeren magnetischen Kraft entgegenwirkt. Deswegen kann das Gerät keine elektrische Energie erzeugen. Denn mit der Zeit ändert sich nichts mehr an der ausgeglichenen Gesamtsituation, während sich alles mit konstanter Geschwindigkeit durch ein räumlich homogenes Magnetfeld bewegt.

Mit exotischen Materialien zu einer außergewöhnlichen Stromquelle

Chyba und Hand entdeckten jedoch ein Schlupfloch bei diesem Argument: Man muss dafür sorgen, dass sich die äußere magnetische und die innere elektrische Kraft nicht vollständig die Waage halten. Das kann gelingen, argumentierten sie in ihrer Veröffentlichung von 2016, wenn man ein Material mit speziellen magnetischen Eigenschaften verwendet. Dort könnten sich die Ladungsträger nicht entsprechend umordnen. Wie die beiden Physiker vorrechneten, könnte man einen hohlen Zylinder aus einem solchen Stoff fertigen und ihn so zum Erdmagnetfeld ausrichten, dass durch das Bauteil ein ständiger elektrischer Strom fließt. Dieser ließe sich dann anzapfen.

Anschließend machten sich Chyba und Hand daran, ein passendes Material zu finden, daraus einen Hohlzylinder zu bauen und mit der Konstruktion in einem Experiment zu demonstrieren, dass das Prinzip wirklich funktioniert. Neun Jahre später vermelden sie endlich einen Erfolg. Parallel zu der Veröffentlichung vom 19. März 2025 in einem Fachjournal stellte Christopher Chyba die Ergebnisse am selben Tag während einer physikalischen Konferenz in Kalifornien vor.

Für ihren Hohlzylinder wählten Chyba und Hand ein Material namens Mangan-Zink-Ferrit. Das Werkstück montierten sie zusammen mit Elektroden und Messgeräten auf einer drehbaren Acrylglasplatte. Sobald sie die Zylinderachse sowohl senkrecht zur Drehung der Erde als auch senkrecht zum Erdmagnetfeld ausrichteten, maßen sie eine geringe Spannung. Diese verschwand, wenn sie den Zylinder parallel zur Erdrotation orientierten. Das sowie die Stärke der Spannung entsprachen ihren berechneten Vorhersagen. Zur Kontrolle montierten sie auf gleiche Weise einen Vollzylinder aus Mangan-Zink-Ferrit sowie einen Hohlzylinder aus einem anderen Stoff mit üblichem magnetischem Verhalten. In diesen Fällen erwarteten sie theoretisch keine Spannung – und fanden auch experimentell keinen Effekt.

Energie aus der Erddrehung | Bei dem Experiment befand sich ein mit Elektroden versehener Hohlzylinder aus einem speziellen Material auf einer Acrylglasscheibe. Die gesamte Apparatur wurde passend zum Magnetfeld sowie zur Bewegungsrichtung der Erdoberfläche ausgerichtet. Messgeräte zeigen eine erzeugte Spannung von 18 Mikrovolt an.

Allerdings war die Spannung, die Chyba und Hand an ihrem 30 Zentimeter langen Hohlzylinder abgreifen konnten, winzig. Sie betrug lediglich rund 18 Mikrovolt (millionstel Volt). Die Physiker wollten aber auch gar kein praktisch nutzbares System designen, sondern lediglich nachweisen, dass ihr Prinzip funktioniert.

Wie sie in ihrer Publikation schreiben, hoffen sie darauf, dass andere Forschungsgruppen die Resultate zunächst bei unabhängigen Experimenten bestätigen. Anschließend stünde der Weg offen, den Effekt »auf größere Skalen zu übertragen und nutzbare elektrische Energie zu produzieren«. Revolutionäre Anwendungen erwarten die Physiker nicht so bald. Sie schreiben aber, solche Geräte ließen sich beispielsweise als eine Art Batterie nutzen, die mit der Zeit nicht in ihrer Leistung nachlässt.

Die elektrische Energie aus der Vorrichtung kommt freilich nicht aus dem Nichts; das fundamentale Gesetz der Energieerhaltung gilt auch hier. Sie wird vielmehr der Rotationsenergie der Erde entzogen, das Gerät bremst also die Erde ein wenig ab. Doch die Geschichte dieser Entdeckung ist kein Stoff für Katastrophenfilme. Dem gewaltigen Drehimpuls unseres riesigen Planeten kann der Effekt nicht merklich etwas anhaben. Bereits in ihrer Veröffentlichung aus dem Jahr 2016 haben die Physiker ausgerechnet: Selbst in einem höchst spekulativen Szenario, bei dem die Menschheit ihren gesamten gegenwärtigen Bedarf an elektrischer Energie deckt, indem sie dergestalt das Magnetfeld der Erde anzapft, würde sich die Erddrehung kaum verlangsamen. Der Preis unerschöpflicher elektrischer Energie wäre pro Jahrzehnt weniger als eine Millisekunde.

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  • Quellen

Chyba, C. F. et al.: Experimental demonstration of electric power generation from Earth’s rotation through its own magnetic field. Physical Review Research 7, 2025

Chyba, C. F., Hand, K. P.: Electric power generation from Earth’s rotation through its own magnetic field. Physical Review Applied 6, 2016

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