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Phytomining: Wer Pflanzen sät, darf Nickel ernten

Grüne Technologien benötigen Rohstoffe, deren Abbau ökologische und soziale Probleme bereitet. Spezielle Pflanzen könnten helfen, solche kritischen Metalle völlig anders zu gewinnen.
Spielerisch anmutender Eingang zu einem Gelände mit der Aufschrift »Nickel Garden«, hinter dem sich Bäume und andere Pflanzen zeigen
Der »Nickel Botanical Garden« in Malaysia dient Forschern als genetisches Reservoir für seltene Pflanzen, die besonders viel des wertvollen Metalls speichern.

Elektroautos, Batterien, Windräder, Smartphones: All diese Technologien, seien sie wichtig für die klimaneutrale Energieerzeugung oder unverzichtbar für unseren digitalen Lebensstil, benötigen spezielle Metalle. Entsprechend wächst die Nachfrage nach Lithium, Mangan, Kobalt, Nickel und seltenen Erden – künftig tendenziell noch stärker als bislang. Prognosen der EU-Kommission deuten darauf hin, dass der Bedarf an Lithium und Kobalt bis 2050 auf das 60- beziehungsweise 15-Fache steigen könnte. Bei seltenen Erden könnte sich die Nachfrage bis 2050 verzehnfachen.

Das ist ein Problem. Nicht nur, weil die Quellen für die begehrten Rohstoffe teils schwer zu erreichen, teuer zu erschließen oder quasi komplett im Besitz einzelner Länder sind. Sondern auch, weil ihr Abbau tief greifende Schäden in der Umwelt hinterlässt – verödete Landschaften, giftige Abraumhalden oder auch tödliche Flutwellen, wenn mal ein Damm bricht, wie etwa 2019 in einer brasilianischen Eisenerzmine. Was aber, wenn man die essenziellen Metalle durch den Anbau von Pflanzen gewinnen könnte?

So weit hergeholt das im ersten Moment klingen mag: Forschungsgruppen weltweit arbeiten an Methoden, Pflanzen auf diese Weise zu nutzen. Die Idee ist im Grunde nicht neu. Bereits in den 1940er Jahren entdeckten Wissenschaftler in Italien die Pflanze Alyssum bertolonii, die ungewöhnlich hohe Nickelkonzentrationen in ihrem Gewebe speichert. In den 1970er Jahren wurde in Neukaledonien der Nickelbaum Pycnandra acuminata entdeckt, dessen blaugrüner Pflanzensaft sogar 25 Prozent Nickel enthält. Heute kennt man mehr als 700 Pflanzenarten, die Metallionen aus verschiedenen Böden aufnehmen und in ihrem Gewebe speichern können, so genannte Hyperakkumulator-Pflanzen.

Beim Phytomining oder Agromining werden wertvolle Metalle direkt aus diesen Pflanzen gewonnen. Die Pflanzenbiomasse wird nach der Ernte enzymatisch, chemisch, pyrolytisch oder durch Verbrennen aufgeschlossen, um die Metalle aus den Rückständen zu extrahieren. Die energetische Nutzung der Biomasse kann zudem zusätzlichen wirtschaftlichen Gewinn bringen. Im Agromining liegt der Schwerpunkt stärker auf der landwirtschaftlichen Nutzung. Die Landwirte ernten, salopp gesagt, Metalle statt Nutzpflanzen.

Hyperakkumulator-Pflanzen und Phytomining können eine umweltfreundliche Alternative zu den herkömmlichen Bergbaumethoden darstellen. Dazu müssen die Pflanzen auf einem Boden wachsen, der das entsprechende Metall in großen Mengen enthält. Geeignete metallreiche Böden finden sich vor allem in Neukaledonien, Kuba, Albanien oder auf dem Balkan. Dort haben geologische Prozesse wie tektonische Hebung ultramafische und serpentinitische Gesteine an die Erdoberfläche gebracht. Solche sehr eisen- und magnesiumreichen Gesteine enthalten oft hohe Anteile von wertvollem Nickel, Mangan oder Kobalt. Aber auch Abraum- und Schlackenhalden stillgelegter Minen sind potenzielle Quellen für die Metallpflanzen, genau wie Industrieabfälle, aus denen sich wertvolle Rohstoffe zurückgewinnen lassen. Neben den erwähnten Nickel-Spezialisten gibt es Pflanzen, die Kobalt, Mangan, Germanium, Zink oder Selen aufnehmen, während wieder andere seltene Erden aus dem Boden ziehen. Besonders spektakulär ist auch der Fund von Gold in Eukalyptusbäumen in Australien.

Wissenschaftler untersuchen seit vielen Jahren, welche Pflanzenarten sich grundsätzlich für welche Metalle am besten eignen, welche Umweltfaktoren die Metallaufnahme beeinflussen und wie sich der Ertrag durch Pflanzeneigenschaften und Bodenmikroorganismen optimieren lässt. Der weltweit erste Nickel-Botanical-Garden in Ranau (Malaysia) dient den Forschern dabei als genetisches Reservoir für seltene Nickel-Hyperakkumulatoren.

Trotz langjähriger Forschung ist aber die Frage nach dem Warum nicht abschließend geklärt: Nehmen die Pflanzen die Metalle als Fraßschutz gegen Insekten auf oder ist es ein zufälliger Ko-Transport auf Grund von Ähnlichkeiten mit anderen Ionen oder doch etwas ganz anderes?

»Phytomining hat sich von einer wissenschaftlichen Idee zu einer Realität entwickelt, um die Auswirkungen des Bergbaubooms auf die Umwelt zu reduzieren, der von der Nachfrage nach kritischen Metallen angetrieben wird«, sagt Antony van der Ent. Der Phytomining-Experte von der Wageningen University & Research in den Niederlanden forscht seit mehr als zehn Jahren an Nickel-Hyperakkumulatoren und hat in Europa, Australien und Neukaledonien untersucht, ob sich das Konzept wirtschaftlich und großflächig anwenden lässt. Wegen der enormen Nachfrage nach Nickel in Lithium-Ionen-Batterien hält der Forscher das Nickel-Phytomining auf natürlichen ultramafischen Böden im Mittelmeerraum und auf dem Balkan für am vielversprechendsten. Dort akkumulieren Pflanzen das Metall in ihrem Gewebe, und die Asche der verbrannten Biomasse kann bis zu 20 Prozent Nickel enthalten – das ist vergleichbar mit hochwertigen Erzen.

Mauersteinkraut | Auf metallreichen Böden in Albanien wächst das Mauersteinkraut. Die Pflanze reichert dabei Nickel aus dem Boden an.

Die Rückgewinnung aus Industrieabfällen kann mit Phytomining auf metallreichen Böden mithalten. Das zeigt eine Studie der Universität Wien aus dem Jahr 2020, bei der Fachleute Nickel akkumulierende Pflanzen wie Odontarrhena chalcidica auf galvanischen Schlämmen anbauten und so das aufgenommene Metall zurückgewannen.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sieht im Phytomining ebenfalls Potenzial für die nachhaltige Rohstoffgewinnung der Zukunft, wie eine Sprecherin gegenüber »Spektrum« erklärt. Forschungsergebnisse aus einem 2021 abgeschlossenen EU-Projekt zur Nickel-Akkumulation hätten gezeigt, dass Phytomining unter den gewählten Bedingungen im Pilotmaßstab wirtschaftlich rentabel sein könne. Aus der theoretischen Möglichkeit ist inzwischen ein praktisches Unterfangen geworden: Das aus dem Projekt ausgegründete Unternehmen Econick der Université de Lorraine hat 2023 gemeinsam mit dem Stahlproduzenten Aperam das Joint Venture Botanickel ins Leben gerufen. Dessen Ziel ist es, durch die Nutzung von Hyperakkumulator-Pflanzen Nickel nachhaltig zu gewinnen und so eine umweltfreundlichere Alternative zur traditionellen Nickelproduktion für die Edelstahlindustrie zu bieten.

Das US-Start-up Metalplant wiederum kombiniert die Nickelgewinnung mit der Bindung von Kohlenstoffdioxid. In Albanien wird zerkleinertes Olivin-Gestein auf Felder aufgebracht. Beim Verwittern entzieht es der Atmosphäre CO2 und bindet es in Form von Hydrogenkarbonaten. Olivin enthält allerdings auch hohe Mengen an Nickel. Hier kommt eine Pflanze namens Mauersteinkraut ins Spiel: Es kann auf solchen Böden wachsen und reichert dabei Nickel an, anschließend gewinnt man das Metall aus den geernteten Pflanzen. Die Firma verkauft mit diesem Konzept sowohl Nickel als auch CO2-Zertifikate.

Eine Forschungsgruppe um Hermann Heilmeier von der Technischen Universität Freiberg hat derweil im Projekt »PhytoGerm« untersucht, wie sich ein anderer wichtiger Rohstoff mittels Pflanzen aus Böden extrahieren lässt: Germanium. Weltweit wurden im Jahr 2021 etwa 140 Tonnen Germanium produziert, 85 Prozent davon in China. Das Halbmetall benötigt man für Hightech-Anwendungen wie beispielsweise Glasfaserkabel, Hochfrequenztechnik und Infrarotoptiken. An weiteren Einsatzzwecken für Medizin, Raumfahrt und Quantencomputer wird geforscht. Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI prognostizierte in einer Studie von 2016, dass die globale Nachfrage nach Germanium allein für Glasfaserkabel bis zum Jahr 2035 auf über 118 Tonnen anwachsen wird. Weil der Preis für das Halbmetall steigt, werden alternative Gewinnungsverfahren wie Phytomining wirtschaftlich interessant.

Versuchsflächen | Im Projekt »PhytoGerm« untersuchen Wissenschaftler, welche Pflanzen sich zur Extraktion von Germanium aus dem Boden eignen.

»PhytoGerm« war das erste Projekt dazu in Deutschland und lief bis 2016. Die Forscher der TU Freiberg zeigten in Labor- und Freilandversuchen, dass Hafer, Mais, Rohrglanzgras, Hirse und Schilf grundsätzlich als Germanium aufnehmende Pflanzen in Frage kommen und gleichzeitig als Energiepflanzen dienen können. Der erprobte Phytomining-Ansatz könnte sich praktisch umsetzen lassen, der Prozess wäre sogar wirtschaftlich. Derzeit untersucht eine Doktorandin im Anschluss an das Projekt Rohrglanzgras (Phalaris arundinacea L.) für die Germaniumgewinnung. Doch derzeit besetzt das Forschungsfeld bloß eine kleine Nische. »Trotz der viel versprechenden Ergebnisse gibt es aktuell nur eine weitere Arbeitsgruppe in Deutschland, die sich mit Phytomining beschäftigt«, erzählt Heilmeier.

Rohrglanzgras | Rohrglanzgras könnte sich für die Ernte von Germanium eignen. Hier werden Versuche in einem Gewächshaus gemacht.

Mittlerweile untersucht das Forschungsteam an der TU Freiberg verstärkt die grundlegenden Prozesse, die beim Phytomining ablaufen. »Wir wollen genau verstehen, welche Mechanismen in den Pflanzen ablaufen: etwa, wie sich die Metallionen lösen und wie die Pflanzen sie aufnehmen«, sagt Karin Glaser, Leiterin der Arbeitsgruppe Biologie und Ökologie. »Ich bin überzeugt, dass wir dieses Wissen und diese Erfahrung dann auf weitere Bereiche übertragen können – zum Beispiel auf andere Böden oder trockenere Bedingungen.« Womöglich könne man durch solche Erkenntnisse die Metallaufnahme steigern, auch aus alten Bergbauschlacken. Weil der Bergbau in Deutschland gut dokumentiert sei, habe man Anhaltspunkte, wo Phytomining funktionieren könnte.

Oliver Wiche von der Hochschule Zittau/Görlitz, der bereits am Projekt »PhytoGerm« mitwirkte, sieht im Phytomining einige Herausforderungen. »Gerade bei den ultramafischen Böden begrenzt sich das Phytomining auf wenige Boden-Hotspots weltweit, die zudem ein schmales Spektrum an Wertstoffen aufweisen«, gibt er zu bedenken. Beim Anbau auf Bergbauschlacken wiederum stelle sich die Frage, ob sich die Metalle in genügend hohen Konzentrationen anreichern lassen. »Man kennt die Mechanismen und sucht in der Grundlagenforschung nach Stellschrauben, um die Metallaufnahme durch die Pflanzen zu verbessern«, sagt Wiche. Für ihn sind die Möglichkeiten aber begrenzt, was mit der Chemie der Elemente zusammenhänge. »Wenn Elemente überall in der Erdkruste auftreten, dann liegt das daran, dass sie mit gesteinsbildenden Mineralen vergesellschaftet sind. In den daraus entstehenden Böden sind sie wenig löslich«, erläutert Wiche.

Deswegen setzt er auf die »Ganzpflanzen-Bioraffinerie«: einen neuen Ansatz, der bestehende Biomasse-Stoffströme ausnutzt. »In vielen Böden finden sich Germaniumkonzentrationen von etwa zwei Milligramm pro Kilogramm, die von Pflanzen aufgenommen werden können. Es ist jedoch noch wenig bekannt darüber, wie viel dieses Germaniums letztlich in herkömmliche Biogasanlagen gelangt. Würde man Germanium aus den großen Mengen an Biomasse gewinnen, die ohnehin in solchen Anlagen verarbeitet werden, könnte dies wirtschaftlich sinnvoll sein«, erklärt Wiche das Konzept.

Hydrolyser | Bei der Ganzpflanzen-Bioraffinerie nutzt man nicht nur die von den Pflanzen angereicherten Metalle, sondern auch die Biomasse.

Er arbeitet mit einer Forschungsgruppe zusammen, die Pflanzen im Biofermenter aufschließt, um daraus Biofaserprodukte zu erzeugen. »Nach der Fasergewinnung bleibt eine ›Suppe‹ im Fermenter übrig, aus der man Elemente wie Germanium gewinnen kann. Aus der Biomasse, die jedes Jahr ohnehin in die Biogasanlagen wandert, kann man mit diesem Ansatz unseren gesamten Jahresbedarf an Germanium erschließen«, betont Wiche. Das lohne sich auch ökonomisch. Mit dieser Methode ließen sich ebenso die Metalle aufkonzentrieren, welche die Pflanzen aus den Bergbauschlacken aufnehmen. Beide Ansätze könnten sich also ergänzen.

Laut Wiche könnte die Ganzpflanzen-Bioraffinerie eine Schlüsselrolle für Phytomining in Europa spielen. Daher hat er bereits mit Kollegen Fördergelder für ein Projekt beantragt. »Man braucht einen Pilotprozess, um zu zeigen, dass diese Methode funktioniert und wirtschaftlich rentabel ist. Da könnten wir hier Modellregion werden«, sagt der Wissenschaftler.

In den USA hat man das Potenzial der metallaufnehmenden Pflanzen bereits erkannt. »2024 hat das US-Energieministerium ein Förderprogramm mit bis zu zehn Millionen US-Dollar gestartet, um die Machbarkeit des Phytominings von Nickel zu untersuchen«, sagt Antony van der Ent. Sieben Universitäten aus verschiedenen Bundesstaaten werden mit dem Geld unterstützt.

In der Europäischen Union wurden ähnliche Förderprogramme bislang noch nicht initiiert, doch van der Ent ist überzeugt, dass das Mitte 2024 in Kraft getretene Gesetz über kritische Rohstoffe (Critical Raw Materials Act, CRMA) die Forschung in diesem Bereich fördern könnte. Auf Bundesebene sind dem BMBF derzeit keine Forschungsprojekte zu Phyto- oder Agromining bekannt, wie eine Sprecherin auf Nachfrage erklärte. Zukünftig könnte Phytomining jedoch – sofern es sich als rentabel erweist – den Ackerbau sinnvoll ergänzen und eine nachhaltige Alternative zum Bergbau bieten.

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