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Pilzinfektionen: »Darum können wir ›The Last of Us‹ dankbar sein«

In der Serie »The Last of Us« dezimiert ein krank machender Pilz die Menschheit. Ob dieses Szenario realistisch ist und wie Pilze das Verhalten ihrer Wirte manipulieren, erklären die Experten Oliver Kurzai und Martin Väth im Interview.
Ein Szenenbild aus der Fernsehserie "The Last of Us". Ein Infizierter sieht gefährlich aus.
Die TV-Serie »The Last of Us« spielt in einer postapokalyptischen Welt, in der ein mutierter Pilz Menschen in aggressive Kreaturen verwandelt.

Ein ansteckender Pilz taucht auf und verursacht eine tödliche Pandemie; Infizierte verwandeln sich in Zombies und die Welt geht unter. So jedenfalls der Plot der Fernsehserie »The Last of Us«. Ist das bloße Spinnerei oder beruht es auf einem wahren Kern? In den USA haben sich beispielsweise die Infektionszahlen mit dem Hefepilz Candida auris im Vergleich der Jahre 2020 und 2021 verdoppelt. Welche Gefahr geht von krank machenden Pilzen aus? »Spektrum.de« sprach darüber mit dem Mediziner Oliver Kurzai und dem Biologen Martin Väth von der Universität Würzburg.

»Spektrum.de«: Herr Professor Kurzai, Herr Väth, in der Fernsehserie »The Last of Us« verwandelt sich ein Pilz, begünstigt durch den Klimawandel, in einen tödlichen Erreger. Er befällt Menschen und macht sie zu Zombies. Könnte das wirklich passieren?

Oliver Kurzai: Realistisch ist das nicht. Wir brauchen keine Angst zu haben, dass ein Killerpilz auftaucht, bei seinen Opfern komplexe Verhaltensänderungen auslöst und in kurzer Zeit die Menschheit ausrottet. Andererseits beruht die Fernsehserie auf biologischen Fakten, die real sind und hier überspitzt weitergedacht wurden. Es stimmt, dass Pilze Menschen infizieren, und es ist richtig, dass der Klimawandel einen großen Einfluss darauf hat. Und wir kennen Erreger aus dieser Gruppe, die das Verhalten ihrer Wirte auf erstaunliche Weise manipulieren.

Sie spielen darauf an, dass es Pilze gibt, die Ameisen befallen und sie gewissermaßen fremdsteuern. Was passiert da?

Von diesen Pilzen, im Deutschen nennen wir sie Kernkeulen, leben manche als Insektenparasiten. Ihre Sporen liegen am Waldboden, wo sich Ameisen bewegen. Wenn die Sporen an Ameisen kleben bleiben, wächst der Pilz in sie hinein und vermehrt sich in ihnen – auch im Gehirn. Und das führt zu einem veränderten Verhalten. Die Tiere laufen an Pflanzen hoch bis in eine bestimmte Höhe, wo die Luftfeuchtigkeit für den Pilz ideal ist. Dort beißen sie sich fest. Der Pilz frisst sie dann quasi von innen auf, wächst und bildet neue Sporen. Die fallen auf den Boden runter, wo sich wieder Ameisen damit infizieren.

Wie macht der Pilz das?

Gute Frage. Er muss die Ameisen ja nicht nur dazu bringen, nach oben zu klettern. Sie müssen das in einer bestimmten Region des Waldbodens tun und sich in einer bestimmten Höhe verbeißen, damit der Pilz ideale Wachstumsbedingungen antrifft. Wie das genau funktioniert, weiß kein Mensch. Es hat etwas damit zu tun, dass der Pilz in großer Masse im Gehirn wächst und dabei Hirnsubstanz kaputt macht. Zusätzlich produziert er viele Chemikalien, die die Nervenzellen der Ameise beeinträchtigen. All das führt wohl zu dieser Verhaltensänderung.

Herr Väth, schafft der Pilz das, weil Insekten ein einfaches Nervensystem haben?

Martin Väth: Man sollte das Nervensystem der Ameisen nicht unterschätzen. Es ist zwar klein, besteht aber trotzdem aus komplizierten neuronalen Netzwerken. Und es gibt auch Fälle, wo Stoffwechselprodukte von Pilzen komplexe Wesensveränderungen beim Menschen hervorrufen. Ein simples Beispiel dafür ist Alkohol. Oder nehmen Sie die halluzinogene Substanz LSD. Solche Stoffe manipulieren das menschliche Verhalten auf sehr vielschichtige Weise, wenn auch vorübergehend und nicht so umfassend wie bei den Ameisen. Die biochemische Kommunikation zwischen Pilzen und den Zellen ihrer Wirte, einschließlich menschlicher Neurone, existiert.

Machen Pilze das gezielt?

Oliver Kurzai: Sie haben einen konkreten Nutzen davon. Aber dass sie sich dessen bewusst sind, davon kann man nicht ausgehen. Und was den Komplexitätsgrad der Wirte betrifft: Es gibt einen Parasiten – allerdings keinen Pilz –, der Mäuse und andere kleine Nager befällt und ihnen die Angst vor Raubtieren nimmt. Sie werden dann häufiger gefressen, wodurch sich der Parasit besser verbreitet. Das ist eine umfassende Verhaltensänderung, und zwar an Tieren, die definitiv komplexer aufgebaut sind als Ameisen. Wenn das mit Mäusehirnen funktioniert, gibt es eigentlich nicht mehr viele Gründe, warum es mit menschlichen Gehirnen nicht gehen sollte. Allerdings kennen wir keinen einzigen Fall, der auch nur annähernd so extrem wäre wie in »The Last of Us« dargestellt.

Parasitärer Pilz | Einmal infiziert, hat ein Insekt keine Chance mehr: Der Pilz übernimmt das Kommando beim noch lebenden Tier. Am Ziel angekommen, wächst er aus dem Insektenkörper, von dem er sich ernährt, heraus und bildet Sporen.

Weltweit gibt es mehrere Millionen Pilzarten. Nur etwa 300 davon verursachen Krankheiten beim Menschen. Tun sich Pilze schwer damit, uns zu infizieren?

Die meisten kommen mit hohen Temperaturen nicht gut zurecht. 37 Grad ist für viele von ihnen keine geeignete Wachstumstemperatur mehr, weshalb sie im menschlichen Körper nicht gedeihen und uns folglich nicht infizieren. Am Nationalen Referenzzentrum für Invasive Pilzinfektionen bekommen wir es ungefähr einmal im Monat mit einem Pilzerreger zu tun, den wir vorher noch nie gesehen haben. Meist werden aber nur einzelne Personen infiziert. Die Pilze, die mehr als 10 000 invasive Infektionen pro Jahr verursachen, stammen aus einem relativ schmalen Spektrum von fünf bis zehn Gattungen.

Martin Väth: Außerdem schützt uns unser Immunsystem in der Regel sehr gut vor Pilzinfektionen, jedenfalls bei gesunden Menschen. Genetische Untersuchungen an Patienten, die wegen solcher Infektionen dauerhaft behandelt werden müssen, haben gezeigt, dass es ganz bestimmte Immunreaktionen braucht, um Pilze abzuwehren. Dazu gehört die so genannte Typ-3-Antwort, die über T-Helfer-17-Zellen sowie über neutrophile Granulozyten vermittelt wird. Die darf nicht gestört sein. Bei den meisten Leuten funktioniert sie aber problemlos.

Oliver Kurzai | Der Mediziner leitet das Nationale Referenzzentrum für Invasive Pilzinfektionen und ist Vorstand des Instituts für Hygiene und Mikrobiologie am Universitätsklinikum Würzburg. Schwerpunktmäßig befasst Oliver Kurzai sich mit der Infektionsbiologie von humanpathogenen Pilzen und Bakterien.

Also sind Pilzinfektionen eher ein Randthema in der medizinischen Forschung?

Oliver Kurzai: Momentan leider ja. Wenn wir in die medizinische Mikrobiologie schauen, gibt es in Deutschland exakt einen einzigen Lehrstuhl, der sich mit Pilzen beschäftigt. Das ist meiner in Würzburg. Alle anderen befassen sich mit Parasiten oder Bakterien. Gut ist das nicht, denn während sich bakterielle Infektionen oft standardisiert behandeln lassen, sind Pilzkrankheiten fast immer eine Herausforderung, sowohl diagnostisch als auch therapeutisch. Und die Meldedaten ans Nationale Referenzzentrum steigen seit Langem. Mittlerweile beraten wir Kliniker in Deutschland in deutlich über 1000 Fällen pro Jahr. Darum können wir dankbar sein für eine Fernsehserie wie »The Last of Us«, die ein Licht auf diese manchmal vergessene Erregergruppe wirft.

Das heißt, die Zahl der Pilzinfektionen steigt?

Martin Väth: Ich denke schon. Die Covid-19-Pandemie hat uns allen das Problem der Infektionskrankheiten vor Augen geführt. Es ist klar geworden, dass solche Krankheiten bedrohlich sind. Das schließt nicht nur virale, sondern alle Erreger einschließlich der Pilze ein.

»Fusarium musae beispielsweise ist ein Pilz, der typischerweise Bananen befällt. Irgendwann hat er angefangen, Menschen zu infizieren«Oliver Kurzai, Mediziner

Verbreiten sich Pilzerreger mit dem weltweiten Personen- und Güterverkehr?

Oliver Kurzai: Das kommt vor. Fusarium musae beispielsweise ist ein Pilz, der typischerweise Bananen befällt. Irgendwann hat er angefangen, Menschen zu infizieren – zunächst nur selten und lediglich in der Nähe von Bananenplantagen. Seit einigen Jahren finden wir ihn regelmäßig in Europa, wo er jährlich mehrere Infektionsfälle verursacht. Wahrscheinlich ist er mit den Bananen hierher transportiert worden. Bei Pilzen ist das aber nicht so dramatisch wie etwa bei der Influenza. Die breitet sich mit dem Flugverkehr binnen Tagen um den ganzen Planeten aus und verursacht viel höhere Fallzahlen.

Welche Pilze können uns denn besonders gefährlich werden?

Die Weltgesundheitsorganisation hat in diesem Jahr erstmals eine Liste krank machender Pilze veröffentlicht, die ihrer Einschätzung nach vorrangig erforscht werden sollten. Besonders gefährlich werden uns demnach vier Arten. Dazu gehören die Hefepilze Candida albicans, eine altbekannte Spezies, und Candida auris, ein ganz neuer Erreger, der sich quasi erst seit den 2000er Jahren verbreitet und von dem keiner so richtig weiß, wo er herkommt. Candida auris kann alle möglichen Organe befallen und tödliche Erkrankungen auslösen. Er verursacht aktuell tatsächlich eine Pandemie, die allerdings viel langsamer voranschreitet als Viruspandemien wie Covid-19. Dann gibt es Cryptococcus neoformans, ebenfalls ein Hefepilz, der das Zentralnervensystem infiziert und schwere Entzündungen der Hirnhäute und des Hirngewebes nach sich zieht, vor allem bei HIV-Patienten. Dieser Pilz kommt in Europa nicht so oft vor, macht aber in Afrika ganz erhebliche Probleme und ist weltweit betrachtet für die vielleicht meisten invasiven Pilzinfektionen verantwortlich. Und schließlich Aspergillus fumigatus, ein weltweit auftretender Schimmelpilz, der vor allem schwere Lungeninfektionen verursacht.

Cryptococcus neoformans | Bild eines mit Tusche kontrastierten mikroskopischen Bildes von Pilzzellen als negative Aussparungen, da Cryptococcus von einer Kapsel umgeben ist, in die die Tusche nicht eindringen kann.

Candida auris besitzt aus medizinischer Sicht sehr ungünstige Eigenschaften. Er ist häufig unempfindlich gegenüber Medikamenten, trotzt vielen Desinfektionsmitteln und gedeiht auf kalten, glatten Oberflächen.

Diese Merkmale sind relativ typisch für eine ganze Gruppe von Pilzen, zu der außer Candida auris noch einige verwandte Arten zählen. Das Problem ist, dass er Menschen infiziert und sich von Person zu Person verbreitet. Aus irgendwelchen Gründen, die wir noch nicht ganz verstehen, machen das seine nahen Verwandten nicht. Er verursacht deshalb immer wieder gehäuft Infektionen in Krankenhäusern, die extrem schwer zu kontrollieren sind und manchmal noch Monate später neu aufflammen. Da ist es schon zu dramatischen Situationen gekommen, zum Glück bisher nicht in Deutschland, aber in Großbritannien, Spanien und teils völlig unkontrolliert in Ländern wie Indien oder Südafrika.

Laut US-Gesundheitsministerium breitet sich Candida auris in den USA rasant aus. Die Fallzahlen steigen immer schneller, im Vergleich der Jahre 2020 und 2021 kam es zu einer Verdopplung. Könnte uns so etwas auch in Deutschland bevorstehen?

Die zunehmende Ausbreitung dieses Pilzes ist weltweit zu beobachten. Aktuelle Daten aus Europa besagen, dass der Erreger in einigen Regionen Spaniens bereits heimisch geworden ist. Wir müssen davon ausgehen, dass es über kurz oder lang auch in Deutschland zu erhöhten Fallzahlen kommt. Schon jetzt sehen wir einen Anstieg in unseren Daten, allerdings noch auf sehr niedrigem Niveau. Insgesamt sind seit 2015 etwa 40 Fälle dokumentiert, in denen Candida auris Menschen befallen hat. Wir müssen mit Infektionsschutzmaßnahmen versuchen, den Anstieg der Fallzahlen in Deutschland so stark wie möglich zu bremsen.

Worauf führen Sie die galoppierende Verbreitung dieses Pilzes in den USA zurück? Wird der Erreger gefährlicher, erkennen Mediziner solche Infektionen jetzt häufiger, oder hängt das mit dem dortigen Gesundheitssystem zusammen?

Bei einem solch starken Anstieg spielen immer mehrere Faktoren eine Rolle. Generell müssen wir bei der Ausbreitung von Infektionskrankheiten von einem exponentiellen Geschehen ausgehen. Eine Entwicklung wie jetzt in den USA kommt deshalb nicht komplett unerwartet. Für Deutschland muss das Ziel lauten, die Verbreitung des Erregers so weit wie möglich zu verzögern. Dafür ist eine gute Information der diagnostischen Labors notwendig, was hier zu Lande gegeben ist. Aus meiner Sicht wäre auch die Einführung einer gesetzlichen Labormeldepflicht jetzt angezeigt. Wir haben dem Robert Koch-Institut empfohlen, sie einzuführen; momentan ist keine einzige Pilzinfektion meldepflichtig. Und systematische Genomuntersuchungen, wie wir sie bei Sars-CoV-2 hatten, sind bei Pilzen derzeit völlig utopisch. Besorgnis erregend an den Daten aus den USA ist, dass die Kollegen dort auch eine Zunahme der Resistenzentwicklung bei diesem neuen Erreger beobachten. Der Pilz wird also nicht nur häufiger, sondern spricht zudem schlechter auf die Behandlung an. In Deutschland aber müssen sich die Patienten momentan keine Sorgen machen, dass sie sich in der Klinik mit Candida auris infizieren könnten.

Wenn Pilzerkrankungen um sich greifen, etwa in einem Krankenhaus, sterben oft sehr viele Infizierte. Warum?

Oliver Kurzai: Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen haben wir es hier oft mit Patienten zu tun, die schon vor der Pilzinfektion ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko tragen, weil sie schwer krank sind. Bei Virusinfektionen der Atemwege sieht das anders aus: Sie betreffen im Regelfall Menschen, die vorher gesund gewesen sind. Schon deshalb unterscheiden sich die Überlebenschancen beider Gruppen. Zum anderen sind Pilzinfektionen schwer zu erkennen. Sie zählen im Krankenhaus zu den am häufigsten übersehenen Komplikationen. Unsere diagnostischen Tests hierfür sind nicht besonders gut.

Spielen auch die Behandlungsmöglichkeiten eine Rolle?

In der Tat sind unsere Optionen hier eingeschränkt. Pilzzellen sind menschlichen Zellen in gewissen Punkten recht ähnlich. Darum haben wir viel weniger Medikamente gegen sie als beispielsweise gegen Bakterien. Und die Medikamente, die wir haben, verursachen teils schwere Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen mit vielen anderen Arzneimitteln. Das führt zu Komplikationen.

»Krankheitserreger entwickeln gegen jeden Arzneistoff irgendwann Resistenzen«Oliver Kurzai, Mediziner

Arzneistoffe gegen Pilze, so genannte Antimykotika, verlieren zunehmend an Wirkung. Wieso?

Krankheitserreger entwickeln gegen jeden Arzneistoff irgendwann Resistenzen. Pilze tun das meist langsamer als Bakterien, weil sie ein komplexeres Genom haben. Allerdings gibt es deutlich weniger Wirkstoffe gegen Pilze als gegen Bakterien, und das bedeutet, wenn ein Erreger wie Candida auris gegen zwei Substanzklassen unempfindlich wird, haben wir bereits ein echtes Problem. Denn es existieren überhaupt nur drei bis vier Substanzklassen von Antimykotika – deutlich weniger als bei den Antibiotika.

Also ist die Situation unterm Strich ähnlich schlimm wie bei den Antibiotika?

So würde ich das nicht sagen. Bei den Bakterien ist es dramatischer, doch wir sollten verhindern, dass wir bei den Pilzen ein ähnlich großes Problem bekommen. Deswegen ist es sinnvoll, schon jetzt nach alternativen Antimykotika zu suchen.

Martin Väth | Der Biologe arbeitet an der Universität Würzburg und ist Nachwuchsgruppenleiter in der Max-Planck-Forschungsgruppe für Systemimmunologie. Er erforscht den Stoffwechsel von Immunzellen und wie dieser die Abwehr von Pilzerregern steuert. Gemeinsam mit Oliver Kurzai gehört Martin Väth zum Sonderforschungsbereich »FungiNet«.

Antibiotika-Resistenzen werden maßgeblich vorangetrieben durch die Massentierhaltung. Gilt das Gleiche für Antimykotika-Resistenzen und die intensive Landwirtschaft? Schließlich werden dort massenhaft Fungizide eingesetzt.

Martin Väth: Die bakteriellen Erreger in der Tierzucht sind denen, die uns Menschen infizieren, sehr ähnlich. Auch die Resistenzmechanismen ähneln sich. Pilze hingegen, die man auf dem Acker bekämpft, unterscheiden sich stark von solchen, die uns krank machen. Eher führt der Klimawandel dazu, dass Pilzerreger, die Pflanzen befallen, sich stärker verbreiten und resistenter werden. Durch den Klimawandel geraten Ackerpflanzen zunehmend unter Druck und werden anfälliger für Infektionen, was dann einen vermehrten Einsatz von Fungiziden erfordert.

Oliver Kurzai: Es stimmt: Fungizide, die im Feld eingesetzt werden, im Weinbau oder im Obstbau, richten sich gegen Pilze, die aus medizinischer Sicht eher uninteressant sind. Allerdings erwischt man damit unbeabsichtigt auch bodenbewohnende Pilze wie Aspergillus fumigatus, der Lungeninfektionen bei immungeschwächten Patienten verursacht. Wir gehen deshalb davon aus, dass die Antimykotika-Resistenzen dieses Pilzes teils auf Fungizideinsatz in der Landwirtschaft zurückgehen. Wir haben eine große Studie dazu durchgeführt mit dem Ergebnis: Wo viele Fungizide eingesetzt werden und zugleich günstige Wachstumsbedingungen für Pilze herrschen, nimmt auch die Resistenz zu.

Herr Väth, Sie haben den Klimawandel erwähnt. Begünstigt er Pilzerkrankungen des Menschen?

Martin Väth: Ja, aber nicht unbedingt, weil es wärmer wird. Sondern weil sich die Situation insgesamt verschärft. Der Klimawandel führt zu Ernährungs- und Versorgungskrisen, die Infektionskrankheiten den Weg ebnen – vor allem dort, wo die Versorgungslage ohnehin angespannt ist. Zudem verändert er Biotope und damit die Verbreitungsgebiete von Erregern.

Aspergillus fumigatus | Mikroskopisches Bild von typischen Fruchtkörpern, auf denen unzählige Sporen entstehen, mit denen sich der Pilz verbreitet.

Oliver Kurzai: In Amerika kursiert eine Pilzerkrankung namens Talfieber. Der Erreger kommt in staubigen, trockenen Böden vor. Wird er eingeatmet, verursacht er häufig Lungeninfektionen, selbst bei gesunden Menschen. Die Trockengebiete, in denen der aufgewirbelte Staub diese Keime enthält, sind in den letzten Jahren nachweislich größer geworden. Denn wegen des Klimawandels fällt dort weniger Niederschlag. Früher galt der Pilz als endemischer Erreger, der nur in bestimmten Regionen vorkommt. Mittlerweile schlagen manche Fachleute vor, man solle den Begriff »endemisch« für ihn gar nicht mehr verwenden.

Wie lassen sich Pilzerkrankungen des Menschen noch behandeln, außer mit Antimykotika?

Martin Väth: Große Hoffnungen liegen auf der Immuntherapie. Im Sonderforschungsbereich FungiNet arbeiten einige Gruppen an neuen Verfahren, Pilzinfektionen mit gentechnisch veränderten Immunzellen zu bekämpfen. Ein Ansatz dabei lautet, T-Lymphozyten des Immunsystems gezielt gegen Pilzerreger scharfzuschalten und in den Organismus infizierter Personen einzubringen, damit sie dort eine starke Abwehrreaktion entfachen. Pilze sind körperfremd und somit im Prinzip ein gutes Ziel für Immunzellen. Wenn man das Immunsystem gezielt auf sie aufmerksam macht, greift es die Erreger an und eliminiert sie. Das ist noch kein klinisch erprobtes Konzept, könnte aber bald Anwendung finden – vor allem bei Hochrisikopatienten, bei denen man nicht viele andere medizinische Optionen hat.

In »The Last of Us« ist ein Mädchen zu sehen, das Immunität gegenüber dem Pilz besitzt und den Menschen damit Hoffnung macht, dass der apokalyptische Zustand irgendwann enden könnte. Ein realistisches Szenario?

Das Mädchen wird infiziert, entwickelt sich aber nicht zum Zombie, sondern erholt sich wieder. Wegen dieser Resistenz soll sie in eine Forschungseinrichtung gebracht werden, um aus ihrem Blut einen möglichen Impfstoff zu gewinnen. In einer Szene versucht sie sogar selbst, eine Bluttransfusion an einem infizierten Jungen vorzunehmen, um ihn zu heilen. Der Junge wird aber trotzdem zum Zombie. Die Story ist schon ein bisschen absurd – vor allem, wie die Transfusion durchgeführt wird, nämlich mit einem Schnitt in der Hand auf die Wunde gepresst. So funktioniert das natürlich nicht.

Aber Impfstoffe gegen Pilzerkrankungen, die gibt es?

Soweit mir bekannt ist, noch nicht. Aus verschiedenen Gründen funktionieren Vakzine gegen Pilze nicht so gut wie gegen Viren. Doch man kann sich schon vorstellen, dass es möglich ist, Menschen einen passiven Immunschutz zu verleihen, beispielsweise mit Antikörpern, die Pilzerreger neutralisieren. Es spricht theoretisch auch nichts dagegen, mit Biotechnologie gezielt Antikörper zu erzeugen, die sich gegen Strukturen auf Pilzzellen richten. Damit lassen sich Infizierte dann vielleicht erfolgreich behandeln.

Könnten Impfstoffe einmal wichtig werden?

Oliver Kurzai: Das ist ein schwieriges Feld. Ausgerechnet Personen mit beeinträchtigter Körperabwehr, die von Pilzinfektionen besonders gefährdet sind, lassen sich sehr schlecht impfen. Das haben wir bei Covid gesehen, da wirkten die Impfungen nicht richtig, wenn die Immunfunktion stark eingeschränkt war. Gegen das Talfieber sind Vakzine in der Erprobung, hauptsächlich solche für Tiere, denn der Erreger befällt unter anderem Hunde. Es könnte sein, dass man irgendwann auch Risikopatienten damit behandelt. Darüber hinaus gibt es einige Impfstoffe gegen pilzbedingte Hautinfektionen bei Tieren.

Pilze leben täglich auf und in uns – als Teil unserer Mikroflora. In welchen Mengen?

Anteilsmäßig stellen sie nur einen kleinen Teil der Mikroflora, grob gesagt weniger als ein Prozent. Aber sie haben eine viel größere Oberfläche als Bakterien und aktivieren manche Immunmechanismen deutlich stärker als diese. Auch wenn Pilze nur einen kleinen Teil des menschlichen Mikrobioms ausmachen, sind sie trotzdem relevant, wie Studien zeigen. Verändert sich das Spektrum der Pilzarten, die uns besiedeln, kann uns das vermutlich krank machen – ähnlich wie bei den Bakterien des Mikrobioms. Vieles hierbei ist aber noch unbekannt.

»Ohne das Zusammenleben mit diversen Mikroorganismen droht unsere Körperabwehr orientierungslos zu werden und sich die falschen Ziele zu suchen«Martin Väth, Biologe

Können die Pilze, die zu unserer Mikroflora gehören, gefährlich werden, wenn unser Immunsystem nachlässt und sie nicht mehr kontrolliert?

Martin Väth: Ja. Ein klassisches Beispiel hierfür sind Hefepilze der Gattung Candida. Man bezeichnet sie als Pathobionten. Sie sind Teil des Mikrobioms und verursachen bei gesunden Personen in aller Regel keine Probleme. Aber wenn die Bedingungen günstig werden für einen solchen Pilz, etwa durch eine immununterdrückende Therapie, kann er sich vermehren und Probleme machen. Wichtig ist, dass sich unsere Mikroflora aus einem breiten, gut ausbalancierten Artenspektrum zusammensetzt – nicht nur, um Krankheiten zu verhindern, sondern auch, um unser Immunsystem zu programmieren. Ohne das Zusammenleben mit diversen Mikroorganismen droht unsere Körperabwehr orientierungslos zu werden und sich die falschen Ziele zu suchen, was Autoimmunerkrankungen und Entzündungen auslösen kann.

Wie können wir uns vor Pilzinfektionen schützen?

Zunächst einmal, indem wir offensichtliche Risikofaktoren minimieren. Rauchen beispielsweise ist sicher nicht optimal. Auch Übergewicht ist von Nachteil, weil es häufig mit Durchblutungsstörungen einhergeht, die das Erkrankungsrisiko erhöhen. Gewisse Hygienestandards, eine gesunde Ernährung und körperliche Bewegung beugen Pilzinfektionen vor.

Oliver Kurzai: Ich möchte hier die Impfung nennen, und zwar nicht die gegen Pilze, sondern gegen Viruserkrankungen der Atemwege, gegen Grippe und Covid-19. Sowohl Grippe- als auch Covidpatienten, die einen schweren Krankheitsverlauf haben und auf Intensivstationen behandelt werden müssen, tragen ein erhebliches Risiko, Pilzinfektionen quasi obendrauf zu kriegen. Deshalb war die Covid-19-Pandemie von einer Pilzepidemie überlagert, verursacht von Candida- und Aspergillus-Erregern, die auf immungeschwächte Patienten trafen. Das bedeutet, wenn man sich per Impfung vor schweren Virusinfektionen schützt, dann schützt man sich in gewisser Weise auch vor Pilzerkrankungen.

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