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Sandmücken in Deutschland: Plagegeister auf dem Vormarsch

Sandmücken sind unangenehme Blutsauger aus dem Mittelmeerraum, die Krankheiten übertragen können. Mittlerweile breiten sie sich in Deutschland aus. Was bedeutet das für unsere Gesundheit?
Sandmücke beim Abendmahl

Sie schlägt in warmen Sommernächten zu, heimlich und kaum spürbar. Während des Schlafs sucht die Sandmücke ihr Opfer heim, sticht es mit Vorliebe ins Gesicht oder in den Nacken und saugt mehrere Minuten lang Blut. Zurück bleibt eine winzige rote Stelle und Juckreiz – nichts Schlimmes eigentlich. Und doch kann ein Stich dieser unscheinbaren Mücke mit den hervorstechenden schwarzen Knopfaugen gefährlich werden. Denn die Sandmücken, wissenschaftlich Phlebotominae genannt, können ernste Krankheiten übertragen.

Bislang waren diese Insekten in Deutschland fast unbekannt. Ihre blutdurstigen Vertreter sind am Mittelmeer, im Nahen und Mittleren Osten sowie in den Tropen heimisch, denn sie mögen es warm. Insofern fanden nächtliche Begegnungen nur im Sommerurlaub statt, doch das ändert sich gerade. Seit einigen Jahren schwirren die Sandmücken vereinzelt auch in Südwestdeutschland herum, langsam erobern sie nördlichere Gebiete. Vor allem eine Art wird seit einigen Jahren immer häufiger beobachtet: Phlebotomus mascittii.

Die Biologin Sandra Oerther erforscht die gerade einmal zwei Millimeter kleinen Tiere seit Jahren genauer. Sie schreibt ihre Doktorarbeit über die winzigen Insekten, der Vorschlag kam vom Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin. In den lauen und windstillen Sommernächten 2020 ist Oerther in Rheinland-Pfalz und in Baden unterwegs, um Sandmücken zu fangen. Das klingt einfacher, als es ist: Zum einen sind die sandfarbenen Insekten mit der starken Behaarung in der Nacht kaum zu erkennen, zum anderen verbringen sie ihr kurzes Leben hier zu Lande in sehr speziellen Brutplätzen, meist in alten, naturbelassenen Scheunen oder Ställen mit lehmhaltigem Boden.

Ausbreitung trotz schlechter Flugleistung

»Sie springen einen nicht gerade an«, sagt Sandra Oerther – im Gegensatz zur ebenfalls invasiven Asiatischen Tigermücke Aedes albopictus), die sich seit einigen Jahren in Süddeutschland erfolgreich und schnell ausbreitet, auch am Tag aktiv ist und obendrein gefährliche Viruserkrankungen wie die Zikavirus-Infektion oder das Denguefieber überträgt. Anders als die meisten sich in Gewässern entwickelnden Stechmücken favorisiert die Sandmücke terrestrische Lebensräume mit hoher Bodenfeuchte, zudem mag sie es windstill, und ein schlechter Flieger ist sie ohnehin. Ihre Larven findet man je nach Art in Höhlen, Baum- und Felsspalten, in Böden tropischer Regenwälder oder in Tiergehegen. Etwa 1000 Arten gibt es weltweit, 25 davon leben in Europa. In Deutschland wurden bislang nur zwei nachgewiesen.

In Jahr 2020 ist Sandra Orther bereits fündig geworden, 25 Exemplare gingen ihr in die Fänge. »Sie sind da, und sie werden wohl bleiben«, sagt sie. Seit 2015 hat sie damit beinah 200 Individuen gefangen, die meisten davon an den bekannten Standorten in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, zudem hat sie 15 neue Standorte entdeckt. »Sie sind weiter verbreitet, als wir dachten«, sagt sie. Oerther möchte mit ihrer Doktorarbeit dazu beitragen, bislang unentdeckte Vorkommen der Sandmücke zu finden – und Kolleginnen und Kollegen dazu motivieren, breitere Beprobungen und Untersuchungen zu starten, um die Verbreitung und Lebensweise der Insekten zu erforschen.

Noch ist das Risiko klein

Bislang ist das Risiko in Deutschland aber noch sehr gering, von einer Sandmücke gestochen zu werden. Die wenigsten Menschen dürften sich nachts in alten Scheunen aufhalten. Nahezu ausgeschlossen ist ein Stich in feuchten Sommern. Im Jahr 2016 fand Sandra Oerther kein einziges Exemplar, dafür in den darauf folgenden Jahren wieder umso mehr. Das zeigt: Die Eier können hier überwintern, je nach Temperatur kann es mehr als ein Jahr dauern, bis die Larve schlüpft. Hier zu Lande entwickelt die Spezies pro Jahr nur eine Generation, von Ende Juni bis Ende August sind sie aktiv.

Und dennoch müssen die Biologen die eingewanderte Sandmücke im Blick behalten. Denn bestimmte Arten der Gattung Phlebotomus übertragen die Leishmaniose, eine Parasitenkrankheit, an der sich vor allem Hunde infizieren, aber auch Menschen. Bei der Erkrankung handelt es sich wie bei Sars-CoV-2 um eine Zoonose. Die Erreger können also vom Tier auf den Menschen und umgekehrt übertragen werden.

Eine Gefahr für Deutschland ist hauptsächlich eine Leishmania-Art, die auch am Mittelmeer weit verbreitet ist. Sie verursacht bei Kleinkindern, älteren Menschen und Erwachsenen mit geschwächtem Immunsystem die so genannte viszerale Leishmaniose, die sich mit typischen Symptomen wie beim Alkoholmissbrauch äußert: Leberdegeneration, Milzvergrößerung und kraterartige Hautläsionen. Die Inkubationszeit der Erkrankung ist sehr lange. Manchmal vergehen Monate bis Jahre, bis die ersten Symptome auftauchen. Wer infiziert ist, weiß es meistens nicht.

Straßenhund in Palermo | In vielen Ländern am Mittelmeer leben streunende Hunde, die an Leishmaniose erkrankt sind. Sie bilden ein Reservoir für den Krankheitserreger, der von Sandmücken auch auf Menschen übertragen werden kann.

Hunde als natürliches Reservoir

Als wichtigste Reservoirwirte gelten vor allem verwilderte Hunde, Hasen und Füchse im Mittelmeerraum. Man sieht ihnen die Infektion nicht an, die Inkubationszeit kann auch bei ihnen mehrere Jahre betragen. Untersuchungen in Südspanien und Süditalien haben gezeigt, dass Straßentiere sehr häufig mit dem Erreger infiziert waren, in Sizilien sogar zu 80 Prozent. Hunderassen erkranken unterschiedlich stark, ohne Behandlung sterben nicht mediterrane Rassen wie Boxer oder Rottweiler einen grausamen Tod, häufig durch Nierenschäden. Daher warnen deutsche Veterinärmediziner davor, die Hunde mit in den Mittelmeerurlaub zu nehmen.

Wer sich einen solchen Hund aus Tierliebe als Urlaubsmitbringsel hingegen mit nach Hause nimmt, schleppt damit häufig auch einen infizierten Hund ein. 130 000 Hunde sind hier zu Lande bereits an Leishmaniose erkrankt, eine Meldepflicht gibt es nicht. Viele Erkrankungen werden also nicht erkannt, dabei lässt sich diese Infektion mit Medikamenten relativ gut behandeln. Der Import von Hunden aus dem Mittelmeerraum steigt seit Jahren, während der Ausgangsbeschränkungen in diesem Corona-Frühjahr sind die Bestellungen in die Höhe geschnellt, die Nachfrage nach Hunden übersteigt die Züchtungen in Deutschland um ein Vielfaches. Oerther bedauert, dass die Infektionskrankheit von der Politik bislang ignoriert werde. »Die politische Nichtbeachtung macht es den Tierärzten nicht leicht«, sagt sie.

Wann steigt das Übertragungsrisiko?

Damit die Parasitenkrankheit auf den Menschen übertragen werden kann, müssen aber einige Bedingungen erfüllt sein. Erst muss die Sandmücke den Hund stechen, anschließend ihre Eier legen, und schließlich muss dasselbe Individuum Tage danach zurückkehren und auch den Menschen stechen. Zudem muss gewährleistet sein, dass die Sandmückenspezies die Krankheit überhaupt überträgt. In Europa trifft das auf fünf Arten zu, eine davon ist Phlebotomus perniciosus, die auch schon in Deutschland gefangen wurde. Die andere hier nachgewiesene Art Phlebotomus mascittii ist als Vektor der Leishmaniose fraglich, bislang jedenfalls gab es noch keinen gesicherten Nachweis der Übertragung.

Phlebotomus perniciosus ist allerdings seit Jahren in Deutschland nicht mehr gesichtet worden, zuletzt im Jahr 2001. Damals gab es in der Pfalz Fälle von Hunden, die zwar an Leishmaniose erkrankten, aber zuvor nicht im Ausland waren. Daher schlossen die Tierärzte auf eine Übertragung durch pfälzische Sandmücken. Sind Menschen mit der Leishmaniose infiziert, gehen die Mediziner bislang von einer mitgebrachten Erkrankung aus endemischen Gebieten aus.

Der Parasitologe Torsten Naucke, der an der Universität Hohenheim lehrte und mittlerweile in einem Großlabor arbeitet, geht davon aus, dass die andere in Deutschland vorkommende Art die Leishmaniose nicht übertragen kann. Der Nachweis sei mehrfach gescheitert, sagt er, obwohl man das in Literatur nicht sehe, weil negative Ergebnisse selten veröffentlicht würden. Der Grund: Phlebotomus mascittii ist im Gegensatz zu ihrer Artverwandten P. perniciosius nicht auf Blut angewiesen, um sich zu vermehren. Zur Fortpflanzung genügt ihr auch etwas Zucker wie aus einem vergammelten Apfelstückchen. Die Art P. mascittii hat sich jedenfalls in Deutschland eingerichtet: Jedes Jahr zählen die Forscher eine zunehmende Zahl von Individuen.

Es ist Torsten Naucke zu verdanken, dass das Vorkommen der Sandmücke in Deutschland überhaupt bekannt ist. In den 1990er Jahren lebte er einige Jahre in Griechenland, wo die Sandmücke heimisch ist. Auf der Rückreise nach Deutschland fuhr er häufiger über die Autobahn A 5 nach Norden. Wenn sich der Verkehr staute, wurde er über die Dörfer im Markgräflerland geleitet. Er wusste, dass die Sandmücke bereits 1954 im Elsass nachgewiesen worden war, also vermutete er sie auch auf der anderen Seite des Oberrheins. 1999 wurde er schließlich fündig. Die damals nachgewiesenen Standorte konnten bis heute bestätigt werden. »Wir sehen, was wir übersehen haben«, sagt Naucke.

Die Sandmücke der Art P. mascittii mag zwar kein Überträger der Parasitenkrankheit Leishmaniose sein, harmlos ist sie dennoch nicht. Denn die Mücke ist ein Überträger des so genannten Toskanavirus. Die auch als Sandmückenfieber bezeichnete Virusinfektion tritt verbreitet vom Mittelmeer bis nach Fernost auf, typisch ist eine plötzliche grippeartige Erkrankung mit hohem Fieber, starken Kopfschmerzen, Gliederschmerzen sowie Schwindel und Übelkeit, die nach einigen Tagen von selbst abklingen. Am Kaiserstuhl ist das Virus bereits nachgewiesen worden. Erkrankt war ein Bewohner, der vorher nicht im Ausland war.

Torsten Naucke geht davon aus, dass die Populationsstärke dieser Sandmückenart zunehmen wird. Die Tendenz zu wärmeren Sommern kommt ihr entgegen. Von allein kann sie sich allerdings nur schwer ausbreiten, als schlechter Flieger kommt sie über einen Radius von 100 Metern und einen Meter Flughöhe nicht hinaus. Über große Distanzen ist sie also auf menschliche Transporthilfe angewiesen.

Vor sieben Jahren war Naucke diese Transporthilfe womöglich selbst. Zur jährlichen Tagung der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft hatte Naucke 1200 lebende Sandmücken aus eigener Zucht zur Tagung nach Gießen mitgebracht. Wenige Tage später ging Parasitologen des Frankfurter Biodiversitäts- und Klimaforschungszentrums ein Exemplar in Gießen ins Netz. Bis heute gilt der Fund in der Wieseckaue als nördlichster Beleg für die Ausbreitung der Sandmücke. Eine kleine Sensation. Naucke geht davon aus, dass der Fang von seiner Zucht stammt, die er mit auf die Tagung nach Gießen gebracht hatte. Irgendein Scherzkeks hatte den Sandmücken wohl zur Flucht in die Freiheit verholfen. Am Ende der Tagung erhielt er einen leeren Käfig zurück.

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