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News: Plastik-Pubertät

Die Jugendlichen von heute sind dicker als frühere Generationen im gleichen Alter waren und kommen eher in die Pubertät. Woran liegt das? An Fastfood und Bewegungsmangel? Ungehemmtem Fernsehkonsum oder hemmungslosen Genen? Vielleicht, so meinen amerikanische Forscher nun, kommt es vom allgegenwärtigen Plastik. Bei Mäuseembryos löst eine bestimmte Substanz daraus im späteren Leben nämlich genau diese Symptome aus: erhöhtes Gewicht und frühere Geschlechtsreife. Und zwar nicht erst bei riesigen Konzentrationen der Substanz, sondern schon bei Mengen, denen wir ständig ausgesetzt sind. Nun ist Maus nicht gleich Mensch, doch Grund genug, den Zusammenhang einmal genauer zu betrachten, sind die Ergebnisse allemal.
Der vermeintliche Missetäter heißt Bisphenol A und wurde ursprünglich als synthetisches Östrogen produziert. Inzwischen trifft man es jedoch eher als einen der Bausteine von Polycarbonaten an. Und diese Gruppe von Kunststoffen begegnet uns auf Schritt und Tritt: Aus Polycarbonaten bestehen Babyflaschen, Schutzüberzüge in Blechdosen, Spielzeuge, einige Lebensmittelbehälter usw. Je öfter diese Gegenstände gebraucht werden, umso mehr von dem Bisphenol A löst sich dabei aus dem Kunststoff und gerät so in den Menschen. Gelangt die Substanz in das Blut und Gewebe, so kann es die Wirkung der natürlichen Östrogene beeinträchtigen.

Kembra Howdeshell und Frederick vom Saal von der University of Missouri in Columbia haben zusammen mit Kollegen überprüft, ob die Störungen des hormonellen Gleichgewichts Übergewicht, Deformationen und verfrühte Geschlechtsreife auslösen können (Nature vom 21. Oktober 1999). Dazu fütterten sie trächtige Mäuseweibchen mit Öl, in dem sich eine alltägliche Menge Bisphenol A befand. Die erwachsenen Weibchen wurden dadurch nicht beeinträchtigt, und auch ihre Nachkommen zeigten bei der Geburt noch keine Auffälligkeiten.

22 Tage später stellten die Wissenschaftler jedoch deutliche Unterschiede fest: Die jungen Mäuse, deren Mütter Bisphenol A bekommen hatten, wogen bis zu einem Fünftel mehr als gleichalte Tiere aus der Kontrollgruppe. Besonders Individuen mit einem Östrogenspiegel, der von selbst hoch lag, hatten starkes Übergewicht. Wenig später trat bei den Versuchsmäusen die Pubertät ein, deutlich vor der Kontrollgruppe.

Eine ganze Reihe von Faktoren bestimmt, ob ein einzelner Mensch oder ein einzelnes Tier empfindlich auf Hormon-ähnliche Chemikalien reagiert. Deshalb ist es schwer, die Auswirkungen für ein Einzelindividuum vorherzusagen. Howdeshell empfiehlt, die Gesetzgeber sollten "die empfindlichste Subpopulation schützen, die sich nach unseren Ergebnissen durch die höchste natürliche Östrogenkonzentration auszeichnet."

Noch wissen die Forscher allerdings nicht, ob die Resultate überhaupt auf Menschen übertragbar sind. "Diese Studie sollte als Hilfestellung für Forschung am Menschen dienen", sagt dazu vom Saal. "Wir glauben, die Mediziner sollten die Studie aufmerksam lesen und in Betracht ziehen, Bisphenol A als eine mögliche Ursache anzusehen für Veränderungen im Wachstum, der sexuellen Ausreifung und Fortpflanzungsabnormalitäten, von denen in den letzten Jahrzehnten beim Menschen berichtet wurde."

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