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Pflanzenphysiologie: Platz da!

Einem wahren Hindernislauf sehen sich Pflanzen im Boden ausgesetzt: Zahlreiche Steinchen blockieren die wachsenden Wurzelhaare, um die sie sich herumwinden. Ein wenig Biochemie scheint ihnen dabei den Weg zu weisen.
Wurzel
Ein Großteil des botanischen Lebens findet im Verborgenen statt: unter der Erde. Ein kräftiges Wurzelsystem hält ein Gewächs im Boden fest; gleichzeitig stellt dieser unterirdische Teil des Pflanzenkörpers die Versorgung mit Wasser und Mineralstoffen sicher. Dabei dient das gesamte Wurzelsystem als Anker, während die Ernährung fast nur an vorderster Front im Bereich der Wurzelspitzen erfolgt.

Pflanzenwurzel | Schema der Pflanzenwurzel: Die Wurzelhaare entstehen aus Ausstülpungen spezialisierter Zellen der Rhizodermis, den Trichoblasten, oberhalb der Wurzelspitze. Dadurch kommt es zu einer beträchtlichen Vergrößerung der Oberfläche.
Nun wäre ein schön feuchter, weicher Boden ideal für jedes sprießende Pflänzchen. Im wahren Leben geht es jedoch bekanntlich etwas rauer zu: Die wachsende Wurzel muss sich über Stock und Stein den Weg durch den Boden mühsam suchen. Wie schafft sie das?

"Der Schlüssel hierfür ist der wuschelige Haarpelz auf den Wurzeln der Pflanzen", weiß Liam Dolan vom John-Innes-Forschungszentrum in Norwich. In der Tat spielen die Wurzelhaare – winzige Ausstülpungen einzelner Zellen auf der Wurzeloberfläche – eine entscheidende Rolle nicht nur für das Wachstum der Wurzel, sondern vor allem auch für die Ernährung der gesamten Pflanze: Sie vergrößern die Oberfläche, über die Wasser und Nährsalze ihren Weg nach innen finden müssen, um ein Vielfaches. Dabei wachsen die Haare so lange in eine Richtung, bis sie auf ein Bodenpartikel stoßen, sich um dieses Hindernis herumwinden und so für einen hautengen Kontakt zwischen Wurzel und Boden sorgen.

Als entscheidend für diesen unterirdischen Hindernislauf hatten Pflanzenphysiologen wie Dolan schon länger ein bestimmtes Protein im Auge: Das Enzym RHD2 (Root Hair Defective 2) wirkt auf den Kalzium-Haushalt der Wurzelhaarzelle ein. Wie das geschieht, haben sich Dolan und seine Kollegen jetzt etwas genauer angeschaut.

Wurzelhaar | Aus einer nach unten wachsenden Wurzel stülpt sich senkrecht dazu ein Wurzelhaar aus. Die grüne Markierung zeigt, dass das Enzym RDH2 vor allem im Wurzelhaar aktiv ist.
Die Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana – das wohl beliebteste "Versuchskaninchen" unter Botanikern – sollte auch hier nützliche Dienste erweisen: Die Forscher arbeiteten mit Arabidopsis-Mutanten, bei denen RHD2 mit einem fluoreszierenden Protein markiert war. So ließ sich direkt beobachten, wo und unter welchen Bedingungen die Wurzel das Enzym bildet. Dabei bestätigte sich, dass RHD2 tatsächlich vor allem in den Trichoblasten vorkommt – jenen spezialisierten Rhizodermiszellen, welche die Wurzelhaare bilden.

Um den Effekt von Kalzium-Ionen auf RHD2 zu untersuchen, griffen die Forscher noch tiefer in die gentechnische Trickkiste: Sie schleusten das Gen, das für das Protein kodiert, in menschliche Zellkulturen ein. Damit stand den Wissenschaftlern ein biochemisches System zur Verfügung, mit dem sich leicht experimentieren ließ.

Alles in allem stellen Dolan und sein Team folgendes Modell auf: In den wachsenden Wurzelhaare produziert RDH2 freie Sauerstoff-Radikale.
"Der Schlüssel ist der wuschelige Haarpelz auf den Wurzeln der Pflanzen"
(Liam Dolan)
Diese hochreaktiven Verbindungen öffnen Kalzium-Kanäle in der Zellmembran der Wurzelhaare, sodass Kalzium-Ionen in die Zellen einströmen. Kalzium wiederum aktiviert RDH2 – der Prozess verstärkt sich damit selbst.

Solange diese Rückkopplungsschleife nicht unterbrochen wird, sprießt die Wurzelhaarzelle in eine Richtung. Sobald es jedoch an ein Hindernis stößt, kommt der Prozess zum Erliegen – das Wurzelhaar wächst an einer anderen Stelle weiter.

"Dieses außergewöhnliche System gibt den Pflanzen die nötige Anpassungsfähigkeit, um eine komplexe Umwelt zu erkunden und zu besiedeln – selbst in den aussichtslosesten Böden", erläutert Dolan. "Es erklärt auch, warum Keimlinge so schnell wachsen können, sobald sie sich niedergelassen haben."

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