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News: Polarisierte Neutronenstrahlen - ein Gewinn für die Materialforschung

Zu sehen ist zunächst nichts, wenn die Forscher des Instituts Laue-Langevin in Grenoble (ILL) einen Neutronenstrahl durch ein speziell präpariertes Heliumgas schicken. Das Ergebnis erzählt dann allerdings Bände: Magnetischen Substanzen entlocken die Physiker mit Hilfe des polarisierten Neutronenstrahls das Geheimnis ihres Innenlebens. Neu an diesem Verfahren ist die Art und Weise, wie die Wissenschaftler den Neutronenstrahl beeinflussen. Sie nutzen polarisiertes Helium-3 als unsichtbares Filter, das in seiner Funktionsweise für Neutronen ähnlich wie bei Polarisationsfolien in der Lichtoptik zu sehen ist.
Um den inneren Aufbau von Materialproben zu verstehen, nutzen Wissenschaftler unterschiedlichste Methoden. Eine davon ist der Beschuß mit Neutronen. Diese atomaren Teilchen haben die Eigenschaft, in Materialien abgebremst, beschleunigt oder nur abgelenkt zu werden. Schießt man also einen wohldefinierten Neutronenstrahl auf eine Probe, dann kommt der Neutronenstrahl in veränderter Form aus dieser Probe wieder heraus. Diese Veränderungen können exakt gemessen werden und geben so Auskunft über den inneren Aufbau des Materials.

Magnetische Substanzen geben allerdings ihre Geheimnisse nicht so leicht preis. Sie haben ganz besondere Eigenschaften: Die magnetischen Elektronen ihrer Atome sind wie kleine Stabmagnete in bestimmter Weise zueinander ausgerichtet, so daß insgesamt ein magnetischer Effekt entsteht. Überraschenderweise ändern sich die magnetischen Eigenschaften schon durch geringste Beimischungen von anderen Elementen erheblich. Wieso das so ist, kann bisher nur in seltenen Fällen eindeutig beantwortet werden. Daher suchen Physiker weltweit nach einem geeigneten Instrument, um die innere Struktur von magnetischen Proben zu verstehen.

Ein ideales Instrument ist hier ein polarisierter Neutronenstrahl. Neutronen drehen sich wie Kreisel um ihre eigene Achse. Allerdings sind ihr Drehsinn und die Richtung ihrer Drehachse normalerweise völlig ungeordnet. Polarisiert man Neutronen, bringt man Ordnung in dieses Chaos in dem Sinne, daß Drehsinn und Drehachse aller Teilchen nun identisch sind. Dann haben die Teilchen alle den gleichen sogenannten "Spin". Zur Unterscheidung von rechts- und linksdrehend benutzt man die Symbole S= 1/2 bzw. S= – 1/2.

Am ILL gelang es nun Dr. Werner Heil, ein effektives Filter für Neutronenstrahlen zu entwickeln, daß aus Kernspin-polarisiertem Helium-3 besteht. Helium-3 (3He) ist eine natürlich vorkommende Variante des Elements Helium. Auch das Helium-3 hat einen sogenannten Kernspin, dessen Drehsinn wie beim Neutron mit S = + 1/2 oder S= – 1/2 bezeichnet wird. Kommt einem Heliumteilchen mit S= + 1/2 ein Neutron mit einem entgegengesetzten Spin (S = 1/2) nahe, dann wird dieses Teilchen vom Helium-3 absorbiert, oder besser gesagt: abgefangen. Alle Neutronen, die den gleichen Spin wie das Helium-3 besitzen (S= + 1/2), passieren das Filter unbeschadet. Die zuvor ungeordneten – unpolarisierten – Neutronen werden also durch eine Zelle geschickt, die mit polarisiertem Helium-3 gefüllt ist. Heraus kommt ein wohldefinierter Neutronenstrahl, mit dem sich beispielsweise magnetische Bauteile analysieren lassen.

Den Forschern in Grenoble gelang es, ein Gas herzustellen, das bis zu 60% aus polarisiertem Helium-3 besteht. Die Wissenschaftler hoffen nun auf höhere Prozentzahlen, um in Zukunft den Geheimnissen der magnetischen Bauteile noch effektiver auf die Spur zu kommen. Da die Methode für die Materialforscher von außerordentlich hohem Wert ist, wird das Projekt von französischen und englischen Partnern in den kommenden vier Jahren mit insgesamt 3 Millionen DM gefördert.

Ganz nebenbei entdeckten die Wissenschaftler ein weiteres Einsatzgebiet des polarisierten Heliums: die Medizin. Sie nutzen polarisiertes Helium-3 als Kontrastmittel für Lungenaufnahmen im Kernspintomographen. Aufgrund seiner Polarisierung und seiner Ungiftigkeit kann Helium-3 als Kontrastmittel eingesetzt werden. Der Patient atmet vor der Untersuchung das polarisierte Helium ein, hält die Luft kurz an, und die etwa 30 Sekunden dauernde Schichtaufnahme kann beginnen. Erste Tests mit freiwilligen Rauchern und Nichtrauchern offenbaren die Möglichkeiten der neuen Methode.

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